Freitag, 10. Juni 2011

Angehörige unter Druck - Kein Rechtsanspruch auf Pflegezeit in #KONTRASTE um 20:15 Uhr in #EinsExtra am 10.06.


Angehörige unter Druck -

Kein Rechtsanspruch auf Pflegezeit

[KONTRASTE]
http://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste_vom_09_06/angehoerige_unter.html
 

Noch immer werden die meisten Pflegefälle in Deutschland von Familienangehörigen betreut. Viele bürden sich diese enorme Belastung neben ihrer Arbeit auf. Um pflegende Verwandte zu entlasten, setzt Bundesfamilienministerin Schröder auf die neue Pflegezeit. Doch einen Rechtsanspruch darauf hat niemand.

Auch das Thema Pflege ist so ein Thema, mit dem sich die Politik nur halbherzig beschäftigt. Dabei brauchen immer mehr Menschen in Deutschland Pflege und immer mehr Familien müssen sich zuhause um ihre kranken Angehörigen kümmern. Das ist oft eine ungeheure Belastung, v.a. wenn man versucht, daneben auch noch weiter seinen Beruf auszuüben.Von der Politik kommt da nicht viel Unterstützung.

Ute Barthel zeigt, was das für die Betroffen bedeutet.

Theo Arnold hat Alzheimer. Er ist auf ständige Pflege und Betreuung angewiesen Die Krankheit hat das Leben der Familie dramatisch verändert, denn seine Frau wollte ihn nicht einfach in ein Heim abschieben.

Eike Prang
"Ich wollte auch einfach ihn bei mir haben. Weil ich auch glaube, dass man das selber am besten hinkriegt erstmal und jemanden in fremde Hände geben, das ist mir sehr schwer gefallen. Einfach so die behütende Hand zurückzunehmen und jemand anderen ran zu lassen."

26 gemeinsame Jahre verbinden sie. Auf der Arbeit hatten sie sich kennengelernt, waren beide im Außendienst immer viel unterwegs. Als ihr Mann vor sechs Jahren krank wurde, wollte Eike Prang ihren Beruf nicht aufgeben. Sie hat versucht, die Pflege ihres Mannes und ihren Beruf unter einen Hut zu bringen. Doch die Krankheit verschärfte sich immer mehr.

Eike Prang
"Eigentlich ging es damit einher, dass dann diese sogenannte Weglauftendenz kam und das bedeutete dann nicht nur tagsüber , sondern auch u.U. nachts und dann hatte ich auch nicht mehr diese Ruhe. Somit hatte ich auch nicht mehr die Ruhe nachts, um Kraft zu tanken. Das zehrt ungemein und man hat ja auch keinen Freiraum mehr. Wenn man jetzt noch die Möglichkeit hätte, sich zurück zu ziehen, oder für sich selbst mal ein bisschen Energie aufzutanken - aber die gibt es dann einfach nicht mehr, weil man permanent einfach bei ihm sein muss."

Doch das ging nicht, sie musste ja Geld verdienen. Für die 55jährige gehören mehrtägige Dienstreisen zum Alltag, sie kann auf Dauer nicht jeden Abend nach Hause kommen. Irgendwann stand sie vor der Entscheidung: Beruf oder Pflege. Im Dezember brachte sie ihren Mann schweren Herzens in eine betreute Wohngemeinschaft.

Eike Prang
"Für ihn war das eine Autofahrt wie jede andere, für mich aber nicht. Da habe ich gelitten und wie ein Schlosshund geweint und du hast immer schöne Musik gehört und ich habe nur gedacht: wie furchtbar ist das alles. das ist mir wahnsinnig schwer gefallen für mich war das so, als ob man ein Stück heraus reißt aus dem Herzen."

Damit Angehörige wie Eike Prang sich nicht mehr zerreißen müssen, hat Familienministerin Schröder nun Abhilfe versprochen. Die Pflegezeit. Ab 2012 Kraft können Pflegende Angehörige dann 2 Jahre lang ihre Arbeitszeit auf die Hälfte reduzieren.

