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Trotz Volksentscheid führt Berliner Senat Geheimverhandlungen mit Energiekonzernen
von Hendrik Paul und Verena Nees - www.wsws.org
Vier Monate, nachdem ein erfolgreicher Volksentscheid den Berliner
Senat verpflichtet hat, alle bisher geheimen Verträge aus der
Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe (BWB) offen zu legen,
setzt dieser seine Geheimhaltungspolitik fort.
Die Berliner
Regierungsparteien, SPD und Linke, führen mit den beiden Anteilseignern,
RWE und Veolia nichtöffentliche Verhandlungen, um eine
Rekommunalisierung der Wasserbetriebe einzuleiten. Ziel der Gespräche
ist, so befürchtet der Initiator des Volksbegehrens, der „Berliner
Wassertisch“, die Rückabwicklung des Verkaufs von 1999 mit hohen
Entschädigungen für diese Konzerne, die letztlich über den Berliner
Haushalt und weiterhin hohe Wasserpreise bezahlt werden müssen.
Anlass
des Volksbegehrens waren die massiven Preissteigerungen für Wasser in
Berlin seit der Teilprivatisierung der Wasserbetriebe. Wie das
Bundeskartellamt inzwischen festgestellt hat, liegen die
Trinkwassertarife in Berlin im Vergleich mit Großstädten wie München,
Hamburg und Köln um rund 23 Prozent höher.
Im Jahr 1999 hatte der
damals von CDU und SPD geführte Senat 49,9 Prozent der Anteile der BWB
für etwa 1,68 Mrd. Euro an ein Konsortium verkauft, das heute aus dem
größten und dem drittgrößten Wasserversorger der Welt besteht, der
Veolia Wasser und der RWE Aqua. An der Auswahl der Investoren war
seinerzeit Klaus Wowereit als finanzpolitischer Sprecher der
SPD-Fraktion und als Mitglied einer zwölfköpfigen Steuerungskommission
des Bieterverfahrens maßgeblich beteiligt.
In den lange Zeit
geheim gehaltenen Verträgen wurde mit den privaten Konzernen eine
Renditegarantie vereinbart, die ihnen unabhängig von ihren Anteilen und
unabhängig vom Betriebsergebnis hohe Gewinne sicherte. Sollte das
Unternehmen diese Gewinne nicht abwerfen, hätte der Berliner
Landeshaushalt in Haftung genommen werden müssen. Dies wurde zusätzlich
auf alle denkbaren Fälle ausgeweitet, in denen Gerichtsentscheide oder
neue Gesetze die Profite schmälern könnten, wie z.B. eine neue
Tarifordnung des Landes, ein neues Wassergesetz, erweiterte Steuern und
Abgaben oder einfach die gerichtlich festgestellte Nichtigkeit von
Passagen des Vertragswerkes. In all diesen Fällen müsste der
Landeshaushalt die verloren gegangenen Profite auffüllen.
Als
2001 die Regierungskoalition von SPD und PDS an die Macht kam, wurde der
Vertrag mit Veolia und RWE im Wesentlichen übernommen. Die
Wasserbetriebe blieben teilprivatisiert, und ab 2004 – bis dahin waren
die Tarife eingefroren - legte Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke),
zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Berliner Wasserbetriebe (BWB),
Jahr für Jahr Gebührenerhöhungen für das Wasser fest, um die hohen
Renditezusicherungen zu erfüllen.
Inzwischen haben RWE und Veolia
Gewinne in Höhe von 1,3 Mrd. Euro eingestrichen. Die Berliner
Verbraucher waren dagegen mit einer überdurchschnittlichen Steigerung
der Wasserpreise ab 2004 konfrontiert, im ersten Jahr gleich um 15
Prozent und bis heute um weitere 20 Prozent.
Zur gleichen Zeit
ist die Belegschaft der Wasserbetriebe trotz des Verbots von
betriebsbedingten Kündigungen von über 7.000 Mitarbeitern Mitte der
1990er Jahre auf etwa 4.700 am Ende des Jahres 2009 geschrumpft, und
jährlich werden es etwa 100 weniger. Die Investitionen wurden drastisch
gekürzt, was zusätzlich etwa 8.000 Arbeitsplätze in
Mittelstandsbetrieben vernichtet hat, weil Aufträge für die Wartung des
Rohrleitungsnetzes entzogen wurden.
Als Ende 2006 einige
Mitglieder von Attac, der Grünen Liga, der Berliner Mietergemeinschaft
und anderen Gruppen den „Berliner Wassertisch“ ins Leben riefen und
begannen, Unterschriften für ein Volksbegehren zu sammeln, mit dem die
Offenlegung der Privatisierungsverträge durchgesetzt werden sollte,
wurde dies zum Kristallisationspunkt für den wachsenden Unmut in der
Bevölkerung über immer neue Steigerungen der Wohnkosten.
