Mittwoch, 1. Juni 2011

#Neupositionierung der #Grünen in der #Zeit des #schwarzen #Atomausstiegs [via Spiegelfechter.com]


Neupositionierung der Grünen in der Zeit des schwarzen Atomausstiegs

von Stefan Sasse

[via Spiegelfechter.com]

http://www.spiegelfechter.com/wordpress/6155/neupositionierung-der-grunen-in-der-zeit-des-schwarzen-atomausstiegs


Noch vor der Vorlage des Berichts der Ethikkommission hat die schwarz-gelbe Koalition den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg beschlossen. Die große Frage ist nun, ob die Grünen dem Ausstiegsplan zustimmen werden.

 

Während das Aushängeschild des linkeren Grünen-Flügels – der so genannten "Fundis" -, Jürgen Trittin, es öffentlich als "unwahrscheinlich" bezeichnet und auf ein Ausstiegsdatum zwischen 2017 und 2022 pocht, erklärt Claudia Roth gleichzeitig im Interview einige sachliche Probleme mit dem schwarz-gelben Konzept, die eine grüne Zustimmung gefährden, während Boris Palmer eigentlich intern, aber doch irgendwie öffentlich darüber nachdenkt, linke Positionen wie Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare und Alkoholverbot in Innenstädten aufzugeben und im 25%-Bereich Wähler gewinnen und halten zu können. Diese Rollenverteilung ist bewundernswert orchestriert.

 

Die Grünen erweisen sich derzeit als sehr geschickt darin, sich nach allen Seiten hin zu präsentieren und jeweils eine Projektion zu erschaffen, die der Zielgruppe gefällt. Wer in den Grünen sachliche Politiker des propagierten neuen "Öko-Bürgertums" sehen will, muss nur Palmer oder Kretschmann lauschen, während Fans der alten rot-grünen Koalition mit Roth und Künast ihre Freude haben dürften.

 

Wer eher auf die Durchsetzung grüner Kernforderungen hofft, setzt sein Geld auf die Durchsetzungskraft von Jürgen Trittin. Dazu sieht es so aus, als ob die Grünen einen internen Richtungsstreit ausfechten, aber nicht so, dass es chaotisch wirkt. Auch damit werden wieder beide Geschmäcker bedient. Chapeau.

Die Grünen scheinen gerade tatsächlich entschlossen zu sein, ihre aktuellen Umfrageprozente in reale Parlamentssitze zu verwandeln. Ihre Strategie dafür wird langsam erkennbar. Offensichtlich haben einige Grüne ihre Hausaufgaben gemacht und erkannt, dass eine Volkspartei alten Stils, also wie sie CDU und SPD vor der Agenda-Zeit dargestellt haben, nach mehreren Seiten hin offen sein und gleichzeitig einen Markenkern erhalten muss.

Zum Vergleich: die CDU war immer die Partei der pragmatischen Wirtschaftspolitik, hatte aber einen christlich-sozialen Arbeitnehmerflügel, konservative Scharfmacher und wirtschaftsliberale Vertreter in ihren Reihen. Die SPD war eine Partei der Arbeitnehmer und Sozial- wie Bildungsreformen, die Gewerkschafter, Akademiker und Pragmatiker vom Schlage Vogels oder Schmidt in ihren Reihen hatte.

Beide Parteien haben wesentliche Teile ihrer Flügel in den 2000er Jahren gekappt und leiden daran noch heute. In einer von Merkels besseren Metaphern hat sie vor einigen Jahren festgestellt, dass "Flügel Auftrieb geben". Die Grünen exerzieren das derzeit vor: Sie stellen den "Regierungskern" aus pragmatisch orientierten Sachpolitikern, denen man eine eigenständige Agenda nur schwerlich unterstellen kann, weder in die eine noch in die andere Richtung.

Der Wähler kann seine eigenen Vorstellungen relativ gut auf sie projizieren. Flankiert werden die vom der Einfachheit halber linken und rechten Flügel genannten Gruppierungen

Die Kunst besteht für eine Partei darin, diese Flügel auszutarieren. Eine der Gruppierungen wird zwangsläufig mehr Einfluss als die andere auf die Zusammensetzung des in der Mitte gestellten Regierungsteams haben. Ein weiteres Beispiel: im Kabinett
Brandt I hatte der linke Flügel der SPD ein paar Schlüsselpositionen mehr besetzen können; im Kabinett Brandt II wurde der rechte Flügel dominant (und blieb es durch die Kabinette Schmidt hindurch auch). Niemals aber wurde einer der beiden Flügel von der Regierungsbank komplett verdrängt, wie dies in den Kabinetten Schröder II oder Merkel I der Fall war.

Die Grünen dürften auch ihre Lektion vom schnellen Aufstieg und Fall der FDP gelernt haben: ein einzelnes Thema reicht nicht aus, um eine solche Stellung zu halten. Der Versuchung, sich auf eine Person zu konzentrieren  haben die Grünen bisher erfolgreich widerstanden, was vermutlich auch damit zusammenhängt, dass sie keine geeignete haben.

