Kein »arabischer Frühling«
Hintergrund. Der Krieg gegen Libyen.
Teil I: Über den Charakter der Revolte und die Opposition im Land
Seit über vier Monaten führen Frankreich, Großbritannien und die USA nun schon mit Unterstützung der NATO Krieg gegen die »Sozialistische Libysch-Arabische Dschamahirija (dt.: Herrschaft der Massen)« – mit dem erklärten Ziel, das derzeitige Regime zu stürzen. Seit 120 Tagen gehen Tag für Tag und Nacht für Nacht schwere Bomben und Raketen auf libysche Städte nieder. Dennoch wird die neueste Aggression gegen ein Land des Südens in der westlichen Öffentlichkeit nicht als Krieg wahrgenommen.
Viele, auch in der Linken, halten den Aufstand in Libyen immer noch für eine Fortsetzung des »arabischen Frühlings« und stehen hinter den als »demokratische Opposition« idealisierten »Rebellen«. Vorbehaltlos übernahmen die meisten das von der Kriegsallianz in kürzester Zeit erschaffene Feindbild. Hartnäckig hält sich– ungeachtet aller historischen Erfahrungen – die Hoffnung, die NATO würde eine fortschrittliche Entwicklung im Land herbeibomben.
Außerhalb Europas und Nordamerikas stößt der Krieg auf breite Ablehnung. Hier sind die meisten davon überzeugt, daß er nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung oder für Demokratie geführt wird, sondern für den unmittelbaren Zugriff auf die libyschen Öl- und Gasvorräte. Die parallele militärische Intervention Frankreichs in der Elfenbeinküste und die forcierte Ausweitung der militärischen Präsenz der USA in Afrika deuten zudem auf Ziele hin, die darüber hinausgehen: die Sicherung und Ausweitung westlicher Dominanz auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.
Es begann mit einer Lüge
Eine entscheidende Rolle bei der Manipulation der öffentlichen Meinung spielte der Satellitensender Al-Dschasira, dessen gute Reputation wesentlich zum Erfolg der Propaganda beitrug. Dieser wertete, so der algerische Politologe Djamel Labidi, in erster Linie die von den Aufständischen präsentierten Meldungen zu Nachrichten auf. In einer Zeit, in der wir ständig mit Live-Bildern von den Schauplätzen des Geschehens informiert werden, traten dabei plötzlich »Zeugen« auf, die man nur hört, ohne sie zu sehen, und die ihre Eindrücke schildern, ohne daß sie mit Bildern unterlegt werden.
In der Nacht vom 17. auf den 18. März, d.h., unmittelbar nach dem Sicherheitsratsbeschluß, der die »Willigen« zur Intervention ermächtigte, inszenierte Al-Dschasira beispielsweise ein regelrechtes Drama. »Augenzeugen« erschienen, die behaupteten, die libysche Regierung würde, entgegen ihrer Zusage, die verordnete Waffenruhe nicht respektieren, Regierungstruppen seien »in die Vororte von Bengasi eingedrungen«.
Weitere Propagandalügen – wie etwa die »angeordneten Massenvergewaltigungen« unter Einnahme von Viagra (!) oder der Einsatz von Streubomben durch libysche Truppen – folgten. Obwohl sie meist rasch widerlegt wurden, prägen sie nach wie vor das Feindbild im Westen.
Anders als in Tunis und Kairo
In den anderen arabischen Ländern waren es der soziale Niedergang in Folge der neoliberalen Wirtschaftspolitik, die materielle Not und die völlige Perspektivlosigkeit, die die Leute auf die Straße trieben. Im Vordergrund standen soziale Forderungen. In Libyen hingegen mit seinem relativen hohen Lebensstandard leidet kaum einer materielle Not.2 Im wesentlichen geht es hier um die Verteilung von Einfluß und Macht, um Rivalitäten zwischen Stämmen und zwischen der unter der Monarchie dominierenden, religiös-konservativen Kyrenaika im Osten und dem bevölkerungsreicheren Tripolitanien im Westen. Demokratie und Menschenrechte sind dabei höchstens Rhetorik.3
Zweifelsohne gingen auch in Libyen junge Leute, Anwälte und Akademiker gewaltfrei mit der Forderung nach mehr Freiheit, mehr Demokratie auf die Straße, veröffentlichten Manifeste oder bildeten Arbeitsgruppen, die eine demokratische Verfassung ausarbeiten wollten. Sie waren aber nie besonders zahlreich und in dem Maß, wie die militärischen Auseinandersetzungen eskalierten, wurden sie von den bewaffneten Aufständischen, den abtrünnigen Regierungspolitikern und der gut organisierten Exilopposition an den Rand gedrängt. Mit Beginn der NATO-Intervention waren sie endgültig aus dem Spiel.
