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Lehrmittel - PR in der Schule
Alle sind scharf auf Jugend. Damit ist nicht nur das Äußere gemeint. In der Wirtschaft sorgen sich Unternehmen um den Kunden von morgen. Und wo trifft man den am leichtesten? An Schulen. Nun gibt es viele Unternehmen, zum Beispiel auch den NDR, die Informationsveranstaltungen an oder besondere Kooperation mit Schulen machen. So manches Unternehmen geht viel weiter und nutzt den Schutzraum Schule, wo es ja nun vor allem um allgemeine Wissensvermittlung gehen soll, für knallharte Kunden und Mitarbeiter Akquise. Und Journalisten, die das eigentlich anprangern sollten, unterstützen die Unternehmen sogar noch dabei.
Auf dem Vermögensberatertag feiert die Deutsche Vermögensberatung AG (DVAG), einer der großen Player der Finanzbranche, mit willigen Imagehelfern aus Prominenz und Politik.
Felix Kamella von "LobbyControl" erklärt: "Die DVAG als Unternehmen ist einer der größten Finanzdienstleister in Deutschland. Ihr Geschäftsmodell ist beispielsweise die Provisionsberatung, die seit Jahren in der Kritik steht und deswegen betreibt die DVAG auch schon seit Jahren intensiv Lobbyarbeit."
Und dafür kümmern sie sich auch um künftige Kunden. In Kooperation mit "Handelsblatt macht Schule" sponsert die DVAG Lehrmaterialien zum Thema "Finanzielle Allgemeinbildung". Von Lehrern werden diese gern genommen. Die gedruckte Auflage liegt bei 10.000 Stück und laut Handelsblatt werden sie jeden Monat mehrere Tausend Mal aus dem Netz geladen.
Felix Kamella: "Dann ist es so, dass die Klasse an sich ja ein ganz besonderer ja geschützter Raum ist. Und wenn es eine Idee, eine Marke erst mal in den Unterricht geschafft hat, dann sind ihm dort 45 Minuten Aufmerksamkeit sicher. Und die Schüler können natürlich nicht einfach wegschalten, sondern sind dann dieser Beeinflussung ausgesetzt."
Beeinflussung im Klassenzimmer zu Geldanlagen und Versicherungen
Seitenlang kommen Themen wie Aktien und Lebensversicherungen als seriöses Lehrmaterial daher und zufällig sind das genau die Themen der DVAG.
Reinhold Hedtke, Professor für Wirtschaftsdidaktik an der Universität Bielefeld, erklärt: "Ich glaube, es ist ein didaktisches Desaster, was da passiert. Weil eigentlich sollten die Schülerinnen und Schüler lernen, dass sie mit Skepsis und Misstrauen Finanzvertrieben gegenüber treten, und sie lernen in dieser Unterrichtseinheit genau das Gegenteil."
Und so sollen Schüler nicht nur lernen, wie sie ihr Geld anlegen. Das Schulmaterial präsentiert die Deutsche Vermögensberatung auch als idealen Arbeitgeber. Vielversprechend heißt es: "Erfolg mit der deutschen Vermögensberatung auch im Berufsleben". Und "Vermögensberater zu sein ist eine spannende Tätigkeit" und die Karriereaussichten gar "exzellent".
Professor Reinhold Hedtke: "Da dürfen die sich in dem allerschönsten Licht darstellen, es werden die Leitlinien des Unternehmens praktisch als Fakten dargestellt, es wird dargestellt, was das für ein toller Beruf ist, dort zu arbeiten und was es für ein erfolgreiches angesehenes Unternehmen ist und das Material versäumt es völlig, den Lehrern oder den Schülern Hinweise darauf zu geben, wo findet man kritische Aspekte des Unternehmens."
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Das Interview mit Reinhold Hedtke, Professor für Wirtschaftsdidaktik der Universität Bielefeld.
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Kritische Aspekte wie die Abhängigkeit der Berater von Provisionen. Oft gilt: Nur wer gut verkauft, bekommt sie und verdient. Hoher Druck, volles Risiko. Rechtsanwalt Kai Behrens allein vertritt Hunderte ehemalige Mitarbeiter der DVAG, die dem nicht standhielten: "Der Hauptberuf des Vermögensberaters birgt einige Gefahren. Insbesondere die Gefahr, dass die Provisionen als Vorschuss ausgezahlt werden und über diese Vorschüsse die deutsche Vermögensberatung relativ frei verfügen kann. Auf gut deutsch: Es kann passieren, dass jemand plötzlich ohne Einkommen dasteht." Doch von solchen Risiken steht im Material kein Wort. Trotzdem wirbt das Handelsblatt mit seiner Kooperation.
Vom Unternehmen verfasste Texte
Das Institut für Ökonomische Bildung (IÖB) in Oldenburg ist verantwortlich für die didaktische Aufbereitung. Unterrichtsmaterialien sind hier das Geschäft.
