Freitag, 18. Februar 2011

Warum #ganzen #Wohnvierteln in #Deutschland d. #Verfall droht mehr dazu um 20:15 Uhr in #Monitor in #EinsExtra

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Im Würgegriff der Heuschrecken

Warum ganzen Wohnvierteln in Deutschland der Verfall droht

Bericht: Markus Schmidt, Andreas Maus, Lutz Polanz


Sonia Seymour Mikich: "2004 - die
Laune muss gut gewesen sein bei den damaligen Ministern Ulla
Schmidt und Hans Eichel. Für mehr als drei Milliarden kaufte der
amerikanische Hedge-Fonds "Fortress" dem Bund den Immobilienkonzern
Gagfah ab. Drei Milliarden - für die staatliche Rentenkasse damals
eine rettende Geldspritze. Aber hunderttausende Mieter machten sich
Sorgen wegen der "Heuschrecke", dem neuen Vermieter aus Amerika.
Und zu Recht. Von Insidern haben wir Dokumente und Aussagen, die
jetzt belegen, wie sieben Jahre nach dem Super-Deal ganze
Wohnviertel untergehen."

Zu Gast bei Frau Kepenek in Hamburg.



Reporter: "Ja, was ist das Problem hier
in Ihrer Toilette?"



Frau Kepenek: "Ja, ich hab keinen
Wasserkasten, kein Waschbecken. Bei der Renovierung hatten wir das
abgebaut, weil das erneuert werden sollte. Ich zeig Ihnen das
einmal. Also ..."



Reporter: "Das heißt, das ist jetzt
Ihr Spülkasten?"



Frau Kepenek: "Genau - und denn
(spült mit Eimer) - wie noch in den alten Zeiten wahrscheinlich
dann."



Frau Kepenek wohnt zur Miete bei der Gagfah. Dies ist ihre
Geschichte und die von Tausenden anderer Mieter, die die Nase voll
haben. Eine Geschichte von heruntergewirtschafteten Wohnvierteln
und einem Unternehmen, das einst grundsolide war. Und davon, wie es
an einen Hedgefond aus den USA verkauft wurde. Dies ist die
Geschichte einer Privatisierung mit dramatischen Folgen.
Mieterin: "Achtunddreißigeinhalb
Jahre hab ich hier gewohnt. Es war alles wunderbar und schön. Aber
die letzten paar Jahre waren eine Katastrophe."



Mieter: "Also ich wohne jetzt 40
Jahre hier. Ich werde siebzig Jahre alt. Wo soll ich hin?"



Es ist noch nicht lange her, da gehörte die Gagfah dem Bund. 2004
verkaufte die Rot-Grüne Regierung das Unternehmen an den
US-Investor Fortress. Für dreieinhalb Milliarden Euro inklusive
Schulden. Betrieben haben diese Privatisierung - Hand in Hand -
diese beiden. SPD-Finanzminister Hans Eichel wollte seinen Haushalt
schonen und Sozialministerin Ulla Schmidt die Rentenkasse
auffüllen. Sie segnete den Vertrag mit der Fortress ab.



Zitat damals: "Ein Vertrag, der sich überall sehen
lassen kann."

Das Versprechen: Die Mieter sollten keinerlei Nachteile erleiden.
Doch der neue Eigentümer, die Fortress, machte schnell Kasse, mit
Tausenden Wohnungsverkäufen und mit drastischen Sparmaßnahmen. Vor
dem Verkauf investierte die Gagfah in die Instandhaltung noch 15,29
€ pro Quadratmeter im Jahr, jetzt nach der Privatisierung sind es
7,60 €, gerade mal die Hälfte. Die Gagfah hält das für angemessen.
Was das bedeutet, sehen wir in Solingen. Wir besuchen die Familie
di Palo und ihre Nachbarn. Seit anderthalb Jahren wohnt Anna di
Palo bei der Gagfah. Und hat in dieser Zeit schon reichlich was
erlebt.



Frau di Palo, Mieterin: "Wie man
sieht, ist dann hier auch schon ... ja ... überall die Feuchtigkeit
richtig schön durchgesickert und färbt sich jetzt auch so langsam
... ja, schimmelig schwarz, sag ich mal. Und dann kam der Maler,
hat das schön gestrichen alles und ... ja, am nächsten Tag war die
Feuchtigkeit aber wieder da."



