Freitag, 24. Juni 2011

Abzocke bei Patienten - Die Tricks vieler Hörgeräte-Akustiker mehr in #KONTRASTE in #EinsExtra am 24.06. um 20:15 Uhr [ARD-Digital]


Abzocke bei Patienten –

Die Tricks vieler Hörgeräte-Akustiker

[KONTRASTE- Sendung vom 23.06.2011]
 
http://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste_vom_23_06/abzocke_bei_patienten.html
 

Gerade im Alter wird ein Hörgerät für viele Menschen immer wichtiger. Der Markt ist schwer umkämpft. Viele Hörgeräteakustiker versuchen jedoch mit allen Mitteln, die teuersten Geräte zu verkaufen. Dabei sind die kostenlosen Kassenmodelle nicht schlechter. Viele Menschen zahlen unnötigerweise Tausende Euro drauf.

Das kommt selten vor: Ein Beitrag ist noch gar nicht gesendet und schon versucht man uns unter Druck zu setzen. Unser angekündigter Bericht über Hörgeräte hat offenbar für große Aufregung in der Branche gesorgt. In einer E-Mail droht uns ein Branchenmitglied: Man habe "Beziehungen zu Bundestagsabgeordneten und einflussreichen Menschen in der Wirtschaft." Angst vor einer Veröffentlichung? Uns zeigt dies nur: Wir haben mit unserem Thema offenkundig ins Schwarze getroffen. Caroline Walter und Andrea Everwien berichten, mit welchen Methoden viele Hörgeräte-Akustiker ihre Kunden offenbar über den Tisch ziehen.

Rentner Rolf vom Orde ist eigentlich ein aktiver Mensch, der anderen gern ehrenamtlich hilft. Doch zur Zeit hockt er meistens zuhause. Denn er hat ein Problem: Er ist schwerhörig und bräuchte dringend ein Hörgerät. Das Rezept dafür hat er auch. Er will ein Kassengerät - ohne Zuzahlung. Aber genau das wollte ihm wohl kein Hörgeräteakustiker verkaufen.
 
Rolf vom Orde
"Bei diesen Hörgeräteakustikern habe ich dann erlebt, dass man mir wirklich nur ein teures Gerät verkaufen wollte, bei dem ich 1000 Euro und mehr zuzahlen musste."

Drei verschiedene Geschäfte hat das Ehepaar besucht. Im ersten Laden hieß es: Ein Kassengerät, nein, das habe man nicht da. Das müsse man erst bestellen. Nach vier Wochen dann die Mitteilung: Leider habe man die Bestellung vergessen. Und so ging es weiter.

Margot vom Orde
"Wenn es um die zuzahlungsfreien Geräte ging, da waren die sich alle einig: Man könnte das nicht einstellen, sind minderwertig vom Aussehen, jeder sähe das, diese dicke Dinger hinterm Ohr."

Rolf vom Orde
"Man hat mich dann gefragt, ob mein Nachbar sehen sollte, was ich denn für eine Krankenkassengurke im Ohr hätte."

Schließlich konnte Herr vom Orde doch noch ein Kassengerät testen. Aber kaum war er damit auf der Straße, platzte ihm schier der Kopf - es war quälend laut. Der Rentner hat den Verdacht: Das Gerät wurde falsch eingestellt.

Rolf vom Orde

"Man hat dann das Gefühl, diese Einstellungen werden absichtlich vorgenommen, um diese Geräte eben schlecht zu reden, um dann ein teures Gerät zu kaufen, wo man dann die entsprechende Zuzahlungen leisten muss."

Zwischen 1300 und 2000 Euro sollte er aus eigener Tasche dazu zahlen - nur dann hätte er ein vernünftiges Gerät. Das Rentnerpaar fühlte sich enorm unter Druck, vom Orde ließ sich überreden, einige teure Geräte zu testen - wollte sie dann aber nicht.

Rolf vom Orde

"Nachdem ich diese zuzahlungspflichtigen Geräte dann zurückgegeben habe, bin ich derart herauskomplimentiert worden, dass man gesagt hat, mit anderen Worten: 'Sie haben hier nichts mehr zu suchen. Diese billigen Geräte verkaufen wir nicht.'"

Die Folge: Bis heute hat Herr vom Orde kein Hörgerät - trotz Verordnung vom Arzt.

Ein unglaublicher Vorgang - findet man beim Bundesverband der Verbraucherzentralen.

Ilona Köster-Steinebach, Verbraucherzentrale Bundesverband
"Das sind definitiv keine Einzelfälle. Es ärgert uns sehr, dass dort diesen Menschen eingeredet wird, sie bekämen keine Kassenleistung, die angemessen wäre."

Denn die gesetzlichen Krankenkassen haben für ihre Versicherten extra Verträge mit der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker abgeschlossen. Sie vertritt die Mehrheit der über 4000 niedergelassenen Akustiker in Deutschland. Im Vertrag der Ersatzkrankenkassen heißt es konkret:

Zitat
"Der Versicherte erhält mindestens zwei eigenanteilsfreie Versorgungsangebote ... entsprechend dem festgestellten Hörverlust."

Auch mit der AOK gibt es eine solche Vereinbarung:

Zitat
"Der Hörgeräteakustiker garantiert eine eigenanteilsfreie Versorgung … mit modernen, hochwertigen Hörsystemen."

Immerhin zahlen die Kassen für ein Paar Hörgeräte rund 1200 Euro als Festbetrag an die Akustiker.

