Freitag, 18. Februar 2011

Dietmar Dath zum #Prozess #gegen #linke #Buchhändler - Wozu das führen soll [Neues Deutschland]


Wozu das führen soll

Dietmar Dath zum Prozess gegen linke Buchhändler

(Neues Deutschland)

http://www.neues-deutschland.de/artikel/191262.wozu-das-fuehren-soll.html
 

Im Amtsgericht Berlin-Tiergarten wird heute die erste Hauptverhandlung gegen den Geschäftsführer des Kreuzberger Buchladens »oh21« eröffnet. Der Vorwurf: »Anleitung zu Straftaten« und »Verstoß gegen das Waffengesetz«. Hintergrund: Bei wiederholten polizeilichen Durchsuchungen dreier Buchläden in Berlin waren autonome Zeitschriften (»Interim«, »Prisma«) und Flugblätter aufgefunden worden. Die Initiative »unzensiert lesen« befürchtet jetzt »eine Verschiebung der Rechtssprechung dahingehend, dass BuchhändlerInnen für die bei Ihnen ausliegenden Texte strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können«. Auf einer Pressekonferenz der Initiative sprach am Mittwoch auch der Schriftsteller Dietmar Dath. ND dokumentiert.

 

Ich sitze hier vergleichsweise nutzlos: ich bin kein Anwalt und gehöre keinem Standesverband, keiner politischen Organisation an, die zugunsten der Leute, um deren ärgerliche Verfolgung es hier geht, auf irgendjemanden Druck ausüben könnte. Mir gehört keine Zeitung und kein Sender, ich habe nicht mal eine persönliche Homepage im Netz, sondern denke mir bloß von Beruf Geschichten und Argumente aus und schreibe sie auf. Meine Nutzlosigkeit ist also ein anderes Wort für Ohnmacht. Ich sitze hier, weil diese Sorte Ohnmacht für Leute mit meinem Beruf noch schlimmer wird, wenn die Maßnahmen, denen die ausgesetzt sind, um die es geht, sich tatsächlich widerspruchslos, hindernislos und – ein schönes altes Wort: – anstandslos durchführen lassen.

Es geht um Leute, die kleine Läden betreiben, auf deren engem Raum mehr Material darüber, was in dieser Gesellschaft los ist, angeboten wird als auf vier Stockwerken Thalia oder Hugendubel. Sie werden mit Durchführung und Androhung von Durchsuchungen, Geldstrafen, Haftstrafen schikaniert, weil in den Zeitschriften und Büchern, die sie anbieten, auf den Flugblättern, die bei ihnen ausliegen, Verdächtiges steht.

Was steht da? Nicht das, was man aus bei Hugendubel, Thalia oder Amazon frei verkäuflichen Büchern etwa von Reinhard Scholzen oder Kaj-Gunnar Sievert und anderen Militärschriftstellerinnen und -schriftstellern erfahren kann, nämlich wie die Spezialkräftekommandos der Bundeswehr Sprengfallen bauen, wie man im Nahkampf tötet, wie man auf Distanz tötet, wie man ein Maschinengewehr auseinander- und zusammenbaut, wie man Türen aufbricht, Straßensperren zerstört, womit man Leute vergiften kann.

Da steht auch nicht – sondern in jeder bürgerlichen Zeitung – wie man das alles als politisch notwendig rechtfertigt, inklusive Bombardements mit Clusterbomben, Unfälle per friendly fire und sonstige Kollateralschäden.

Allenfalls stehen in den Heften oder Broschüren Sachen wie die, die man seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts in antiquarisch leicht erhältlichen Büchern etwa von dem sozialdemokratischen Agitator und späteren Anarchisten Johann Most erfährt, zum Beispiel seiner »Revolutionären Kriegswissenschaft« über Nitro-Glycerin, Dynamit, Schießbaumwolle, Knallquecksilber, Bomben, Brandsätze, Gifte und so weiter, die ich schon in manch bürgerlichem Bücherregal als Ausweis von dezentem radical chic habe stehen sehen.

