Mittwoch, 27. Juli 2011

#Auf #der #Abschußliste - Als Angestellte hatte sie die #schlechte #Behandlung von #Arbeitslosen in #Ein-Euro-Jobs #kritisiert [via Junge Welt]

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»Auf der Abschußliste«

Veronika Kökény klagt gegen ihre Kündigung durch »Werkstatt Frankfurt«. Als Angestellte hatte sie die schlechte Behandlung von Arbeitslosen in Ein-Euro-Jobs kritisiert

Sie besitzt einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. In den 15
Jahren, die sie in der Personalabteilung der »Werkstatt
Frankfurt«, der größten hessischen
Beschäftigungsgesellschaft, arbeitete, hat sie sich als
Gewerkschafterin oft für Kollegen eingesetzt. Dort mußte
Veronika Kökény miterleben, wie Tätigkeiten, die
früher tariflich bezahlt wurden, heute zunehmend nur noch als
»Arbeitsgelegenheiten mit
Mehraufwandsentschädigung«, umgangssprachlich
Ein-Euro-Jobs, vergeben werden. Damit wollte und will sie sich
nicht abfinden. Sie ergriff Partei für die 2008 noch 900 von
dem Verein in solche Niedriglohnjobs vermittelten Menschen. Nicht
nur einmal versuchte die Werkstatt deshalb, die engagierte
64jährige loszuwerden – obwohl sie zu 60 Prozent
schwerbehindert ist. Jetzt, kurz vor ihrer Rente, ist ihr erneut
gekündigt worden. Doch Kökény will sich das nicht
gefallen lassen.



Immer wieder wird behauptet, Hartz- IV-Bezieher, denen sogenannte
zusätzliche Arbeitsgelegenheiten für 1,50 Euro pro Stunde
aufgenötigt werden, wollten gar nicht arbeiten. Das sei
»Unfug«, sagt Veronika Kökény im
Gespräch mit jW. Nur zu den gegebenen Bedingungen wollten das
viele eben nicht mehr: »Sie werden von der Gesellschaft
erniedrigt. Oder möchten Sie vielleicht für einen Euro
pro Stunde im Winter frühmorgens aufstehen und auf dem
Friedhof Blätter einsammeln?«



Eine bei der Gewerkschaft ver.di organisierte Betriebsrätin
der Werkstatt berichtet, Kökény habe immer wieder zu
spüren bekommen, daß ihre Kritik an Schikanen dieser Art
unerwünscht ist. »Sogenanntes Bossing, also Mobbing von
oben durch einen Vorgesetzten« sei ihr gegenüber
jahrelang an der Tagesordnung gewesen. »Sie steht auf der
Abschußliste, man hat sie ständig provoziert, um sie
loszuwerden.« Dies, obwohl sie »für zwei
gearbeitet« habe. Trotzdem hat sich Kökény auch
gegen Vorgesetzte zur Wehr gesetzt, die ihr das Leben
schwermachten. So wandte sie sich im Dezember 2008 mit einer
Beschwerde wegen sexueller Belästigung durch einen
unmittelbaren Vorgesetzten an Werkstatt-Geschäftsführer
Conrad Skerutsch. Statt sie zu unterstützen, drohte dieser ihr
wenige Tage später die fristlose Kündigung an. Wie eine
Kriminelle habe man sie damals von ihrem Arbeitsplatz entfernt, sie
nicht aus den Augen gelassen und bis zum Ausgang eskortiert. Nach
einer Anhörung stimmt selbst der Betriebsrat mehrheitlich
einer Kündigung zu. Einzig das Integrationsamt für
Schwerbehinderte stellte sich dagegen. Deshalb ist Veronika
Kökény bei Zahlung des Gehalts bis zum heutigen Tag
»von ihren Arbeitspflichten freigestellt«.