Bereits Tage vor den Zusammenstößen am 17.Februar, die als Auslöser der Revolte gelten, hatten oppositionelle Kräfte schon zu massiver Gewalt gegriffen. Am 15.2. waren in Zintan und Al-Baida Polizeistationen in Brand gesetzt worden. Auch in den folgenden Tagen wurden vielerorts Polizeireviere und andere öffentliche Gebäude niedergebrannt. In der Großstadt Al-Baida wurden fünfzig als Söldner bezeichnete Schwarzafrikaner exekutiert und in Bengasi zwei Polizisten gelyncht. Bewaffnete Islamisten stürmten schließlich in Derna ein Armeedepot und den daneben liegenden Hafen, nahmen eine größere Zahl von Soldaten und Zivilisten als Geiseln und drohten sie zu erschießen, falls die libysche Armee sich nicht aus der Stadt zurückziehe.
Es waren diese Angriffe, gegen die die libysche Polizei und Armee mit Waffengewalt vorgingen. In westlichen Ländern hätte man mit Sicherheit nicht zurückhaltender auf eine solche massive Gewalt reagiert.
Was zunächst als Protestbewegung erschien, ging auf diese Weise unmittelbar in einen bewaffneten Aufstand über. Erste Anhaltspunkte über dessen Charakter gaben die sich bald häufenden Berichte über brutale Angriffe von Rebellen auf schwarzafrikanische Fremdarbeiter. »Bekanntlich versucht Ghaddafi wie kein anderer regionaler Führer, das Image des arabischen Rassismus zu durchbrechen«, so Gunnar Heinsohn, Autor des »Lexikons der Völkermorde« in der FAZ. Seine »Bemühungen um Schwarze« komme diese jetzt allerdings teuer zu stehen.
Von langer Hand geplant
Eine zentrale Rolle spielt dabei die Nationale Front für die Rettung Libyens (NFSL). Diese wurde bereits 1982 mit israelischer und US-amerikanischer Unterstützung gegründet, um Ghaddafi zu stürzen. Unter Führung des zur CIA übergelaufenen Kampfgefährten Ghaddafis, Khalifa Haftar, legte sie sich 1988 mit der Libyschen Nationalarmee (LNA) auch einen militärischen Arm zu.
Die NFSL war treibende Kraft hinter den Demonstrationen vom 17. Februar, zu der sie über Facebook und ähnliche Netzwerke mobilisierte. Haftar reiste unmittelbar danach nach Bengasi, um die militärische Führung des Aufstands zu übernehmen.
Die NFSL nutzte sofort ihre guten Kontakte zu den westlichen Politikern und Medien und prägte so maßgeblich die Berichterstattung im Westen über die Auseinandersetzung. Ihr Generalsekretär Ibrahim Sahad zieht seither weiterhin von Washington aus die Fäden, während andere führende Mitglieder eine maßgebliche Rolle im sogenannten ›Nationalen Übergangsrat‹ spielen.
Auch Frankreich und Großbritannien hatten ihre Vorbereitungen offensichtlich schon lange vor dem 17. Februar begonnen. So trafen sich Vertreter der französischen Regierung im Herbst letzten Jahres in Paris mit abtrünnigen libyschen Politikern, darunter der ehemalige Protokollchef und enge Vertraute Ghaddafis, Nouri Mesmari. Vermutlich nahmen die Franzosen auch Kontakt zu libyschen Offizieren in Bengasi, wie dem Luftwaffenoberst Abdallah Gehani, auf, die mit Mesmari konspirierten und einen Aufstand vorbereiteten. All diese Dissidenten gehören seit Februar zur Führung der Aufständischen.
Im November 2010 verabredeten Paris und London auch das gemeinsame Manöver »Südlicher Mistral«, bei dem die Luftwaffen beider Länder die Bekämpfung einer »südländischen« Diktatur üben sollten. Die Vorbereitungen zu der für den 21. März 2011 angesetzten Übung gingen dann nahtlos in die »Operation Morgendämmerung« über – dem am 19. März von französischen Kampfjets eingeleiteten Luftkrieg gegen Libyen. Bereits einen Monat zuvor waren nach Informationen der britischen Zeitung Daily Mail bereits 250 britische Elitesoldaten nach Libyen eingedrungen – d.h. gleich nach Beginn des Aufstands oder sogar schon davor.
