Die UN gehen in ihrem neuesten Staatenbericht hart mit der sozialen Lage in Deutschland ins Gericht. Vier Jahre nach dem Vorgängerbericht seien viele der früheren Empfehlungen nicht umgesetzt worden.
Migranten würden diskriminiert und es fehle an einem umfassenden Armutsbekämpfungsprogramm das sind zwei der zentralen Kritikpunkte der Analyse, die nach einer Pause von vier Jahren neu aufgelegt wurde. ( ) Einer der brisantesten Vorwürfe: Jedes vierte Kind würde ohne Frühstück zur Schule gehen. Nachdrücklich fordern die UN "konkrete Maßnahmen", damit "Kinder, besonders aus armen Familien, richtige Mahlzeiten erhalten".
Kritisiert werden viele Ungerechtigkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt und im Gesundheits- und Sozialwesen. Migranten etwa sähen sich nach wie vor großen Einschränkungen ihrer Rechte auf Bildung und Beschäftigung gegenüber, heißt es. Asylsuchenden würden sogar ausreichende Sozialleistungen versagt, dabei müssten sie "im Einklang mit internationalen Normen" den gleichberechtigten Zugang zu beitragsunabhängigen sozialen Sicherungssystemen, zur Gesundheitsversorgung und zum Arbeitsmarkt bekommen. ( ) Gelobt wird, dass die Arbeitsmarktreformen den niedrigsten Stand der Arbeitslosen in den vergangenen 20 Jahren ermöglicht hätten. Zugleich wird kritisiert, dass die Grundsicherung von Hartz-IV-Empfängern "keinen angemessenen Lebensstandard" gewähre. Erheblich ausgebaut werden müssten Angebote für Kinder, Behinderte, Ältere und Kranke. In Pflegeheimen, heißt es, würden viele Bewohner "in menschenunwürdigen Bedingungen leben".
Mit Besorgnis vermerken die UN, dass Angaben der Bundesregierung zufolge 13 Prozent der Deutschen unter der Armutsgrenze leben.
Quelle 2: Tagesspiegel [DOC - 8 MB]
Anmerkung unseres Lesers G.K.: Erwartungsgemäß stößt der UN-Bericht zur sozialen Lage bei der Bundesregierung und den Schwarz-Gelb nahestehenden Journalisten auf heftige Kritik. So schreibt der SWR-Journalist Pascal Lechler vom ARD-Hörfunkstudio in Genf unter der Überschrift "
UN-Rüge nicht neu und ziemlich fragwürdig":"Die Passagen über die angebliche schlechte Ernährung deutscher Schüler finden sich wortgleich in einem Bericht der Nichtregierungsorganisation Attac. ( ) Bemerkenswert: In diesem Attac-Bericht über Armut in Deutschland bezieht sich die Nichtregierungsorganisation auf überholte Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Das DIW musste Anfang Mai dieses Jahres seine Zahlen über Kinderarmut in Deutschland deutlich nach unten korrigieren. Genau diese alten Zahlen sind aber wohl in den UN-Bericht eingeflossen."
Das Ausmaß der Kindermut in Deutschland wurde danach vom DIW angeblich zu hoch beziffert. 2005 soll die Quote nicht bei 16,3 Prozent, sondern lediglich bei zehn Prozent gelegen haben. Heute sollen es angeblich nur 8,3 Prozent sein.
Ulrike Winkelmann (Der Freitag) schrieb unter der Überschrift "Der Anstieg ist der Skandal" zur Entwicklung der
Kinderarmut in Deutschland seit dem Jahre 2005:"Alle Statistiken aber haben von 2005 bis 2009 einen beträchtlichen Anstieg der Kinderarmut gemessen um ein Viertel bis ein Drittel. Das ist einer der schlagendsten Indikatoren dafür, dass die Sozialpolitik der vergangenen Jahre gescheitert ist ganz unabhängig davon, wer sich da im DIW verrechnet hat."