Unterstützung bekommt sie von der Gewerkschaft ver.di.
Inzwischen hat die Werkstatt ihr Ziel erreicht – vorerst: Am
30. März dieses Jahres stimmte die Widerspruchsstelle des
Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, dem Integrationsamt
übergeordnet, einer fristgerechten Kündigung zu. Was man
ihr vorwirft, findet Andreas Heymann, zuständiger
Gewerkschaftssekretär im Fachbereich Gesundheit, Soziale
Dienste, Wohlfahrt und Kirchen, abenteuerlich: »Man hat den
Spieß umgedreht und jetzt umgekehrt Veronika
Kökény bezichtigt, den Vorgesetzten sexuell
belästigt zu haben, weil sie sich beschwert hat«. Doch
Kökény gibt nicht auf: Sie hat vorm Arbeitsgericht
Frankfurt Klage gegen die Kündigung eingereicht, am 16. August
findet die Verhandlung statt. Für Heymann ist klar, »sie
ist ins Visier des Arbeitgebers geraten, weil sie mit ihrer
konträren Meinung zu den Ein-Euro-Jobbern nicht hinterm Berg
gehalten hat«. Deshalb könne die Kündigung keinen
Bestand haben. Hier werde ein übles Spiel mit einer politisch
mißliebigen Mitarbeiterin getrieben. Zwei bei ver.di
organisierte Betriebsräte haben in der Werkstatt ähnliche
Erfahrungen gemacht: »Jeden, der sich kritisch zu
Ein-Euro-Jobs äußert, versucht man zu
kündigen«, berichtete einer von ihnen im Gespräch
mit jW.



Alarmierend findet Heymann, daß Daniela Birkenfeld (CDU),
Vorstandsvorsitzende des Vereins und Sozialdezernentin der Stadt
Frankfurt, nur »als Frühstücksdirektorin und
Vorstand, der nichts tut«, auftrete. In einem jW vorliegenden
Schreiben lehnte Birkenfeld das Gespräch mit einer
Betriebsrätin ab, die sie über den Fall informieren
wollte. Ihr reiche es aus, »mit dem Geschäftsführer
im Austausch zu sein«, heißt es darin.



Für Heymann ist dieses Verhalten ungeheuerlich. So werde die
Dezernentin nie erfahren, daß die vor die Tür Gesetzte
Jüdin ist, für die der Rauswurf aufgrund ihrer
persönlichen Situation besonders belastend sei.
Kökény wurde 1947 in der ungarischen Kleinstadt
Kecskemét geboren. Ihre Mutter, Margit Sutus, wurde 1941 von
den Nazis nach Theresienstadt verschleppt. Ein Jahr später
konnte sie fliehen, mußte sich danach aber auf einem
Dachboden versteckt halten. In dieser Zeit habe sich Margit Sutus
mit offener Tuberkulose angesteckt, berichtet die
Betriebsrätin. Als sie 1958 mit 36 Jahren an der Krankheit
stirbt, ist Veronika erst zehn. Der Vater ist hoffnungslos
überfordert. Mal ist das Kind bei Pflegeeltern untergebracht,
mal bei Verwandten, dann wieder im Heim.



Die Liebe zu einem jugoslawischen Mann, der in Frankfurt am Main
lebt, führte Kökény 1969 nach Deutschland. Doch
die Ehe hielt nicht lange. So ernährte sie sich lange Zeit
mühsam mit mies bezahlten Jobs, oft ohne Sozialversicherung
– als Näherin, Haushälterin, Kellnerin oder
Putzfrau. Entsprechend gering sind ihre Rentenansprüche.
»Mein Leben lang habe ich mich danach gesehnt, festen Boden
unter den Füßen zu haben« und »nicht
herumgeschubst zu werden«, sagt Veronika Kökény.
Kinder von Nazis hätten sich hingegen meist ins
»gemachte Nest« gesetzt. Vor diesem Hintergrund findet
ver.di-Sekretär Heymann die Kündigung besonders
skandalös. »Nur elf Monate vor ihrem Eintritt in die
Rente kündigt die Werkstatt Frankfurt der seit 15 Jahren dort
beschäftigten schwerbehinderten Mitarbeiterin.« Er
appelliert an Dezernentin Birkenfeld, den Geschäftsführer
Skerutsch anzuweisen, die Kündigung zurückzunehmen.



Verhandlungstermin am Arbeitsgericht Frankfurt am Main: 16.
August, 13 Uhr, Saal C 2.02, Gutleutstraße 130
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