Samstag, 26. Februar 2011

Fußnoten in Kriegszeiten. Wie mit den Umfragewerten für Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg umgehen?

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Zirka siebzig Prozent

Fußnoten in Kriegszeiten. Wie mit den Umfragewerten für Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg umgehen?

Der Deutschenflüsterer gilt weiter als beliebtester Politiker de
Der Deutschenflüsterer gilt weiter als beliebtester Politiker des Landes
Foto: dapd
Unter den Ereignissen und Vorkommnissen rund um den Vorfall, der
Aussicht hat, unter der Falschbezeichnung
»Fußnoten-Affäre« in die Geschichte der
Skandale einzugehen, die sich um regierende Politiker des Staates
Bundesrepublik ranken, hat vieles nicht überrascht.
Zuvörderst die Reaktion der Bundeskanzlerin. Die hat keinen
Grund, sich von einem Minister zu trennen, der auf Lebenszeit eine
solche Leiche im Keller hat, wie sie ein obendrein geglückter
Betrugsversuch, verbunden mit dem Diebstahl geistigen Eigentums,
nun einmal darstellt. Gleiches gilt für die Haltung seiner
Kabinetts- und Fraktionskollegen, die – Solidarität hin,
Korpsgeist her – das ihrige taten, die Untat durchgehen zu
lassen, können sie sich dann doch in allen Fällen und
für die Zukunft auch selbst auf der sicheren Seite sehen.
Überrascht hat auch das Auftreten der Bayreuther Professoren
nicht, die, als sie das Unumgängliche erledigt hatten, kein
Wort eigener Stellungnahme oder Empörung fanden, geschweige
denn, daß sie sich zu einer gesellschaftlichen Wertung
durchgerungen hätten. Über all das läßt sich
kein weiteres Wort verlieren.

Im Amt bleiben

Wie aber steht es mit der auch nicht überraschenden
Mitteilung, daß eine bei siebzig Prozent liegende Zahl
befragter Bundesbürger den Betrüger als Bundesminister
weiter an seinem Platze sehen will? Es kommt hier nicht darauf an,
ob der (schwankende) Wert ein wenig über oder unter dieser
Zahlenangabe liegt. Nach früheren Befragungen, deren
Ergebnisse aus unterschiedlichen Quellen stammen, verdient sie
Glaubwürdigkeit. Wer also nicht in den Tag lebt, kommt
über diese Zahl ins Nachdenken oder, mehr noch, ins
Grübeln. Dafür versorgen ihn die Medien reichlich mit
Informationen und Erklärungen.
Die Volksmenge, darauf laufen viele Deutungen hinaus, will sich von
dieser zur Lichtgestalt aufgebauten Figur nicht trennen. Das hat
den Vorteil, daß sie sich ihren groben Irrtum nicht
eingestehen muß. Sie hatte sich auf den Mann als
Bundeskanzler in spe schon eingestellt, der sich so vorteilhaft von
allen Vorgängern und den Kollegen und Konkurrenten um ihn
unterscheidet. Jung, bezaubernd lächelnd, hell strahlend,
dynamisch, redegewandt, entschlossen, umtriebig, geschniegelt in
Zivil und schmuck im Hindukusch-Look. Dazu von Adel, ein Freiherr
von und zu, ein Baron. Seine Mama eine Gräfin, seine Gattin
gar eine Gräfin von Bismarck-Schönhausen, Ururenkelin des
Reichsgründers. Von der Erscheinung sich trennen?



Wer auch nur einen Moment darob in Zweifel geriet, dem wurden sie
ausgeredet. Hier das Repertoire: Wer macht nicht manchmal einen
Fehler? Wer ist frei von Irrtümern? Wer war nicht schon mal
überlastet? Wer hat sich nicht schon zu hohe Ziele gesetzt und
überschätzt? Menschliches, Allzumenschliches. Das kennt
man ja und muß das Buch des Friedrich Nietzsche nicht gelesen
haben. Nobel hat er sich zudem jetzt gezeigt: selbstkritisch bis
zerknirscht, ehrlich, demütig, mit keiner Entschuldigung in
jede auch nur denkbare Richtung zurückhaltend und dabei
dennoch aufrecht, ja kämpferisch, männlich eben.
Und überhaupt: Fußnoten? Muß man sich darum
kümmern und sorgen? Gehörte dahinein, wie vor Jahren zu
hören, nicht die DDR? Ein Großteil der Deutschen hat mit
der Fußpflege, mit Fußpilzen und dergleichen zu tun.
Muß er sich um diese Sorte von Noten kümmern, eine
Marotte der Intelligenz und ihres abgehobenen Gehabes und Getues?
Vor allem erledigt sich das Ganze doch schon bei dem Gedanken,
daß der Mann doch die Anstrengung dieser ganzen Schreiberei
gar nicht nötig gehabt hatte. Die vielen einsamen Stunden,
denen er sich Frau und Kindern entzog. So wurden den zirka 70
Prozent zu ihrer mitfühlenden Gemütsverfassung die
Argumente geliefert, die ihnen zur Rechtfertigung ihrer an
Nibelungentreue erinnernden Haltung vor sich selbst dienen
können.
Und wem die nicht hinreichten, dem wurden weitere Lichter
aufgesteckt und diejenigen und ihre Antriebe bloßgestellt,
die dem Minister an seinem edlen Zeuge flicken wollen. Kein Trick,
der dem Guttenberg-Rettungsteam zu primitiv gewesen wäre, um
sein für jedes Staatsamt bis zum Bürgermeister von
Kötzschenbroda disqualifizierendes Verhalten kleinzureden und
als läßliche Sünde auszugeben. Kein Dreck, der ihm
zu ekelhaft gewesen wäre, ihn gegen alle zu schleudern, die
sich erlaubten, nach dem geistigen und moralischen Maß zu
fragen, dem hierzulande ein Bundesminister zu genügen
hätte.