Im März
2008 wurde erstmals das Volksbegehren beantragt, aber der Senat lehnte
ab – mit der Begründung, eine solche Forderung greife in den
Vertrauensschutz und die Eigentumsgarantie ein und sei daher „mit dem
Grundgesetz nicht vereinbar“ (Innensenator Erhart Körting, SPD).
2009
wurde diese undemokratische Entscheidung des Senats durch das
Landesverfassungsgericht kritisiert und der Senat verpflichtet, das
Volksbegehren zuzulassen. Innerhalb von wenigen Monaten wurden weitaus
mehr Unterschriften gesammelt als erforderlich. In einem weiteren
Entscheid des Landesverfassungsgerichts im Juli 2010 wurde der Senat
verpflichtet, Einblick in alle Akten des Vertragswerks zu gewähren. SPD
und Linke reagierten darauf mit der Behauptung: Nun sei ein
Volksentscheid überflüssig.
Inzwischen hat sich herausgestellt,
dass auch heute noch Vertragsteile unveröffentlicht sind. Nachdem es
nicht gelang, einen Volksentscheid zu verhindern, versuchten SPD,
Linkspartei ebenso wie CDU und FDP im Verbund mit den Medien, den Termin
der Abstimmung mit Schweigen zu übergehen; der Berliner
Linksparteichef, Klaus Lederer, bemühte sich unentwegt, die
Wahlbevölkerung zu demobilisieren, indem er betonte, auch ein Erfolg des
Volksentscheids bleibe folgenlos.
Umso überraschender war das
Ergebnis: Rund 666.000 Berliner Wahlberechtigte stimmten - gegen die
Empfehlung des Senats und des Abgeordnetenhauses - mit Ja. Diese Zahl
bedeutete 98,2 Prozent aller Teilnehmer am Volksentscheid und fast 27
Prozent, also eindeutig mehr als die erforderlichen 25 Prozent aller
Wahlberechtigten. Wollte man den Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus an
ein solches Quorum binden, stünde dieses seit zehn Jahren leer. Selbst
wenn die regierenden Parteien, die SPD und die Linke, bei der letzten
Wahl 2006 ihre Stimmen zusammengelegt hätten, wären sie an der 25
Prozent Hürde gescheitert und kämen nur auf 609.239 Stimmen.
Der
Erfolg des Volksentscheids war ein deutliches Plebiszit gegen den Senat.
Die Berliner nutzten die Gelegenheit nicht einfach zum Votum gegen die
hohen Wasserpreise und Mieten, sondern gegen die ganze Politik von SPD
und Linkspartei, die in den letzten zehn Jahren die Lebensverhältnisse
der Arbeiter und der Armen der Stadt drastisch verschlechtert hat. Die
Privatisierung öffentlicher Dienstleistungsbetriebe wie der Wasser- und
Stromversorgung, der S-Bahn, von Kliniken und gemeinnützigen
Wohnungsgesellschaften hat der Privatwirtschaft und einigen reichen
Glücksrittern und Investoren neue Gewinnchancen verschafft, für die
Mehrheit der Bevölkerung aber ist das Leben in der Stadt zusehends
erschwert worden.
Am Tag nach der Abstimmung versuchten die
Regierungsparteien, das Ergebnis auf den Kopf zu stellen und für sich zu
vereinnahmen. Der regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD)
bezeichnete das Votum als direkte Unterstützung für seine Politik und
erklärte auf einer Pressekonferenz: „Das betrachte ich auch als
Rückendeckung für das Ziel des Senats, ehemals privatisierte Anteile an
den Wasserbetrieben zurückzukaufen.“ Seitdem ist innerhalb der Regierung
offener Streit ausgebrochen. SPD und Linkspartei beschuldigen sich
gegenseitig, für die zu hohen Preise verantwortlich zu sein. So warf
Wowereit seinem Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) vor: "Herr Wolf
[hätte] als Wirtschaftssenator und BWB-Aufsichtsratschef stärker
hinsehen müssen". Dieser konterte in der Berliner Zeitung mit
der Feststellung, dass Wowereit den Privatisierungsverträgen 1999
zugestimmt habe, in denen den Investoren „lukrative Gewinnaussichten
über die Preisgestaltung zugesichert wurden“.
Auch die Grünen
reklamierten den Sieg des Volksbegehrens für sich. Aus durchsichtigem
wahltaktischem Kalkül attackieren sie insbesondere die Linkspartei und
fordern den Rücktritt von Wirtschaftssenator Wolf. Auch haben sie sich
die Forderung des Wassertischs nach öffentlichen Verhandlungen mit den
Anteilseignern zu eigen gemacht, die von den übrigen vier Parteien SPD,
Die Linke, CDU und FDP am 14. April mehrheitlich abgelehnt wurde.
