Donnerstag, 16. August 2012

sondern die "Empörten" aus den Mittelschichten stellen eine neue Gefahr dar,... [via scharf-links.de]


Rezession Krise Depression

 

von Karl Wild
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Überlegungen zu den immer wiederkehrenden Verwerfungen in der "Marktwirtschaft"

Wieder geht ein Gespenst um, und diesmal ist es nicht die Angst der Mächtigen vor dem Kommunismus, sondern die "Empörten" aus den Mittelschichten stellen eine neue Gefahr dar, auf die wie einst im 19.Jahrhundert reagiert werden muss. Der verpönte "Klassenkampf" kehrt zurück.

Karl Marx*) hat bekanntlich kein geschlossenes Konzept zu den Krisen der kapitalistischen Produktionsweise im 19.Jahrhundert vorgelegt, aber betont, dass Krisen, zyklische wie strukturelle, zum "Wesen" der bürgerlichen Gesellschaft gehören und letztendlich dem Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung geschuldet sind. Der letzte Grund für die latent vorhandene und immer wieder plötzlich ausbrechende Krise ist in der beschränkten Konsumkraft der ausgebeuteten Massen (Unterkonsumtionskrise) zu suchen bzw., die andere Seite der gleichen Medaille, in der durch die fortlaufende Steigerung der Produktivkräfte entstehende Überfüllung der Märkte (Überproduktionskrise).**)

Die aktuellen Verwerfungen im globalen kapitalistischen Wirtschaftsgefüge haben mannigfache Ursachen und vielfältige Erscheinungsformen, wobei Einigkeit unter den Beobachtern herrscht, dass die gegenwärtige Krise erst am Anfang steht und von ernstem Ausmaß sein wird.

Der letzte zurückliegende Boom, der durch hohe Zuwachsraten des Weltaußenhandels und durch eine dynamische Wirtschaftsentwicklung in weiten Teilen der Welt gekennzeichnet war, ließ die Nahrungs-, Rohstoff- und Energiepreise explodieren. Es erhöhten sich in vielen Teilen des Wirtschaftskreislaufs die Profite. So konnten z.B. die USA durch den immens anwachsenden Import von Gütern wie ein Staubsauger die Überschüsse der Produktion in vielen Teilen der Welt aufsaugen. Dieses fragile Konstrukt geriet mit der Immobilienkrise ins Schlingern und wuchs sich schnell zu einer allgemeinen gigantischen Krise der internationalen Bank- und Finanzmärkte aus. Man spricht derzeit von zig Billionen Euro an Kreditvolumen, welches als "faul" abgeschrieben werden muss.

Sichtbarer Ausdruck des Zustandes der Weltwirtschaft sind die Turbulenzen an den Rohstoff- und Aktienmärkten. Der Preisverfall des "Wertes" von Gütern und Aktien ist im vollen Gange. Selbst die Reichen dieser Welt sind "ärmer" geworden und Billionen Euro an "Guthaben" haben sich bereits in Luft aufgelöst.

Der Zusammenhang zwischen Politik und Ökonomie bestimmt sich gegenwärtig rasant neu und Elemente eines Staatskapitalismus werden wieder "erfunden", von der Verstaatlichung der Kreditrisiken über die Teilverstaatlichung von Bankmonopolen bis hin zu hektischen staatlichen Konjunkturprogrammen.

War der scheinbare Auslöser der Verwerfungen eine partielle Kreditkrise, so geht nun auch in den bisherigen Boomländern die Angst vor dem Überschwappen der Krise auf die sog. Realökonomie um. Die Marktteilnehmer stimmen darin überein, dass die Welt mitten in einer Rezession mit negativen Zuwachsraten des BIP steckt und, wenn die Politik "versagt", die Krise sich zu einer größeren "Depression" – selbst im Vergleich zu den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts – entwickeln kann.

Für eine Bewertung und Charakterisierung der aktuellen Krisenphänomene ist es wohl noch zu früh. Fest steht aber, dass wie immer letztendlich die "kleinen" Leute die Zeche bezahlen müssen, durch Lohnverzicht und/oder Verlust des Arbeitsplatzes. Die Gier der "Reichen" nach unbegrenztem Profit ist noch nicht gezügelt.

"Freiheit und Verantwortung" oder Das Scheitern des neoliberalen Diskurses

In jeder großen Krise des Kapitalismus werden die bisherigen Positionen der auf den Märkten Handelnden und der Meinungsführer aus Wirtschaft, Wissenschaft, Medien, Kultur und Politik auf den Prüfstand gestellt und ob ihrer zukünftigen Tauglichkeit geprüft. Heute, in der globalen Finanzmarktkrise, steht die "Freiheit der Konkurrenz" als allgemeingültige Handlungsmaxime zur Disposition und von einer notwendigen staatlichen "Regulierung" zumindest des Finanzkapitals ist allerorten die Rede. Nach dem Motto, was interessiert mich mein Geschwätz von gestern, sehen dieselben den alleinigen Ausweg aus der aktuellen Krise in einer radikalen Kehrtwendung hin zur Staatsverantwortung für die Märkte, die noch vor Tagen die Alleinseligmachung der privaten Handlungsfreiheit vielstimmig beschworen haben. Schuldige für die Krise werden gesucht und in der ungezügelten "Gier" nach dem schnellen Geld bei den Bankenmanagern gefunden. Den "Raubtierkapitalismus" gelte es durch eine geregelte "Soziale Marktwirtschaft" weltweit mit dem Ziel einer "menschlichen Marktwirtschaft" zu überwinden.

