Donnerstag, 24. November 2011

Sie sterben uns alle weg... - Zum Tod von Georg Kreisler [via ad-sinistram]

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Ich habe ihn erst sehr spät für mich entdeckt. Erst vor einigen Jahren. Wir seien alle Terroristen, hieß er mich, ließ er seine Frau Barbara Peters singen - Text von ihm, Text von Georg Kreisler. Und der ist nun verstorben.

Virtuose Musik, Schmäh voll sprachlicher Grandezza, zynische Zeilen und spitzbübisches Augenfunkeln - das war es, was mir Kreisler so nahe brachte. Und natürlich sein Umgang mit der Sprache. Seine Lieder stets Affront gegen Machthaber und Zeitgeist. Das machte ihn zum akzeptierten Paria im Kulturbetrieb. Diese sonderbare Stellung besang er auch: "Ich singe lächelnd, denn ich denke an die Pause; die Leute lächeln, denn sie wolln mich gern verstehn. Dann ist die Vorstellung vorüber, und ich sause, und zu Hause fällt mir ein: Es ist schon wieder nichts geschehn."
Beim Taubenvergiften im Park applaudierten sie ihm. Auch bei anderen Liedern, die die große Freiheit des Kapitalismus anfeindeten und zynisch durchleuchteten. Nur das breite Publikum verstand solche Texte weniger - für das war er der Taubenvergifter. Kreisler aber: unverbiegbar! Wo andere katzbuckelnd die Honorationen der Öffentlichkeit annahmen, da sprach er aus, was schon lange hätte gesagt werden müssen. Sein Brief nach Wien zeugt davon. Einen, den sie 1938 noch vertrieben haben, jetzt geehrt?
In die Vereinigten Staaten floh er damals. Mit Musik hielt er sich über Wasser - mit Instrumentalmusik. Im englischen Sprachraum konnte sein Wortwitz nicht gedeihen. Er landete unter anderem bei Charlie Chaplin, für den er in einem Film musizierende Doublehände gab. Chaplin war, so erklärte Kreisler einmal in einer Reportage über seine Person, ein ganz anderer Arbeitgeber. Schon damals galt in Hollywood jene Denkart, die wir später als neoliberale über den Globus stürmen sahen. Chaplin schloss sich dieser aber nicht an, er war freundlich und fair. So einen musste man später freilich als Kommunisten vertreiben...



Kreisler verbandelte sich nicht mit der Macht. Er blieb Künstler; blieb Freidenker. Sprachrohr für etwaige Parteien, Strömungen und Bewegungen war er nie. Dass seine Texte das sind, was wir im politischen Duktus als links bezeichnen, ist nicht Zufall - es ist die Quintessenz seiner Lebenserfahrung. Wer nachdenkt, so könnte man sagen, wird zwangsläufig links denkend. Kreisler war kein schnell mal entbrannter Wutbürger, den die schlechte Laune packte - sein Denken war beharrlich und trotzte jedem Zeitgeist, der sich ihm in den fast neun Dekaden seines Lebens in den Weg stellte
Ich behauptete, im Angesicht der Trauerkultur, die diese Gesellschaft an den Tag legt, wenn jemand möglichst medienwirksam und spektakulär gestorben ist... ich behauptete also, man könne um einen Menschen, den man persönlich nicht kannte, kaum trauern. Vielleicht trauere ich nicht um Kreisler, bin aber wohl traurig; Trauern bedeutet die Veränderung zu erlernen, die das Wegsein eines Menschen mit sich bringt. Ich werde jedoch weiterleben können ohne viel Veränderung. Und doch lebt es sich ärmer weiter. Er war Künstler und nutzte diese Position nicht, um sich mit der Macht zu schmücken, wie es viele Schauspieler und Musiker heute tun. Er hielt sich von der Macht fern, war allerdings deshalb nicht ohnmächtig. Seine Kunst strahlte Macht aus - und sie hat gemacht, dass sich Leute wie ich bestärkt fühlten, weil auch aus berufenerem Munde Kritik am Status quo existierte.
Kreisler machte Mut. Wieder ein Mutmacher weniger. Bleiben uns all die mitläuferischen und vermainstreamten Künstler und Künstleroide, die hin und wieder wutbürgerlich entbrannt so tun, als würden sie der politischen und wirtschaftlichen Macht fernstehen, um just bei irgendwelchen ministerialen Aktionen als Werbefigur herzuhalten. Kürzlich Degenhardt - jetzt Kreisler. Die Unbeugsamen, die den Mainstream, diesen Malstrom, mieden und die sich kein Blatt auf den Mund klebten, sie sterben aus. Uns bleiben dafür Biermänner, einst Dissidenten, heute herrschaftliche Nachbeter, die mit der Macht speisen und sich schon für kritisch erachten, weil sie vor der Kanzlerin keinen Schlips tragen.


Geschrieben von
Roberto J. De Lapuente









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