Frau di Palo ist keine Ausnahme. In jeder Wohnung, die wir
betreten, findet sich Schimmel.
Maria Graci, Mieterin: "Ja, und meine
Tochter ist immer erkältet, mein Mann ist auch immer erkältet. Und
ich glaube, es ist dieser Schimmel. Weil wir wissen alle, der
Schimmel ist gesundheitsgefährlich."



Wir treffen ehemalige Mitarbeiter der Gagfah, die sich im
Unternehmen bestens auskennen. Sie wollen nicht mehr tatenlos
zusehen, wie die Fortress ihre alte Firma ausschlachtet. Aus Angst
vor Repressionen berichten Sie uns verdeckt.



Ehem. Gagfah-Mitarbeiter: "Die
Fortress hat ganz genau die Zahlen und Budgets vorgegeben, die wir
bringen mussten. Was an Gewinn rausspringen muss und was wir
ausgeben dürfen. Die Budgets für die Instandhaltung waren extrem
niedrig. Wenn im August kein Geld mehr da war, dann hieß es: Stopp,
es wird nichts mehr gemacht. Keine Reparaturen, keine
Instandhaltungen."

Von unseren Informanten erhalten wir ein Gutachten zur
Gagfah-Siedlung in Solingen. Dort müssten die Außenfassaden
dringend saniert werden - für viele Millionen. Es besteht eine
akute Absturzgefahr für Schiefer, eine sofortige Sanierung ist
zwingend notwendig, heißt es wörtlich. Die Arbeiten sollten seit
November 2008 abgeschlossen sein, doch es gab nur weitere
Gutachten. Leben wie im Knast Saniert ist bis heute nicht. In der
einstigen Mustersiedlung schützen Fangnetze und Gerüste die Mieter
davor, erschlagen zu werden. Eine weitere Gagfah-Siedlung, diesmal
sind wir in Hamburg-Steilshoop. Auf den ersten Blick sieht es hier
noch ganz gepflegt aus. Doch auch hier kommen die Gagfah-Wohnungen
zunehmend herunter, mit schlimmen Gefahren für die Mieter.
Karl-Heinz Rubel wohnt schon ewig hier. Er führt uns ins
Treppenhaus, zeigt uns den Notausgang.



Karl-Heinz Rubel, Mieter: "Vor
Kurzem hat es im Keller gebrannt unten. Und die Gefahr ist ja die,
das ist hier der Notausgang, und unten ist keine Klinke dran. Man
kommt überhaupt nicht raus."



Reporter: "Haben sie die Gagfah schon
informiert?"



Karl-Heinz Rubel, Mieter: "Also ist
mündlich informiert worden, mehrfach. Und dann wird immer gesagt,
jo, wird gemacht, wird gemacht. So, das ist alles."



Reporter: "Ist nichts passiert?"

Karl-Heinz Rubel, Mieter: "Ne."



Spart Deutschlands größtes börsennotiertes Wohnungsunternehmen
tatsächlich auf Kosten der Sicherheit? Von unseren Insidern
erhalten wir diese brisante Liste. Darauf die
Verkehrssicherungsmaßnahmen der Gagfah für das Jahr 2009.
Verkehrssicherung, da geht es um gesetzliche Auflagen, um
Brandschutz. Da geht es um Leib und Leben der Mieter. Und so liest
sich die Liste:



"Große Gefahr von Kabelbrand", "Teilweise gelöste Balkongeländer -
Unfallgefahr", "Herabfallende Fassadenplatten, hohe
Eintrittswahrscheinlichkeit", "Erhebliche Fäulnis- und Pilzbildung,
Fenster drohen herauszufallen", "Bleileitungen, Grenzwerte
überschritten."



Knapp 73 Millionen Euro müsste die Gagfah laut Liste in die
Sicherheit ihrer Gebäude stecken, doch nur gut zehn Millionen Euro
werden vom Management für das Jahr 2009 tatsächlich bewilligt.
Gerade mal ein Siebtel. Die Gagfah sagt, sie kenne die Zahlen so
nicht. Bernhard von Grünberg ist Vorsitzender des Deutschen
Mieterbundes in Nordrhein-Westfalen. Er kennt das Geschäftsgebahren
der Gagfah seit Jahren. Wir zeigen ihm die interne Liste.