Tatsache ist allerdings, dass auch die Grünen das Volksbegehren nicht
aktiv und offiziell unterstützt hatten, wie Vertreter des Wassertischs
kritisierten. Bei einer Diskussion mit Renate Künast in
Berlin-Zehlendorf Mitte März antwortete diese auf die Frage, was sie als
Regierende Bürgermeisterin mit den Wasserbetrieben machen würde, sie
sei zwar grundsätzlich gegen Privatisierung, aber „wir achten auch aufs
Geld“.
Keine der im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen
Parteien lehnt die Privatisierung der kommunalen Dienste prinzipiell ab,
oder stellt die damit verbundenen Profiterwartungen der Konzerne in
Frage. Die Beteiligung privater Investoren an den öffentlichen Aufgaben
wird im Gegenteil mehr und mehr als Ausweg aus der Schuldenkrise
betrachtet.
Eine „Rekommunalisierung“ oder Rückführung von
privatisierten Betrieben in staatliche Verwaltung kann unter diesen
Bedingungen nur heißen, dass künftig die Landesregierung selbst die
Gelder aus der Bevölkerung presst, um die Forderungen der Banken zu
erfüllen. Ein drastisches Beispiel liefert die Stadt Potsdam: Sie
beendete im Jahr 2000 nach nur zwei Jahren die Öffentlich-Private
Partnerschaft mit einem Konsortium aus den Konzernen Thyssen
(Deutschland) und Suez (Frankreich), die 49 Prozent der Anteile an der
Wasserwirtschaft der Stadt hielten. Potsdam rekommunalisierte das
Wasser. Im Jahr 2008 stellte eine Studie fest, dass in Potsdam im
Vergleich der 100 größten Städte Deutschlands die höchsten Wasserpreise
zu zahlen sind.
Besonders zynisch ist die Haltung der
Linkspartei. Dessen Landesvorsitzender Klaus Lederer wollte erst gegen
das Ergebnis des Volksentscheids klagen; dann schlug er vor, die Bürger
sollten sich durch eine Genossenschaft selbst finanziell an den
Wasserbetrieben beteiligen. Dies sei eine gute Möglichkeit, um „dem
neuen Verlangen nach unmittelbarem bürgerschaftlichen Engagement“
gerecht zu werden. Durch zusätzliche Genossenschaftsbeiträge soll die
Bevölkerung dann doppelt zur Kasse gebeten werden, während die
Entscheidungsgewalt in den Händen des Senats und der Banken bleibt.
Hier
zeigt sich auch die beschränkte Perspektive des „Berliner
Wassertischs“. Er benutzt seine durch den Volksentscheid erlangte
Autorität dazu, die berechtigte Wut in großen Teilen der Bevölkerung in
die alten korrupten Kanäle des Berliner Politikbetriebs zu lenken. Er
appelliert ausgerechnet an die Mitarbeit der Parteien und Abgeordneten,
die sich mehrheitlich gegen das Volksbegehren gestellt hatten, um das
Ergebnis des Volksentscheids umzusetzen.
Der bisherige Sprecher
des Wassertischs, Thomas Rudek, erklärt, man müsse nun mithilfe guter
Juristen eine kostengünstige Rekommunalisierung durchsetzen. Er und die
anderen Vertreter des Wassertischs waren von der Mobilisierung gegen den
Senat überrascht und machen seitdem immer wieder deutlich, dass es
ihnen hauptsächlich um bessere staatliche Regulierung und eigene
Mitsprache im bürgerlichen Politikbetrieb gehe.
Der
Volksentscheid und die Entwicklung seitdem haben die Frage aufgeworfen,
wie der Kampf gegen den Senat und seine unsoziale Politik weiter geführt
werden soll. Das ist vor allem eine Frage der politischen Perspektive.
Was alle Parteien im Abgeordnetenhaus, auf Regierungs- und
Oppositionsbänken miteinander vereint, ist ihre Anerkennung des
kapitalistischen Profitsystems und damit ihre Unterordnung unter die
Interessen der Konzerne und Banken.
Der Kampf gegen
Privatisierung ist daher untrennbar mit einer sozialistischen
Perspektive verbunden. Nur die Partei für Soziale Gleichheit (PSG), die
in den kommenden Berliner Wahlen antritt, vertritt ein solches Programm.
Sie würde im Abgeordnetenhaus gegen jede Entschädigung der Konzerne bei
Annullierung der Verträge votieren und für einen von Arbeiter- und
Verbraucherkomitees kontrollierten Betrieb der Versorgungseinrichtungen
eintreten, der an den Bedürfnissen der einfachen Bevölkerung orientiert
ist und durch höhere Besteuerung der Großbetriebe, Banken und
Großvermögen finanziert wird.
Siehe auch:
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