Die staatliche Naivität, die sich anstellt, als bräuchte man heute, um herauszukriegen, wie man Menschen schadet und was man sich einreden muss, um das zu rechtfertigen, einen linken Buchladen, ist kurios. Ich bin auf solches Wissen manchmal für Romane und Erzählungen angewiesen; wenn ich mich dabei auf die Zirkulare der Autonomen verlassen müsste, wäre ich erledigt. Aber die Sache ist ernster.

Vom Unabomber über den Messerstecher in der U-Bahn bis zum Amokläufer auf dem Schulhof reicht das Spektrum derer, die als irre, versprengte Einzeltäter in einem Gemeinwesen, das gar nicht so wenige davon produziert, genau wissen, wo sie das Material und die Regeln seiner Handhabung herholen müssen, um zu tun, was sie nicht lassen können. Es gibt heute tausend, zehntausend Wege, sich kundig zu machen. Die Waffenzeitschrift »Visier« kriegt man an jedem Bahnhofskiosk, von da aus findet man zu Firmen, findet man ins Netz, in den Schützenverein, wohin auch immer. Das sind, wie man so sagt, unpolitische Dinge, wenn auch der soziale Umgang mit ihnen erzpolitisch ist.

Wir haben im Umfeld des Verfahrens, um das es in Berlin jetzt geht, davon gehört, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz, eine Säule der Rechtssicherheit, ohne die es keine Rechtsstaatlichkeit geben kann, nichts mehr wert sein soll: Es wird von staatlicher Seite offen zugegeben, dass nicht das Auslegen oder Verkaufen des Materials selbst der Tatbestand ist, der sanktioniert wird, denn wenn dasselbe Zeug bei braven Leuten läge, würde man, heißt es, nicht davon ausgehen, dass sie sich damit identifizierten. Es geht also um Haltungen – Leute, die in den verfolgten Läden arbeiten, werden kujoniert nicht für das, was sie etwa tun, sondern für das, was sie sich dabei mutmaßlich denken.

Der Briefbombenbastler, der Messerstecher, der Amokläufer: Sie brauchen keinen Austausch, keine Debatte, auch kein Forum für Gedanken, nur für Taten, am besten die BILD-Zeitung und SPIEGEL Online, nach geschehener Tat, und vielleicht etwas später ein Taschenbuch, das die Sensation vertieft, das kriegt man dann wieder bei Hugendubel und Thalia und bei Amazon.

Kein Austausch, keine Debatte – die Zeitschriften, die Buchläden, die Zusammenhänge von lebenden Menschen aber, gegen die das geht, was hier passiert, sind genau das: Foren, Austausch, Debattengelegenheit, und man wird den Eindruck nicht los, dass es zum ordnungsstiftenden Übereifer mancher Staatsorgane gehört, sie genau deshalb zu Zielen zu erklären. Da soll der Deckel drauf, da soll Ruhe sein. Nicht Verbrechen werden so verhindert, wohl aber Diskussion, nicht nur über Verbrechen.

Gelänge das widerstandslos, hindernislos, anstandslos, dann wäre ich nicht nur nutzlos, nicht nur arbeitslos, das ist nicht das Schlimmste. Ich wäre dann, als Person im Staat, wehrlos, und das stelle ich mir doch sehr unangenehm vor. Foto: Robert Michel

Dietmar Dath, 40, ist Schriftsteller und Übersetzer. Er war Chefredakteur der Zeitschrift »Spex« und Feuilleton-Redakteur bei der »FAZ«. Neben zahlreichen Romanen (u.a. »Dirac«, »Waffenwetter«, »Die Abschaffung der Arten«, »Sämmtliche Gedichte«) hat er die politische Streitschrift »Maschinenwinter« und eine Suhrkamp-BasisBiographie zu Rosa-Luxemburg verfasst. Dath lebt in Freiburg.


Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

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