Die sitzen in Kneipen und sind dagegen
In Bad Nenndorf entwickelt sich ein Nazi-Aufmarsch zum Großereignis
Er sieht ein wenig anders aus, der sogenannte Trauermarsch von Bad Nenndorf. Anders zumindest als andere Gedenkmärsche von Neonazis. Bis zu 1.000 Nazis laufen seit 2006 jedes Jahr im August durch den niedersächsischen Kurort. Gesenkte schwarze Fahnen, Trommeln, Blockformation mit Transparenten, rituelles Schreiten zum "Ort des Geschehens" - bis dahin ist es ein Aufmarsch, wie es in den letzten Jahren leider viele gab: in Wunsiedel oder Halbe, in Dresden oder Magdeburg.
In Bad Nenndorf trägt man seit 2009 jedoch Weiß: weiße T-Shirts, weiße Hemden, weiße Blusen. Das war ursprünglich nicht ganz freiwillig. Die Polizei hatte am 1. August 2009 T-Shirts an die marschierlustigen Neonazis verteilt - man wollte die Entstehung eines sogenannten Schwarzen Blocks verhindern.
Das ist jedoch kräftig in die Hose gegangen. Zwar waren die anreisenden Neonazis zunächst erzürnt über das Vorgehen der Polizei. Doch man machte aus der Not quasi eine "nationalsozialistische Tugend": Zu Beginn der 1930er Jahre trug auch die SA weiße Hemden und zwar dann, wenn die Behörden das Marschieren dadurch zu unterbinden versuchten, dass sie den Nazis das Tragen des "Braunhemds" untersagten.
Das wissen auch heutige Neonazis, und so waren die meisten TeilnehmerInnen auch 2010 hell gekleidet. Eine Nebensächlichkeit, könnte man meinen. Doch hier zeigt sich, dass der Nationalsozialismus für heutige Nazis sehr wohl einen wichtigen Bezugsrahmen darstellt. Die Organisatoren des Trauermarsches würden einen großen Bogen um das Thema Nationalsozialismus machen, meint Steffen Holz vom Bad Nenndorfer Bündnis gegen Rechtsextremismus. Damit unterscheide sich der Aufmarsch beispielsweise von denen, die bis 2005 im bayerischen Wunsiedel zu Ehren von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß stattgefunden haben.
Es ist jedoch weniger die konkrete Thematisierung, die den NS-Bezug bei diesen Anlässen herstellt. Vielmehr ist es der Subtext, der sich im transportierten Geschichtsbild, in Ritualen und Symbolen ausdrückt. Das ist auch bei Aufmärschen wie in Dresden, Magdeburg oder Lübeck der Fall. Auch hier geht es auf den ersten Blick nur um "deutsche Opfer".
Bad Nenndorf: NS-Totenkult und Hitler-Lieder
Und was den Subtext angeht, bleiben in Bad Nenndorf keine Fragen offen. Da wird gemeinsam "Ein junges Volk steht auf" gesungen, früher Pflichtlied der Hitler-Jugend. Auch die nationalsozialistische Totenweihe darf nicht fehlen: "Ich rufe die Toten von Bad Nenndorf", tönt es durch den Ort. Stellvertretend für die Toten antworten Hunderte Nazis mit: "Hier!"
Aber was treibt eine wachsende Zahl an Neonazis in den letzten Jahren immer wieder nach Bad Nenndorf? Auslöser war ein Artikel von Ian Cobain im britischen Guardian aus dem Jahr 2005. Er hatte nach Ablauf der Sperrfrist beim britischen Innenministerium Akteneinsicht zu den Vorgängen im Wincklerbad in Bad Nenndorf beantragt.
Das Wincklerbad wurde von 1945 bis 1947 vom britischen Geheimdienst als Internierungslager für zum Teil hochrangige NS-Funktionäre genutzt, darunter Kurt Parbel, Abteilungsleiter im NS-Propagandaministerium oder Oswald Pohl, Leiter des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes, Obergruppenführer und General der Waffen-SS.
Durch die freigegebenen Dokumente wurde bestätigt, dass es im Zuge der Verhöre zu Misshandlungen gekommen war. Nach den Aktenaufzeichnungen waren in der gesamten Zeitspanne 372 Männer und 44 Frauen inhaftiert, von denen mindestens drei Männer in der Gefangenschaft starben.
Bad Nenndorf stellt eine Ausnahme in der britischen Internierungspolitik dar. Das sehen Neonazis jedoch ganz anders. Nach ihrer Ansicht ist Deutschland der Zweite Weltkrieg quasi aufgezwungen worden - und zwar nicht unwesentlich durch den "Kriegstreiber" Churchill.
Dieser ist im neonazistischen Geschichtsbild der Inbegriff des Bösen: Er sei Schuld am "Bombenterror" von Dresden, Magdeburg oder Lübeck. Auf sein Wirken hin habe der Geheimdienst MI5 Rudolf Heß im Militärgefängnis Spandau ermordet. Und schließlich stehe er auch hinter den "erpressten Geständnissen" von Bad Nenndorf. Und so zierte sein Konterfei ein Transparent der Freien Kräfte Dresden, das im letzten Jahr in Bad Nenndorf mitgeführt wurde. "Mord am deutschen Volk. Kein Vergeben, kein Vergessen den alliierten Kriegs- und Nachkriegsverbrechen", war darauf zu lesen.