Die Phantomdebatte um eine Rückkehr Fischers, die die Medien losgekoppelt von der Realität führen, ist Ausdruck dieses Fehlens. Die Grünen sind bisher eine Themen- und Weltbildpartei, vermutlich noch mehr als die LINKE. Ihr Aufstieg geschah in der letzten Zeit auf dem Rücken der Atomdebatte, aber dieses Thema verliert durch den beschlossenen Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg durch Schwarz-Gelb an Schwung und wird sicherlich nicht reichen, um die Partei bis 2013 zu tragen (und die Koalition wird bis dahin halten, da hat
Spreng Recht).

Bisher ist die Personaldebatte, etwa für einen völlig hypothetischen Kanzlerkandidaten (der bei den Grünen ohnehin weiblich sein wird) eine reine Mediendebatte und findet bei den Grünen selbst kaum statt. Auch das ist Ausdruck taktischer Vernunft.

Die Grünen haben tatsächlich eine realistische Chance, 2013 zumindest drittstärkste, eventuell sogar zweitstärkste Kraft im Parlament zu werden. Zwei Gewinnerthemen haben sie bereits in ihrem Repertoire: den Atomausstieg, der endgültig mehrheitsfähiger Konsens in der deutschen Bevölkerung ist, und mehr Bürgerbeteiligung, worauf die Grünen seit S21 geradezu abonniert sind. Das allerdings wird nicht reichen. Der Atomausstieg wird voraussichtlich 2013 kein Thema mehr sein, während Bürgerbeteiligung allein keinen Wahlkampf konstituieren kann.

Vermutlich werden außenpolitische Themen, vor allem die zukünftige Gestaltung der EU, 2013 auf der Agenda stehen. Hier aber sind die Grünen bisher praktisch gar nicht positioniert. Gleiches gilt für die derzeit verdrängte Frage nach der Verfassung des Arbeitsmarkts – Mindestlohn, Zeitarbeit – oder der ebenso verdrängten Finanzreformen. Bei beiden Themen können die Grünen bisher nicht wirklich eine Position besetzen. Beide Themen sind außerdem solcherart, dass sie bei einer Positionierung eher den "linken" Flügen stärken werden, weil man sich kaum in die marktliberale Richtung festgelegen wird. Der "rechte" Flügel wird also versuchen, hier Festlegungen zu vermeiden.

Ein Thema, für das die Grünen dagegen wie geschaffen sind, es auf die Agenda zu setzen, sie dies aber aus eigener Kraft schaffen müssen, ist Ökologie und Umweltschutz. Wenn es den Grünen gelingt, eine stimmige Gesamtkonzeption zu entwerfen, die von einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik mit "grünem New Deal" (in die man mit gutem Willen auch Mindestlöhne u.ä. integrieren kann) hin zu einem neuen Verkehrssystem zur grünen Energiewende alles enthält, dann sind sie auf vielen Gebieten hervorragend aufgestellt und können ausgehend von dort praktisch auf alle anderen Bereiche ausgreifen. Finanzierungskrise der EU? Schadet der Zusammenarbeit für die ökologische Wirtschaftspolitik, ergo Rettungsmaßnahmen.

Rettungsmaßnahmen? Sind nicht nachhaltig, ergo muss das anders gestaltet werden. Eine grüne Regierungsbeteiligung würde außerdem einen wohltuenden europäischen Gegenpunkt gegen die grassierende Fremdenfeindlichkeit darstellen. Es wäre schön, wenn Deutschland sein Gewicht in der EU endlich einmal für ein gutes Ziel einsetzen würde, und wenn es nur die Aufrechterhaltung des Schengenabkommens und der Rechte von Migranten ist.

Letztlich steht und fällt der zukünftige Erfolg der Grünen damit, ob es ihnen gelingt, ein solches kohärentes Gesamtprogramm zu entwerfen, das ausreichend große Teile der Bevölkerung erreicht und Projektionsflächen für möglichst viele Menschen bietet. Es nützt den Grünen nichts, wenn sie bei der Wahl 30% erreichen und dann ein schwarz-rotes Bündnis regiert. Die Strategie Palmers, traditionell grüne Themen aufzugeben um "in die Mitte zu rücken", führt in die Irre.

Wegen solcher Kleinigkeiten wie dem Adoptionsrecht für Homosexuelle ändert niemand seine Wahlentscheidung. Wer so verbohrt und konservativ ist, wird sich an der gesamten Familienpolitik der Grünen stoßen und nicht an einem solchen Detail. Der Erfolg der Partei beruht gerade darauf, dass man sie als glaubwürdig und kohärent wahrnimmt.

Da die aktuelle Entwicklung der LINKEn es unwahrscheinlicher denn je macht, dass es zu einem rot-rot-grünen Bündnis kommt, ist ein grün-rotes oder rot-grünes Bündnis derzeit die beste Aussicht, die wir für 2013 haben können.

Stefan Sasse


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