Schaden für Deutschland

Statt dessen: Er ist ein begabter und befähigter Politiker,
und den will die Opposition zu keinem geringeren Schaden als dem
für Deutschland, angetrieben und verstärkt von allerlei
hinter ihr stehenden dunklen Mächten, weghaben. Von solcher
Art Politikern, das zumindest wissen die zirka 70 Prozent, hat
Deutschland nicht so viele. So ist im akuten Mangel ein Grund mehr
gefunden, den Könner behalten zu wollen. Nur wodurch wissen
sie von der Begabung und Befähigung dieses einen? Die hat er
ihnen in einer Weise vorgespielt, daß es für mehr als
eine Provinzbühne reichte. Und an willfährigen
Regisseuren, dienenden und dienernden Mitspielern, erfahrenen
Schminkmeistern fehlte es in keinem Moment. Ankündigungen
wurden für die Wirklichkeit ausgegeben, Vorhaben für
eingelöst, Vorsätze für umwälzend.

Krieg heißt Krieg

Das einzig vorweisbare und in der Notsituation dieser Tage
tatsächlich vorgewiesene »Verdienst« dieses
Ministers ist gewesen, daß er anders als seine Vorgänger
einen Krieg auch Krieg genannt hat. Das hatte sich zu diesem
Zeitpunkt freilich selbst bis in nicht bestimmbare Anteile der
zirka 70 Prozent bereits herumgesprochen. Unter anderem beim Blick
auf eingeflogene Soldatensärge. (Der Vorgang war nicht ganz
neu in deutscher Geschichte: In den ersten Tagen des Zweiten
Weltkrieges hatten die Herrschenden dem Volke auch eine –
allerdings notgedrungen kürzere – Gewöhnungszeit
gelassen und zunächst das Wort Krieg vermieden.) Und sonst? In
Afghanistan wird weiter für Einzug und Triumph der westlichen
Werte gestorben– vor allem auf seiten der dort lebenden
Bewohner. In der Heimat wird derweil eine Bundeswehrreform
vorbereitet, die den Steuerzahler noch teuer zu stehen kommt. So
zeigt sich in Deutschland Begabung im Ministeramt.
Wir erleben, zum wievielten Male eigentlich, jenen Vorgang, den
Heinrich Heine das Einlullen des Volkes, des großen
Lümmels, genannt hat. Das geschieht in der Version des
Dichters dann, »wenn es greint«. Das aber hat es nicht
einmal getan. Keine Demonstration ist vor die Dienstsitze des
Bundesverteidigungsministeriums im Berliner Bendlerblock oder auf
der Bonner Hardthöhe gezogen. Keine Menschenmenge hat die
Abgeordneten des Hohen Hauses vor ihrer Fragestunde in Sachen
»Fußnoten« unter irgendeinen Druck setzen wollen.
Und es ist auch kein »Entsagungslied«, das dem
Bundesbürger da vorgesungen wird. Er soll diesmal nur die
schon eingeübte Rolle wieder einnehmen, in der er den
Regierenden am liebsten ist, die des Jasagers.
Wer folglich im einstigen Lande der Dichter und Denker, notabene:
zu keinem Zeitpunkt haben sie es beherrscht, an die
Möglichkeit der Aufklärung von Massen, konkret: an das
Bewußtmachen der eigenen und die Verabschiedung von fremden
Interessen, noch glaubt und darauf hinzuwirken sucht, hat einen
Adressaten. Dem muß er sich verständlich machen. Er
muß ihn nicht von der Bedeutung und Notwendigkeit von
Fußnoten in wissenschaftlichen Arbeiten überzeugen. Er
muß sich nicht in eine Debatte darüber verwickeln, ob
ein Minister keinen Doktortitel braucht. Er sollte also den
Einlullern nicht dorthin folgen, wo sie sich am wohlsten
fühlen: im Abwegigen, Unwesentlichen, Ablenkenden. Er
muß, so sehr das berechtigt ist, vielleicht nicht einmal
über moralische Ansprüche an regierende Politiker
streiten. Vielleicht sollte er damit beginnen, schlicht zu sagen,
wieviel Geld, aufgebracht durch Bürgersteuern, unter der
direkten Verantwortung des Verteidigungsministers jeden Tag am
Hindukusch verschleudert wird. Zumal diese Summe gar nicht in Rede
kam, als jüngst über drei Euro mehr oder weniger für
die Hartz-IV-Bezieher gekuhhandelt wurde. Vielleicht –
nachdenkend mit Kurt Tucholsky – solle er sich dessen Warnung
erinnern: »Mit Lateinisch überzeugt man keine
Indianer.«
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