Aus Sicht der Neonazis wurden in Bad Nenndorf aber nicht einfach nur Geständnisse "erpresst". Sie hätten "viele Verurteilungen in Nürnberg erst gestattet", schreiben die Organisatoren.
Mehr noch: Sie seien "das Grundgefüge der von den Besatzern künstlich geschaffenen BRD". Mal wieder die alte Leier vom "Besatzerstaat" also, vom "BRD-Lügensystem". Und natürlich ist da das Gerede von der ominösen Wahrheit nicht weit. "Sie fürchten die Wahrheit, und sie fürchten die Träger dieser Wahrheit", heißt es.
Überall, wo es um geschichtsbezogene Anlässe geht, wo mythische Erzählungen um historische Ereignisse konstruiert werden, ist das zentrale Kleinod der Neonazis "die Wahrheit". Sie an Stelle irgendwelcher Toten zu verkünden, begreifen sie als ihren Auftrag. Dies ist der Motor, der sie jedes Jahr von Neuem zu den Aufmärschen fahren lässt. Entsprechend endet der Aufruf zum diesjährigen "Trauermarsch" mit den Worten: "Deine Stimme für die Wahrheit - denn Wahrheit macht frei!"
In der neonazistischen Sicht auf die Ereignisse von Bad Nenndorf finden sich sowohl Elemente der Erzählung von Rudolf Heß als auch vom Mythos Dresden. Es sind - nicht nur, aber auch - NS-Funktionäre, die im Wincklerbad inhaftiert waren. Auf der anderen Seite lässt sich jedoch das "menschliche Leid" - ähnlich wie in Dresden - fokussieren. So lamentiert die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck darüber, dass Deutsche heutzutage, wenn nicht als Täter, dann höchstens als "Opfer zweiter Klasse" angesehen würden.
Der Bezug auf den Nationalsozialismus lässt sich also durchaus verklausulieren, um die Anschlussfähigkeit zu erhöhen. Das Feindbild, konstruiert aus einem Mix von Geheimdienst, Wahrheit und Lüge, liefert zudem einen Bezug zum Jetzt: Besatzer foltern und morden - gestern und heute, hier und auf der ganzen Welt.
Ein Mix aus Geheimdienst, Wahrheit und Lüge
Man setzt offensichtlich viel Hoffnung in den Marsch in der niedersächsischen Kleinstadt. Und die Zahlen scheinen dies leider zu bestätigen: Von einer Handvoll Nazis 2006 ist die Teilnehmerzahl bereits in den vierstelligen Bereich geklettert. Man tut auch einiges dafür. Die Aktion "Da ist was unterwegs" geht nun schon ins zweite Jahr. Hierfür fotografieren sich Nazis mit einer Art Wandertransparent, beschrieben mit dem Slogan "Achtung! Britisches Folterlager Bad Nenndorf". Sinn und Zweck dieser Übung bleibt wohl ihr Geheimnis.
Neu hingegen ist in diesem Jahr die Aktion "Ich fahre nach Bad Nenndorf". In Videobotschaften erzählen mehr oder weniger namhafte Nazis ihre Beweggründe. Hier wird die Verbindung zu anderen Anlässen deutlich: Andreas Bier von der Initiative gegen das Vergessen, die seit Jahren den Aufmarsch in Magdeburg organisiert, ist ebenso dabei wie Maik Müller vom Aktionsbündnis gegen das Vergessen (AgdV). Das AgdV mobilisiert seit 2007 Freie Nationalisten zum 13. Februar nach Dresden.
Auch NPDler sind mit dabei. Und so stammelt Rigolf Hennig von der NPD Verden seine Meinung zu den Zuständen in Bad Nenndorf in die Kamera. "Statt sich da zu beteiligen an der Demonstration der Jugend, die die Wahrheit ans Licht bringen will, sitzen die in Kneipen, lästern und sind dagegen." Gemeint ist die örtliche Bevölkerung. Das ist doch mal eine gute Nachricht.
Maike Zimmermann
6. August Bad Nenndorf: Offensiv stoppen. Kreativ sabotieren
Jedes Jahr im August finden nicht nur Hunderte von Neonazis den Weg nach Bad Nenndorf, auch die Polizei ist stets mit einem Großaufgebot vor Ort. Dies und Auflagen gegen antifaschistische Demonstrationen führten dazu, dass der Aufmarsch zwar immer wieder verzögert und gestört, jedoch bisher nicht verhindert wurde.
Doch man lässt sich auf antifaschistischer Seite davon nicht entmutigen: "Dresden und andere Städte haben gezeigt: Mission possible!", heißt es in einem Aufruf. Im letzten Jahr ketteten sich GegendemonstrantInnen an eine Betonpyramide vor dem Wincklerbad und sorgten damit für Verzögerungen. Dementsprechend heißt es in diesem Jahr: Offensiv stoppen. Kreativ sabotieren. Infos unter www.badnenndorf.tk
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