Wahnsinnige Junkies
Pressehetze gegen Griechenland
Von Rainer Balcerowiak
[Junge Welt vom 03.11.2011]
Es ist keine neue Erkenntnis, daß das Kapital zur bürgerlichen Demokratie ein rein taktisches Verhältnis hat. Solange der Wahl- und Parlamentszirkus die Geschäfte nicht allzusehr stört, verweist man gerne auf die Legitimierung des eigenen Handelns.
Aber wehe, eine gewählte Regierung fordert den Souverän auf, direkt über existentielle Fragen zu entscheiden.
Das löst dann, wie im Falle des angekündigten Referendums in Griechenland über das »Hilfspaket« der Euro-Staaten, des IWF und der Banken, bei der kapitalnahen Presse »Bestürzung, Enttäuschung, blankes Entsetzen« aus, wie das Berliner Springer-Blatt BZ am Dienstag hyperventilierte.Focus online vergleicht die Griechen mit Junkies, die darüber abstimmen sollen, »ob ein Leben ohne Rausch wirklich erstrebenswert sein kann«. Das sei aber Unsinn: »Für echten Stoff bekommen die Griechen einfach kein Geld zusammen. Und das Methadon reicht nur noch ein paar Wochen.«Ohne Drogenmetaphern kommt die Wirtschaftswoche aus. Das Referendum zerstöre »die Hoffnung, daß in die Rettung Griechenlands ein Minimum an Vorhersehbarkeit einkehren würde«, greint das Magazin. »Das Vertrauen ist dahin.« Es folgt ein offener Aufruf zum Sturz der Regierung, da Papandreou »nicht die Lösung, sondern Teil des Problems« sei. Weil dummerweise auch der Führer der konservativen Opposition, Antonis Samaras, »die europäischen Rettungspakete in Bausch und Bogen verdammt hat«, müßten sich die »europäischen Politiker schnellstens nach Alternativen umsehen«. Das klingt schon ziemlich deutlich nach Aufforderung zum Militärputsch.Auch die Sächsische Zeitung pfeift auf die Demokratie, wenn es ums Eingemachte geht. »In einer politisch aufgeheizten Stimmung wie in Griechenland kann man keine Volksabstimmung abhalten«, doziert der Kommentator und fragt nicht ganz zu Unrecht: »Welcher Rentner, dem die Pension gekürzt wird, oder welcher Staatsdiener, der seinen Job verliert, sollte dem Sparpaket in der jetzigen Situation zustimmen?« Doch dann, so der Herrenmensch, »sollten sie aber nicht mehr mit der Milliardenhilfe deutscher Steuerzahler rechnen.«»Spinnen die Griechen?« fragt die Leipziger Volkszeitung und attestiert dem Minsterpräsidenten »ziemlichen Wahnsinn«, da die Ankündigung des Referendums für die Euro-Krise »wie ein Brandbeschleuniger« wirke. Na, da müßte man ja wohl die Feuerwehr hinschicken, soll sich der Leser denken.Für die Bild-Zeitung ist das Verhalten der Griechen schlicht »rücksichtslos«. Außerdem könne man keinen »Patienten auf der Quarantänestation über die Frage abstimmen lassen: Wollt ihr lieber hier bleiben oder in der nächsten Taverne feiern?« Auch sollte man endlich mal »unser Volk« fragen: »Wollt ihr noch mal deutsches Steuergeld nach Athen pumpen?«So klingt es also, wenn die großen Anzeigenkunden dieser Zeitungen fürchten, daß ihren Raubzügen wenigstens in Griechenland ein kleiner Riegel vorgeschoben werden könnte.
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