Dresdner Ermittler geben alles
Hunderttausende Verbindungsdaten nach Anti-Nazi-Protesten erfasst
/ Ver.di-Bundesvorstand prüft rechtliche Schritte
Von Jörg Meyer
[Neues Deutschland]
http://www.neues-deutschland.de/artikel/200286.dresdner-ermittler-geben-alles.html
Dresdner Staatsanwaltschaft und Polizei sammelten die Daten von Tausenden Handynutzern und bekommen dafür mächtig Schelte. Busunternehmer bekamen zudem Post von der Polizei und sollen Daten rausrücken.
Der Dresdner Naziaufmarsch am 19. Februar 2011 wurde wie im Vorjahr mit Massenblockaden verhindert. Überdies kam es in diesem Jahr zu teils schweren Ausschreitungen auf den Straßen der Elbstadt. Nach einem Bericht der »taz« haben die Ermittler auf einen Beschluss des Dresdner Amtsgerichtes hin die Verbindungsdaten von zehntausenden Handynutzern bei den Mobilfunkanbietern abgefragt. Es seien nur Verbindungsdaten abgefragt worden, also die Nummern ein- und ausgehender Anrufe sowie Absender und Empfänger von SMS. Die Anregung, die Funkzellendaten bei den Mobilfunkanbietern abzufragen, sei von der Polizei drei Tage nach dem 19. Februar gekommen, sagte der Sprecher der Dresdner Staatsanwaltschaft, Jan Hille, gegenüber ND. »Und wenn die Daten nicht mehr gebraucht werden, werden sie gelöscht.« Wann das sein werde, könne er allerdings nicht sagen. Es sei technisch überdies nicht anders möglich gewesen, als alle Daten für die betreffenden Funkzellen in der Dresdner Südvorstadt abzufragen.»Eine Datenabfrage in diesem Umfang ist nicht verhältnismäßig«, sagt dagegen der Berliner Rechtsanwalt Michael Below. Derartige Massenabfragen sind gesetzlich nur zulässig, wenn andere Maßnahmen deutlich geringere Erfolgsaussichten haben. Dies sei so kurz nach der Demonstration wohl kaum absehbar gewesen. »Jedenfalls steht die Abfrage von über 100 000 Verbindungsdatensätzen zehntausender Bürger aber außer Verhältnis zu einem angeblichen Landfriedensbruch.« Hier sei nicht nur das Fernmeldegeheimnis verletzt worden, sondern auch die Demonstrationsfreiheit, so Below.Bei den Ermittlern liegen rund 138 000 Datensätze auf CDs. Nimmt man Einwohner, Antifaschisten und auch Nazis zusammen, waren am 19. Februar weit über 30 000 Menschen im betroffenen Gebiet unterwegs. Darunter Journalisten, Rechtsanwälte und Politiker, deren Kommunikationsdaten einem besonderen gesetzlichen Schutz unterliegen.»Wir raten insbesondere Journalisten, Aufklärung und die Löschung der Daten zu verlangen«, sagte Ulrike Maercks-Franzen, die Bundesgeschäftsführerin der deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di (dju), gegenüber ND. Zudem brauche es eine »verbindliche Aussage über Verantwortlichkeiten« und darüber, »dass so etwas nicht noch einmal passiert«. Die dju werte den Vorfall als Bestätigung für ihre »entschiedene Ablehnung« der Vorratsdatenspeicherung.Aufgeflogen war die Datensammelwut, nachdem Christian Leye, Mitarbeiter der LINKEN-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, im Zuge von Ermittlungen gegen ihn erfahren hatte, dass sein Telefon in Dresden abgehört wurde. Zunächst seien in Dresden seine Personalien aufgenommen worden, erzählt Leye, weil er sich an einer Blockade beteiligt haben soll.
Später habe er in den Ermittlungsakten nachlesen können, wann und wo er mit wem an dem Nachmittag in Dresden telefoniert hatte. Akteneinsicht, Nachbohren seiner Anwältin und die Recherchen der »taz« hätten ergeben, dass es die Massenabfrage gegeben hatte. »Ich bin empört über diese massenweise und unverhältnismäßige Bespitzelung von friedlichen Demonstranten und insbesondere meines Mitarbeiters während seiner Arbeitszeit. Ich fordere Aufklärung des Vorfalls durch die Staatsanwaltschaft Dresden«, sagte Dagdelen. »Die Funkzellenabfrage kommt einer Rasterfahndung gleich.« Dazu müssten sich auch Bundestag und Landtag äußern.Auch in der ver.di-Spitze ist man stinksauer. Der Bundesvorstand prüfe rechtliche Schritte gegen die Funkzellenabfrage, sagte die Vorsitzende des Landesbezirks Berlin-Brandenburg, Susanne Stumpenhusen dieser Zeitung. »Wir haben mit dem Bezirk Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen am 19. Februar eine gemeinsame Landesvorstandssitzung unter freiem Himmel abgehalten«, und es gehe die Polizei »überhaupt nichts an«, mit wem man dort kommuniziert habe.In der Dresdner Staatsanwaltschaft ist man unterdessen um Schadensbegrenzung bemüht. Nach ND-Informationen hat die Polizei die Daten gesammelt und kräftig ermittelt auch gegen Blockierer. Als die Staatsanwaltschaft von dem Umfang der Ermittlungen Wind bekam, hat sie die eifrigen Beamten zurückgepfiffen.Die Funkzellenüberwachung ist nicht die einzige Unbill, mit der sich die Protestierer auseinandersetzen müssen. Wie bereits Anfang des Monats bekannt wurde, hat die Polizei Schreiben an etliche Busunternehmen versandt und bittet darin um »Mithilfe«. In den Schreiben wird nach Namen und Adressen von Busfahrern, Personen, die Busse angemietet hatten, genauen Fahrtrouten sowie Gesprächen, die während der Fahrt im Bus stattgefunden hatten, gefragt.
Das Bündnis »Dresden Nazifrei!« hat seinerseits Briefe an Busunternehmen verschickt mit dem Hinweis, dass man auf derlei Schreiben der Polizei nicht reagieren müsse.
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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