Ilona Köster-Steinebach, Verbraucherzentrale Bundesverband

"Sie bekommen zum Festbetrag für die Kassen ein Hörgerät, das Ihnen nicht nur ermöglicht, in einem ruhigen Raum ein Gespräch zu führen, sondern eben auch in einem lauten Raum ein Gespräch zu führen oder auch einen Zuruf über eine Straße hinweg zu verstehen oder sicherlich auch einigermaßen in ein Kino zu gehen und einen Film verfolgen zu können."

Also: Mit einem Kassengerät kommen die meisten im Alltag auch gut zurecht - und genau darüber müssten die Akustiker ihre Kunden fair aufklären.

KONTRASTE hat die Probe gemacht - unsere Testperson Herbert Schmidt ist selbst schwerhörig. Beraten Akustiker wie vorgeschrieben - oder schwatzen sie ihm teure Geräte auf? Schmidt geht für uns in mehrere große Hörgeräteläden.

Im ersten wird ihm zwar ein Kassengerät gezeigt - offenbar aber nur, um es gleich schlecht zu reden.

Verkäuferin (Gedächtnisprotokoll)
"Wenn man das möchte, hat man ein sehr einfaches Gerät, wo man nur laut und leise stellen kann, an- und ausmachen. Wenn man noch relativ aktiv ist, dann würde ich auf jeden Fall eins mit Zuzahlung nehmen - da ist die Technik besser."
 
Dann zeigt sie ihm ein Gerät, das sie empfehlen könnte.

Verkäuferin (Gedächtnisprotokoll)

"Hier sind wir ungefähr bei 1100 Euro pro Ohr an Zuzahlung."

Das nächste Akustikergeschäft: Hier erwähnt die Verkäuferin die Kassengeräte erst gar nicht - obwohl sie dazu verpflichtet ist. Von vornherein werden nur teure Geräte vorgestellt.

Verkäuferin (Gedächtnisprotokoll)
"Also, da fängt die Zuzahlung für beide bei 2500 Euro an. Das sind dann Hörgeräte von führenden Herstellern."

Als unser Rentner schluckt, kommt ein scheinbar großzügiges Angebot:

Verkäuferin (Gedächtnisprotokoll)
"Also, wir bieten auch immer Ratenzahlung an."

Herr Schmidt fragt jetzt selbst nach einem Kassengerät, ob er mal eins sehen könnte. Die Verkäuferin behauptet, sie hätte keins da, nur etwas Ähnliches.

Verkäuferin (Gedächtnisprotokoll)
"Aber das sind Geräte, die alles gleich laut machen, die unterscheiden nicht zwischen Sprache und Störlärm."

Am Ende rät sie Rentner Schmidt zu Hörgeräten ab einer Zuzahlung von 2300 Euro. Selbst unsere Testperson zeigt sich beeindruckt von solchen Verkaufskünsten.

Herbert Schmidt

"Ich glaube doch, dass man dann ganz oft zu diesen teureren Geräten greifen würde."
KONTRASTE
"Kennen Sie jemanden, der das auch gemacht hat?"
Herbert Schmidt
"Ja, mein Freund hat das gemacht, und der hat pro Gerät 2000 Euro bezahlt."

Wir sind in Mannheim, beim Akustikergeschäft Koob. Seit 50 Jahren werden hier Hörgeräte verkauft, viele davon sind Kassengeräte. Sind sie so schlecht, wie man dem Verbraucher weismachen will?

Thomas Frey, Hörgeräte Koob, Mannheim
"Nein, das kann ich widerlegen. Selbst zuzahlungsfreie Hörgeräte kann man breitbandig anpassen. Man kann ganz individuell auf die Hörminderung des jeweiligen Kunden eingehen. Es gibt Automatiken, die entsprechend die Hörsituationen mit umschalten."

Bei Koob sieht man es kritisch, mit welchen Tricks manche in der Branche arbeiten - um dem Kunden günstige Geräte auszureden.

Thomas Frey, Hörgeräte Koob, Mannheim
"Teilweise muss ich ganz ehrlich sagen, ich sehe, dass einfach Hörgeräte möglicherweise nicht richtig dargestellt oder eingestellt werden, um den Kunden zu verunsichern, um natürlich auch mittel- oder hochpreisig verkaufen zu können."

Wir haben die Bundesinnung der Hörgeräteakustiker gefragt, was sie zu unseren Recherchen sagt. Eine Antwort bekommen wir nur schriftlich:

Zitat

"Der Bundesinnung ist nicht bekannt, dass Versicherten keine zuzahlungsfreien Hörgeräte angeboten werden."

Und die Krankenkassen? Sie schauen dem Treiben der Akustiker offenbar zu statt die Abzocke zu unterbinden. Dabei wären Sanktionen möglich, nämlich eine "Vertragsstrafe bis zu 10.000 Euro".

Doch die Kassen verhängen so gut wie keine Strafen - warum auch, es ist ja der Patient, der draufzahlt, nicht die Kasse. Das Rentner-Ehepaar vom Orde ist enttäuscht.

Margot vom Orde
"Ich würde wirklich sagen, der Patient müsste vor solchen Akustikern geschützt werden. So kann man doch wirklich nicht mit einem Patient umgehen, der unbedingt ein Hörgerät braucht. Er ist ja diesen Leuten bedingungslos ausgeliefert."

Natürlich haben wir auch die Kassenverbände zu diesem Thema um ein Interview gebeten, leider wollte man sich hierzu vor der Kamera nicht äußern. Solange die Kassen also nichts unternehmen, bleibt nur eins: Augen auf beim Hörgerätekauf und Preise und Angebote gründlich vergleichen.

Autorinnen: Caroline Walter und Andrea Everwien




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