Doktor Arbeitsamt
Wie wissenschaftliche Mitarbeiter in die Illegalität getrieben werden
Bericht: Claudia Müller, Jan C. Schmitt
Monika Wagener: "Dreistheit siegt. Das hat sich auch schon so mancher Firmenchef gesagt, und seine Festangestellten durch vogelfreie Billiglöhner ersetzt oder durch kostenlose Praktikanten. MONITOR hat darüber immer wieder berichtet. Doch was wir jetzt gefunden haben, hat selbst uns umgehauen. An einigen staatlichen Hochschulen ist man offenbar noch kreativer. Warum nicht einfach die Mitarbeiter kostenlos arbeiten lassen, während sie Arbeitslosengeld beziehen? Jan Schmitt und Claudia Müller über "Dekadenz" statt "Exzellenz"."
Nennen wir ihn Dr. Werner Fischer. Er ist promoviert, sogar habilitiert. Er hält Vorlesungen, er gibt Seminare, leitet Praktika - seit 17 Jahren. Und trotzdem kann er sein Gesicht nicht zeigen, denn Werner Fischer ist vor dem Gesetz ein Betrüger. Er hat Geld vom Arbeitsamt genommen, obwohl er an der Uni weitergearbeitet hat. Ein perfides System aus Zeitverträgen ließ ihm keine andere Wahl.
Werner Fischer: "Es wurde mir immer wieder gesagt, dass kein Geld mehr da sei. Und jetzt müsste ich wieder eine Phase der Arbeitslosigkeit bzw. eine Durststrecke überwinden."Werner Fischer hat 16 Zeitverträge in 17 Jahren von seiner Universität bekommen. Immer wieder wurde ihm eine Festanstellung versprochen, er hat daran geglaubt. Sein Professor gab ihm immer mehr Verantwortung, er war sogar Vertretungsprofessor. Aber eine feste Stelle bekam er nicht. Zwischen den Zeitverträgen gab's immer wieder Lücken, insgesamt fast vier Jahre. Und in diesen Lücken wurde er zum Betrüger. Denn während er für die Uni arbeitete, zahlte das Arbeitsamt.Werner Fischer: "Ich war auch in der Zeit meiner Arbeitslosigkeit voll an der Universität tätig. Ich habe keine einzige Stunde gefehlt, hab meine volle Leistung gebracht. Und da hat die Universität davon profitiert, dass ich diese Leistung unvergütet gebracht habe."Matthias Neis, ver.di Bundesverwaltung: "Es gibt diese Fälle durchaus häufiger, dass Personen Beschäftigungslücken haben, für die sie selbst nichts können. Gleichzeitig aber den Druck bekommen, in dieser Lücke, die sie dann arbeitslos gemeldet sind, weiterzuarbeiten."
Möglich wird das, weil es an deutschen Hochschulen immer mehr befristet Beschäftigte gibt, mit Lücken zwischen den Verträgen. Und neue Stellen werden fast nur noch auf Zeit vergeben. 65 % des Hochschulpersonals in Deutschland ist befristet beschäftigt. Spitze im internationalen Vergleich: In England sind es nur 28, in Frankreich 26 und in den USA 17 %.Peter Steiner ist einer von ihnen. Er fährt gerade zur Humboldt-Universität, wo er als wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeitet. Auch Peter Steiner will anonym bleiben, auch er hat sich strafbar gemacht.Peter Steiner: "Also mir wurde ein Einjahresvertrag angeboten von meinem Chef zunächst. Es wurde aber so dargestellt, als wäre es völlig unproblematisch dann eine weitere Finanzierung zu erhalten. Und dann hieß es aber, wir haben jetzt in dieser Zeit keine Finanzierung, aber in einem halben Jahr und in der Zeit muss das Projekt eben auch weiterlaufen."