Während dieser Zeit erhalten sie 75 Prozent ihrer Bezüge. Ein Vorschuss, den sie später wieder abarbeiten müssen.

Aber: die Pflegezeit dürfen sie nur nehmen, wenn der Arbeitgeber freiwillig zustimmt. Einen gesetzlichen Anspruch auf Pflegezeit gibt es nicht.

Dafür verantwortlich sind die Arbeitgeberverbände . Gesamtmetallpräsident Martin Kannegiesser ist gegen ein Recht auf Pflegezeit zu Felde gezogen. Er hält selbst die jetzige Regelung für überflüssig, die Unternehmen würden schon eine Lösung finden - auf freiwilliger Basis.

Martin Kannegiesser, Präsident Arbeitgeberverband Gesamtmetall
"Man sollte doch nicht den Eindruck erwecken, dass die Betriebe das überhaupt nicht lösen - wenn sie heute ..."
KONTRASTE
"Ja, dann stimmen sie doch einfach zu, wenn das wunderbar ist..!"
Martin Kannegiesser, Präsident Arbeitgeberverband Gesamtmetall
"Ja, ja, ja, die Arbeitgeber stimmen dem doch zu , sie machen es, aber man muss doch nicht aus allem gleich ein Gesetz machen, was eine bestimmte Art und Weise wie ich es mache, zementiert, lassen sie doch tausend Blumen blühen, das wird doch heute in der Praxis gelöst."

Tausend Blumen bringen gar nichts, meint der Arbeitgeber von Eike Prang, die Firma edding und fordert ein für alle verbindliches Gesetz.

Stefan Kubath, Personalleiter edding
"Wenn das alles nur auf Freiwilligkeit abgestellt ist, dann sind es die wenigen Unternehmen, die das dann tun. Da würde edding sicherlich auch dazugehören. Und alles anderen versuchen sich, ein bisschen aus der Verantwortung herauszunehmen."

Gerne hätte KONTRASTE von der Familienministerin erfahren, was denn gegen einen Rechtsanspruch im Gesetz spricht. Doch für ein Interview hat sie keine Zeit. Aus ihrer Pressestelle heißt es lapidar, man sei, Zitat:
"... zuversichtlich, dass auch die Familienpflegezeit große Akzeptanz in den Unternehmen nach sich ziehen wird ohne gleichzeitig Beschäftigte und Unternehmen in gesetzliche Zwänge zu drängen."

Doch aus Sicht des Sozialverbandes VDK setzt das Gesetz in seiner jetzigen Form die berufstätigen Angehörigen unter einen enormen Druck.

Ulrike Mascher, Präsidentin Sozialverband VdK
"Weil jeder dann gefordert ist, jede Frau vor allem, denn um die geht es ja, mit ihrem Arbeitgeber auszuhandeln, ob sie diese Familienpflegezeit bekommt. Wenn Sie sich das vorstellen, sie hat sowieso schon ihre Arbeitszeit reduziert und dann will sie sie noch mal reduzieren und ob dann der Arbeitgeber zustimmt oder sagt: nee, entweder sie bleiben oder sie müssen ganz und gar auf ihre Erwerbstätigkeit verzichten."

Ein Rechtsanspruch auf Pflegezeit könnte vielen Angehörigen weiterhelfen, meint Eike Prang. Sie weiß, unter welchem Druck man steht, wenn man Job und Pflege vereinbaren will.

Eike Prang
"Sie können das nicht leisten, das geht nicht. Ich würde das gut finden, wenn das für jeden Gültigkeit hat, ohne das man sagt , derjenige kriegt das , wir als Unternehmen stehen dafür und die anderen wiederum sagen; nö das können wir uns nicht leisten."

Und mit diesem Wunsch steht sie wohl nicht allein.

 

Beitrag von Ute Barthel


Posted via email from Dresden und Umgebung

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