Wirtschaftsliberale und Exilpolitiker
An der Spitze steht, als Chef der »Exekutive« des Übergangsrats, Mahmoud Dschibril, der sich bis dahin in der libyschen Regierung als Leiter des Ausschusses für wirtschaftliche Entwicklung um einen radikalen Privatisierungskurs bemüht hatte. Zuvor hatte er lange Zeit an US-amerikanischen Universitäten wirtschaftspolitische Planung gelehrt und war erst 2005 nach Libyen zurückgekehrt. Seinen vertrauten Kontakt zur US-Regierung hatte er, wie die von Wikileaks veröffentlichten Botschaftsdepeschen enthüllten, nie aufgegeben. Darüber hinaus gilt er auch als enger Freund des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, der den Rat als erster anerkannte.
Neben Dschibril sorgt der frühere libysche Wirtschaftsminister Ali Al-Issawi für die enge Abstimmung der Rebellenführung mit der Kriegsallianz. Al-Issawi verlor das für die Privatisierung zuständige Ressort im Streit um den Umfang der wirtschaftsliberalen Reformen, die er, wie Dschibril, gerne radikaler gestaltet hätte. Ebenso eng verbunden mit Washington und ausgewiesen neoliberal ist der »Finanzminister« in der Gegenregierung, Ali Tarhouni. Er ist langjähriger US-Bürger und lehrte bis zum Beginn des Aufstands an der University of Washington Wirtschaft und Finanzwesen. Seine Frau arbeitet als Anwältin im US-Justizministerium.
Eine wichtige Rolle spielt als Vorsitzender des unter der alten Flagge der Monarchie agierenden Übergangsrates auch der ehemalige Justizminister Mustafa Mohammed Abdul Dschalil. Zum Militärchef avancierte, in Abstimmung mit der Westallianz, Abdulfattah Junis, bis dahin Innenminister und Kommandeur der libyschen Sondereinheiten. Er soll vor allem enge Verbindungen zur britischen Regierung haben. Als »Generalstabschef« ist er nun zuständig für die enge militärische Koordination zwischen den Rebellenmilizen und den Kommandeuren der NATO.5
Zum Kreis der Abtrünnigen gehört auch Generalstaatsanwalt Abdul-Rahman Al-Abbar, der kurz nach Junis zu den Rebellen überlief. Somit stehen nun die drei wichtigsten bisherigen Verantwortlichen für die staatliche Repression an der Spitze dessen, was im Westen als demokratische Opposition angesehen wird.
Die drei, die schon beruflich eng verbunden waren, traf die Entwicklung offenbar nicht unvorbereitet. Sie standen vermutlich, wie der ehemalige Protokollchef auch, seit langem mit jenen Kreisen in Verbindung, die den Aufstand planten. Junis hat den Ausbruch der Unruhen vermutlich in seiner Funktion als Innenminister auch direkt gefördert. Nach Angaben eines hochrangigen Polizisten hatten die Sicherheitskräfte bereits am 17. Februar den Befehl vom Hauptquartier in Tripolis erhalten, die Polizeistationen zu verlassen. »Wir wurden aufgefordert, unsere Uniformen auszuziehen und nach Hause zu gehen.«6
Schließlich spielt im Hintergrund noch der frühere Chef der Zentralbank Farhat Omar Bengdara eine entscheidende Rolle. Auch er kommt aus Bengasi und war offensichtlich in die Umsturzpläne eingeweiht. Der wirtschaftsliberale Banker, der wegen seines »Nebenjobs« als Vizepräsident der italienischen Großbank UniCredit sehr oft in Mailand weilte, hatte sich zu Beginn des Aufstands ins Ausland abgesetzt und seine Position genutzt, um den Abzug libyscher Kapitalanlagen aus Europa und den USA solange zu blockieren, bis UN-Sanktionen deren Einfrieren ermöglichten. Er hatte auch engen Kontakt zu Berlusconis Regierung und dürfte dazu beigetragen haben, sie zu überzeugen, trotz der umfangreichen italienischen Geschäfte in Libyen an der Seite der Aufständischen in den Krieg zu ziehen.
Die militärisch erfahrensten Kämpfer in den Reihen der libyschen Opposition scheinen radikal-islamische Veteranen zu sein, die in Afghanistan und im Irak gegen US- und NATO-Truppen kämpften. Ein Teil von ihnen ist in der Libyschen Islamischen Kampfgruppe organisiert, die bereits in den 1990er Jahren Anschläge in Libyen durchführte. Ihre Hochburg ist die östlich von Bengasi liegende Stadt Derna.