Gerd Bosbach, Professor für Statistik, Mathematik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Fachhochschule Koblenz, äußerte iin einem Interview mit der Jungen Welt erhebliche Zweifel an den vom DIW neu vorgelegten Zahlen zur
Kinderarmut in Deutschland:Zahlenblog: Kinderarmut" schreibt Gerd Bosbach ergänzend:"Für mich sind die Daten hochgradig unglaubwürdig. Vor allem besteht eine gewaltige Diskrepanz zwischen den behaupteten 8,3 Prozent und der Zahl derjenigen Kinder, die von Hartz IV leben müssen. Im September 2010 waren knapp 15 Prozent aller Kinder unter 18 Jahren auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen. Hier muß man fragen, wie das mit den DIW-Zahlen zusammenpaßt. ( ) Was mich stutzig macht, sind die Widersprüche zu anderen Erhebungen. Laut Mitteilung des Statistischen Bundesamtes vom Januar waren im Jahr 2009 nach einer EU-Stichprobe 15,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland armutsgefährdet. Nach einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung über Kommunen mit mehr als 5000 Einwohnern bezogen im Jahr 2008 in den Bundesländern zwischen 7,4 und 35,7 Prozent der unter 15jährigen SGB-II-Leistungen. ( ) Wenn das DIW jetzt völlig andere Ergebnisse präsentiert, muß an den Zahlen gearbeitet worden und kann Absicht im Spiel gewesen sein. ( ) Es wird seit längerem spekuliert, daß sich das DIW den Regierungsinteressen mehr anpassen will, um demnächst beispielsweise wieder als Wirtschaftsgutachter im Regierungsauftrag zum Zuge zu kommen. Das Institut liefert schon seit längerem Ergebnisse, die der Regierung eher zupaß kommen."
"Die genannten 8,3 % arme Kinder passen gar nicht zu den Zahlen von Kindern in Hartz IV-Familien. ( ) Definiert man Kinder mit unter 15 Jahren, so waren es 15,6 %. Diese amtlich gut erfasste Größe ist seit Jahren annähernd konstant und sowohl dem DIW, den Politikern als auch den Journalisten bekannt. Warum diese besser erfasste Vergleichsgröße nicht zumindest ein großes Fragezeichen hinter die angeblichen nur 8,3 % arme Kinder setzt, ist uns völlig unklar. Entsprechende Nachfragen von uns wurden bisher mit Achselzucken oder der lapidaren Bemerkung quittiert: "Den Wert dreht sich ja ohnehin jeder so zurecht, wie es politisch gefällt." Letzteres übrigens von einer großen Zeitung, hinter der angeblich ein kluger Kopf steht."
In dem tagesschau.de-Beitrag des SWR-Journalisten Pascal Lechler vom ARD-Hörfunkstudio in Genf heißt es weiter:
"Aus mit der Sache vertrauten Kreisen war zu erfahren, dass die Fakten, die in diesem Länderbericht zusammengefasst wurden, nicht sauber recherchiert worden waren. Die Unausgewogenheit sei erkennbar. Verbesserungen beispielsweise auf dem deutschen Arbeitsmarkt würden nicht ausreichend dargestellt."
Welchen Informationsgehalt hat die nebulöse Formulierung "Aus mit der Sache vertrauten Kreisen war zu erfahren "? Mit dieser ins Blaue fabulierten "Argumentation", die keine konkrete Informationsquelle nennt (weil nicht existent?) läßt sich alles und nichts "beweisen". Und wieso behauptet Pascal Lechler, im UN-Bericht würden "Verbesserungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht ausreichend dargestellt"? Im oben zitierten Tagesspiegel-Beitrag wird dieser Aspekt sogar explizit hervorgehoben:
"Gelobt wird, dass die Arbeitsmarktreformen den niedrigsten Stand der Arbeitslosen in den vergangenen 20 Jahren ermöglicht hätten."
Damit übernimmt der UN-Bericht sogar unkritisch die von den hiesigen neoliberalen Kreisen in Politik, Medien und "Wissenschaft" permanent unters Volk gebrachte Behauptung, die "Arbeitsmarktreformen" hätten ein "Jobwunder" ausgelöst. Die tatsächlichen Hintergründe und negativen Begleiterscheinungen dieses angeblichen "Jobwunders" werden in der hiesigen Medienberichterstattung nahezu vollständig ausgeblendet: Statistische Schönfärberei der Arbeitslosendaten, Umwandlung von Vollzeitarbeitsplätzen in Teilzeitjobs, Mini-/Midijobs, drastischer Anstieg der Leiharbeit, Einführung Ein-Euro-"Jobs", massive Ausweitung zeitlich befristeter Arbeitsverhältnisse. Die drastische Ausdehnung des Niedriglohnsektors ging mit dieser Entwicklung Hand in Hand. Auch die massiven Schieflagen innerhalb der Eurozone sind zu einem ganz wesentlichen Teil auf das deutsche Lohndumping und Sozialdumping (der UN-Bericht verweist völlig zu Recht darauf, daß die Grundsicherung von Hartz-IV-Empfängern "keinen angemessenen Lebensstandard" gewähre) der vergangenen Jahre zurückzuführen.
Selbst das dem Bundesinnenministerium unterstellte Statistische Bundesamt titelte in einer am 29. Juni 2010 veröffentlichten Pressemitteilung: "
Rund neun Millionen Menschen wünschen sich (mehr) Arbeit".
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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