Professor Hans Kaminski, Direktor des IÖB, erklärt: "Das gesamte didaktische Fachwissen, was da eingeflossen ist, ist ausschließlich eigentlich das Wissen des Instituts. [...] Die Thematik 'Finanzielle Allgemeinbildung' und jetzt, sie sprechen das Unternehmen an, besteht letztlich eigentlich darin, dass die drei letzten Materialien von hundert Materialien, die DVA thematisiert. Mehr nicht."
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Das Interview mit Professor Hans Kaminski, Direktor des "Instituts für Ökonomische Bildung".
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Immerhin drei Materialen reine PR. Ein Eingeständnis.
Felix Kamella: "Was hat überhaupt die Beschreibung eines Unternehmens in Schulmaterial zu suchen? Und dann ist diese Beschreibung auch noch so positiv, dass eine kritische Beschäftigung überhaupt nicht möglich ist."
Die Vermögensberatung darf die Informationen über sich selbst gleich selbst verfassen und wirbt so auf mehreren Seiten mit ihren Unternehmens-Leitlinien.
Professor Hans Kaminski: "Wir haben diese letzten Materialien, die haben wir in der Tat von dem Sponsor der Unterrichtseinheit, aber das ist nicht unser Sponsor, um das also deutlich zu sagen, natürlich als eine Anfrage gegeben. Das ist keine Frage."
Nachfrage Reporter: "Das heißt, Sie haben das übernommen?"
Professor Hans Kaminski: "Wir haben uns das angesehen, inwieweit das in die Linie eigentlich reinpasst."
Raffinierte Unternehmens-PR
Und es passt in die Linie. Am Ende entsteht raffinierte Unternehmens-PR. Ein gelungener Deal zwischen einem seriösem Institut, einer unabhängigen Wirtschaftszeitung und einem selbstlosen Vermögensdienstleister.
Felix Kamella: "Durch die Kooperation dieser drei Akteure erscheint natürlich erst mal das Material wiederum besonders seriös. Das ist gewissermaßen die Arbeitsteilung. Das Handelsblatt veröffentlicht die Materialien, das IÖB schreibt sie und die DVAG trägt zu den Inhalten bei."
Der Lehrer Hartmut Ring meint: "Mir fehlt eben in diesem Material sozusagen die Möglichkeit, dass die Schüler kreativ mit dem Material umgehen, Kontroversen entdecken oder auch sehen. Und die werden nicht geboten die Kontroversen, nicht wirklich."
Das Handelsblatt jedoch wiegelt ab. Auf ZAPP Anfrage heißt es, "die DVAG als Praxispartner ist lediglich ein Beispiel und ist auch so zu sehen" und "Es geht in keinster Weise darum, bestimmte Produkte zu bewerten, zu bewerben oder zu verkaufen". Allerdings wird in dem Material sogar ein DVAG-Finanzberater angepriesen, der gern in die Schulstunde kommen kann. Wie erfolgreich diese Vermittlung von solchen Aushilfslehrern funktioniert, zeigt das Handelsblatt im Internet. Dort dokumentiert es stolz die Besuche in den Schulen. Unternehmensbotschaften strategisch platziert im Unterricht.
Schüler als Zielgrupppe
Auch ein Nachrichtenmagazin hat die Schüler für sich entdeckt. Der "Focus" produziert mit "Wir erklären die Wirtschaft" (Januar 2010) Schulmaterial im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Und in einer weiteren Reihe präsentiert Focus Arbeitsblätter über das Unternehmen "Bosch Siemens Hausgeräte".
Professor Reinhold Hedtke: "Das Material lenkt die Schülerinnen und Schüler immer nur auf die Seiten und Produkte von Bosch Siemens Haushaltsgeräte. Es wird sozusagen deutlich gemacht, dass die dort führend sind, und es wird überhaupt keine kritische Distanz zu diesem Unternehmen aufgebaut. Darüber hinaus dienen diese Unterrichtsmaterialien dazu, dass Bosch und Siemens rechtzeitig an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen."
Gleiche PR-Strategie, anderer Auftraggeber. In den Materialien für Schüler ist Bosch das Thema. Es geht um Produktdesign, Nachhaltigkeit und Bosch als Arbeitgeber. Auf Anfrage sagt der "Focus" dazu, das Material von Bosch gebe es lediglich "ergänzend" und "separat", es werde "nicht aktiv an Lehrer verschickt". Doch in den Informationen für Lehrerinnen und Lehrer steht explizit als Ziel: "BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH kennen lernen". Und neben Bosch profitiert auch der "Focus".
Felix Kamella: "Das Kalkül der Zeitschriften, beziehungsweise der Verlage ist ganz klar, dass es hier darum geht, zukünftige Leser zu finden und die Schüler, die möglicherweise von zu Hause keine andere Zeitung kennen, dann hier exklusiv mit einer Zeitung in Kontakt kommen."
Read more at www.ndr.deUnd so profitieren alle, nur nicht die Schüler. Unter dem Deckmantel eines praxisnahen Unterrichts werden Schüler zu Spielbällen für Wirtschaft, Verlage und Interessenverbände.
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