Obskures Gremium
Das obskure Gremium, von dessen nominell 31 Mitgliedern bisher nur 13 in Erscheinung traten, repräsentiert – wenn überhaupt – nur einen kleinen Teil der Opposition und keineswegs die des gesamten Landes oder gar – wie die NATO-Staaten glauben machen wollen – des »libyschen Volkes«. Der Rat ist zudem zwischen den verschiedenen politischen und militärischen Befehlshabern gespalten, sein Einfluß auf das lokale Geschehen geht kaum über Bengasi hinaus.
Die anderen aufständischen Städte haben ihre eigene Führung, und auch viele bewaffnete Verbände kämpfen auf eigene Faust. Die Rebellen von Brega z.B., die bisher vergeblich versuchten, die Kontrolle über die Stadt zu erlangen, erkennen seine Autorität nicht an. Er würde in keiner Weise Brega repräsentieren, so ihr Sprecher Mohammed Musa Al-Maghrabi. »Uns erscheint der NTC wie eine ausländische Regierung, voller Nepotismus und Korruption.« Er sei wesentlich geschickter dabei, sich Legitimation unter europäischen Regierungen zu verschaffen als in der libyschen Bevölkerung.
Die größte Rebellenmiliz, die »Märtyrerbrigade des 17. Februar«, steht in direkter Opposition zum Übergangsrat wie auch zu den diversen anderen Milizen. Mehrfach kam es, wie die kanadische Zeitung Globe and Mail berichtete, zwischen diesen zu bewaffneten Auseinandersetzungen.
Die libysche Gesellschaft ist stark stammesbezogen und schon daher wenig geneigt, ferne Autoritäten anzuerkennen. Auch das politische System der »Dschamahirija«, der »Herrschaft der Massen« durch eine direkte Demokratie über die lokalen »Basisvolkskongresse«, hat eher eine dezentrale Selbstverwaltung als eine echte nationale Administration gefördert, so der private texanische Informationsdienst Stratfor. »Ironischerweise war es dieses Erbe von Ghaddafis Regime, das den einzelnen östlichen Städten half, rasch lokale Komitees zu bilden und die Verwaltung ihres jeweiligen Gebietes zu übernehmen. Aber es wird Schwierigkeiten schaffen, sollten sie versuchen, wirklich zusammenzukommen. Die Rhetorik ist weit entfernt von einer handfesten Demonstration der Einheit.«7
Im Westen hat es, mit Ausnahme von Misrata, nie sonderlich große Demonstrationen gegeben. Seit die NATO bombt, dürften auch viele Gegner Ghaddafis wieder hinter ihrer Regierung stehen. »In Libyen gibt es vielleicht Millionen Menschen«, so der norwegische Friedensforscher Johan Galtung, »die Ghaddafi nicht mögen, aber sehr wohl seine Errungenschaften schätzen.«8
Anmerkungen
1 Reinhard Mutz, Libyen: »Lizenz zum Töten?« Blätter für deutsche und internationale Politik, Juni 2011
2 Joachim Guilliard, »Zerstörung eines Landes – Droht Libyen der gleiche Absturz wie dem Irak?« junge Welt, 5.5.2011
3 »Den Demonstranten geht es nicht um Demokratie«, Interview mit Gabriele Riedle, Redakteurin des Magazins Geo, Berliner Zeitung, 21.2.2011
4 Gunnar Heinsohn, »Da schweigt Ghaddafi – Wer sind die Aufständischen«, FAZ 22.3.2011. Siehe auch »African migrants targeted in Libya«, Al Jazeera, 28.2.2011 und Wolfgang Weber, »Libysche Rebellen massakrieren Schwarzafrikaner«, WSWS, 31.3.2011
5 Knut Mellenthin, »Offen und kooperativ – Die ›Revolutionäre‹, denen der Westen vertraut«, jW, 1.4.2011; Prof. Peter Dale Scott, »Who are the Libyan Freedom Fighters and Their Patrons?« The Asia-Pacific Journal Vol 9, Issue 13 No 3, 28.3.2011.
6 Amira El Ahl, »Sie feiern schon ihr neues Libyen«, Welt am Sonntag, 27.2.2011
7 »Libya's Opposition Leadership Comes into Focus«, Stratfor, 20.3.2011
8 Johan Galtung, »Libya: The War Is On«, TRANSCEND Media Service, 28 3.2011
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