Bernhard von Grünberg, Vorsitzender
Deutscher Mieterbund NRW:
"Also das ist die absolute
Katastrophenliste. Ja, das ist natürlich erschütternd, was ich
gesehen habe. Es ist so, dass hier .. ja lebenssichernde Maßnahmen
eigentlich notwendig sind, aber gleichwohl die Geschäftsleitung
offensichtlich sagt, dafür haben wir kein Geld. Das heißt, es
können Brände passieren, es können Menschen umkommen und gleich
wohl - das haben sie alles gewusst. Und gleichwohl wird kein Geld
zur Verfügung gestellt."



Ein schwerwiegender Vorwurf. Wir fahren nach Mülheim in die
Gagfah-Zentrale. Wollen mit den verantwortlichen Managern
persönlich darüber reden. Aber die Pressesprecherin wimmelt uns
ab.

Pressesprecherin Gagfah: "Haben
wir abgelehnt."



Reporter: "Warum geben sie uns kein
Interview?"



Pressesprecherin Gagfah: "Wir geben
generell keine Interviews. Wir antworten auf alle ihre
Fragen."



Schriftlich teilt uns das Unternehmen mit:



"Den Vorwurf, wir gefährden Leib und Leben unserer Mieter, weisen
wir zurück. ... Sofern Verkehrssicherungen auch als diese
identifiziert werden und akuter Handlungsbedarf besteht, erfolgt
umgehend die Beseitigung des Risikos."
Aber auch das stimmt offenbar nicht immer. Beispiel: Dieses
Altenheim des Deutschen Roten Kreuzes in Essen-Freisenbruch,
Vermieter die Gagfah. Nach unseren Unterlagen weiß die Gagfah seit
zweieinhalb Jahren, dass diese Platten an der Außenwand jederzeit
herunterstürzen können. Zitat: Es besteht hohe
Eintrittswahrscheinlichkeit. Doch das Rote Kreuz wurde über die
Gefahr nicht informiert. Da steckt System hinter, behaupten
ehemalige Manager der Gagfah.



Ehem. Gagfah-Mitarbeiter: "Fortress
wusste definitiv von diesen Verkehrssicherheitsrisiken. Wir waren
verpflichtet, die Schäden zu melden und unsere Geschäftsführung hat
es an Fortress weitergegeben. Meistens kam keine Antwort zurück.
Manchmal auf Nachfrage, manchmal ein Jahr später."



Stimmt das? Wir fragen in der Fortress-Zentrale in New York an. Zum
schwerwiegenden Vorwurf: no comment von ganz oben. Und ganz unten,
bei den Mietern, die ihren Hausmeister in der Sprechstunde
erreichen wollen:



"Ich bin leider im Moment nicht erreichbar. Sie erreichen mich am
besten in der Zeit dienstags von acht bis zehn Uhr, donnerstags von
fünfzehn bis siebzehn Uhr."



Die Gagfah legt Wert auf die Feststellung:

Zitat: "Wir bieten guten und preisgünstigen
Wohnraum an prosperierenden Standorten ... und einen guten
Kundenservice."



Und wie gehts weiter mit den Siedlungen? Die Fortress ist dabei,
ihre Anteile an der Gagfah Stück für Stück abzustoßen. Und der von
der Fortress gestellte Gagfah-Geschäftsführer hat vor wenigen Tagen
eigene Aktien in Millionenhöhe verkauft. Verlässt da einer das
sinkende Schiff?



Ehem. Gagfah-Mitarbeiter: "Fortress
schöpfte die Sahne vom Cappuccino ab. Mittlerweile ist nur noch der
Kaffeesatz übrig. Gute Unternehmen sind herabgewirtschaftet worden,
ausgesaugt in der Substanz und zu Lasten der Bewohner. Fortress
wird sich rausziehen. Und dann wird ein zerrissenes Gebilde von
Restimmobilien übrig bleiben. Schlechte Lagen, schlechte
Bausubstanz mit ghettohaften Großsiedlungen. Dann können die
Kommunen sehen, wie sie mit diesen Vierteln umgehen."



Sonia Seymour Mikich: "Völlig falsch
gelaufene Privatisierung."

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