Sein Professor verlangte von ihm, dass er ohne Gehalt weiterarbeitet, für seine Zukunft, hieß es. Sein Projekt und seine Stelle werden aus so genannten "Drittmitteln" finanziert. Diese "Drittmittel" sind nicht fest eingeplant. Sie hängen an Forschungsprojekten und damit auch die Mitarbeiter. Ist das Projekt beendet, läuft die Stelle aus. Aber die Arbeit geht oft weiter, dann unentgeltlich. Einstellen und rauswerfen - das geht seit 2007 noch leichter. Dafür hat Bildungsministerin Anette Schavan gesorgt. Sie hat das so genannte "Wissenschaftszeitvertragsgesetz" ins Leben gerufen. Seitdem können Hochschulen befristet anstellen so lange sie wollen, theoretisch bis zur Rente. Einzige Voraussetzung: Das Projekt wird überwiegend aus Drittmitteln finanziert.Andreas Keller, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: "Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat dazu geführt, dass heute von acht wissenschaftlichen Angestellten sieben einen Zeitvertrag haben, nur einer von acht ist unbefristet beschäftigt. Und außerdem wurden die Laufzeiten der befristet beschäftigten Kolleginnen und Kollegen immer kürzer, in vielen Fällen sind das nur wenige Monate."
Das Bildungsministerium hat die Auswirkungen des Gesetzes untersuchen lassen. Jetzt liegen die Ergebnisse vor. Das Gesetz habe sich grundsätzlich bewährt, liest das Ministerium daraus. Wir schauen genauer hin und da steht, dass durch die Drittmittelfbefristung Schutzklauseln umgangen würden, die sonst zur automatischen Verlängerung eines laufenden Arbeitsvertrags führen könnten. Auf Deutsch: Seit dem Gesetz gibt es kürzere Verträge und in der Folge immer mehr Lücken dazwischen. Wie bei Peter Steiner. Und in diesen Lücken?Peter Steiner: "Der Chef hat gesagt, Sie können ja Arbeitslosengeld I beantragen, und in der Zeit dann weiterhin für die Uni arbeiten."Reporter: "Das heißt, Ihr Chef hat direkt vorgeschlagen zum Arbeitsamt zu gehen, aber gleichzeitig weiterzuarbeiten?"Peter Steiner: "Genau, genau so war's."Und wer sich weigert, dem droht das Ende der wissenschaftlichen Karriere. Schon möglich, sagt der Präsident der Humboldt-Universität, aber bislang seien diese Fälle nicht bis zu ihm vorgedrungen.Reporter: "Wenn sie davon mitkriegen würden, dass es an einem Lehrstuhl systematisch so wäre, wie würden Sie ...?"Prof. Jan-Hendrik Olbertz, Präsident Humboldt-Universität Berlin: "Dann würde ich der Sache nachgehen und ich würde auch intervenieren. Und ich hätte auch überhaupt gar keine Scheu, so einen Konflikt dann vom Zaume zu brechen. Das ist auch meine Aufgabe ..."
Reporter: "... dem Professor gegenüber."Prof. Jan-Hendrik Olbertz, Präsident Humboldt-Universität Berlin: "... als Präsident einer Universität. Dem Professor gegenüber, selbstverständlich. Also diese Art von Freiheit wäre ein Missverständnis."Nur ein Missverständnis? Da werden abhängige Mitarbeiter zu Sozialbetrügern gemacht. Und wegen dieser Abhängigkeit traut sich keiner darüber zu sprechen, schon gar nicht mit der Uni-Leitung.Peter Steiner: "Am wütendsten macht mich, dass vom Nachwuchs erwartet wird, dass man bereit ist, alles zu tun, um jeden Preis, auch sich zu kriminalisieren. Und ja, dass da auch anscheinend keine moralischen Bedenken bestehen, alles herauszuholen."Was das heißen kann, hat Dr. Werner Fischer schon erlebt. Er soll nun keinen Vertrag mehr bekommen, der neue Chef will ihn nicht mehr. Nach 17 Jahren an seiner Uni und mit über 50 ist Schluss für den Familienvater. Einer wie er fällt schon bald in Hartz IV. Denn das Geld aus seiner Arbeitslosenversicherung hat er ja schon verbraucht - in den Lücken zwischen seinen Zeitverträgen.- MONITOR-DossierArbeitswelten
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