Man sollte nicht vergessen, dass noch in jüngster Vergangenheit jeder staatliche Eingriff in die Märkte und jeder Zugriff auf die privaten Einkommen vollmundig als "Steinzeitsozialismus" gescholten wurde. Wäre von "Links" die (Teil-)Verstaatlichung der großen Banken weltweit gefordert worden, man hätte dies als völligen Irrsinn bezeichnet.

Heute werden weltweit zig Billionen Euro gesellschaftlicher Mittel, letztendlich die Steuern der "kleinen Leute", als Bürgschaften oder Zuschüsse dem Finanzkapital zur Verfügung gestellt. Es wird das gesamte private Bankensystem unter staatliche Aufsicht gestellt bis hin zur zwangsweisen Teil- oder Ganzverstaatlichung maroder Finanzunternehmen. Und dies rund um den Globus!

Es ist Aufgabe der "Linken" hier zu Lande, die "Vergesellschaftung" des Kredit- und Versicherungswesens einzufordern, ebenso wie den völligen Stopp der Privatisierungspolitik von den Kommunen bis hin zur Deutschen Bahn, und es genügt nicht, in den Chor über die "unfähigen Manager" einzustimmen, so populistisch erfolgreich dies auch sei.

Gibt es Anlass zur Hoffnung, dass die gegenwärtige "Große Krise" überwunden werden kann, wenn Freiheit und Gerechtigkeit als sich bedingend eingefordert werden? Realistisch ist ein Szenarium, dass in einer Phase der verstärkten Staatsaufsicht über das Finanzwesen Billionen Euro öffentlicher Gelder zur Deckung privater Verluste aufgewendet werden. Diese gigantische Umverteilung von "Unten" nach "Oben" trifft vor allem die Weltmarktverlierer. Ein erneuter "Staatskapitalismus" ist als Ausweg aus der Finanzmarktkrise denkbar.

Zum Staatskapitalismus

Große Krisen – die lang anhaltende "Depression" der "kapitalistischen Produktionsweise" – stellen die grundlegenden Theoreme der Vergangenheit auf den Prüfstand der Geschichte. Der Kontext des Beziehungsgeflechts zwischen Ökonomie und Politik im Besonderen erfährt eine grundlegende Neu- und Umbewertung.

So endete in der Großen Krise der Dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts der "Manchesterkapitalismus". Der Sozial- und Wohlfahrtsstaat setzte sich nach vielen Wirren durch. Die Strukturkrisen der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wiederum brachten einerseits das Ende des Keynesianismus und die Hegemonie eines erneuerten Liberalismus, andererseits auch den Untergang des Staatssozialismus. Allgemein war zu Beginn des 21.Jahrhunderts weltweit die Kritik des Einflusses des Staates und der Politik auf die vermeintlich "wertfreie" Ökonomie vorherrschend. Der Siegeszug des Neoliberalismus ging einher mit der globalen Herrschaft der Finanzmärkte und der Ausrichtung aller Staaten auf den Weltmarkt. Der Aufstieg der sogenannten BRIIC-Staaten, wie der VR China, Russland oder Indiens, schien den Neoliberalismus zu bestätigen. Die weiterhin vorhandenen latenten und offenen Krisen, man denke an das Platzen der "new economy"-Blase oder an die Währungskrisen in Lateinamerika, Russland, Ostasien, wurden brutal ausgenutzt als Mittel, um die Hegemonie einer Philosophie zu stärken, die radikal das einzelne Individuum gegenüber den Erfordernisse der Gesellschaft und des Staates bevorzugt. Profit und dessen Steigerung wären der letztendliche Zweck der menschlichen Existenz, von den sog. Globalisierungsgegnern ohnmächtig beklagt.

Nun stehen wir nur wenige Jahre später 2012 mitten in einer neuen Großen Krise, deren Ursachen und Auswirkungen erst langsam verarbeitet werden. Der sprachlich beschönigend "Finanzmarktkrise" genannte Zusammenbruch des internationalen Kreditsystems hat viele Fassetten und die Auswirkungen auf das Gesamtgefüge der gesellschaftlichen Produktion sind noch unabsehbar. Absehbar und offensichtlich sind es der Staat und die politische Sphäre, denen eine neue, alte Rolle zukommt. Ein hemmungsloser Staatsinterventionismus ins Finanzgefüge, wobei die Politik Billionen Dollar weltweit mobilisiert, um den Kapitalismus am Laufen zu halten, wird auf einmal allgemein als letzter, einziger Ausweg aus der Krise betrachtet. Eine neue Marktwirtschaft, die "Freiheit und Verantwortung" einfordert, soll durch neue Eingriffe der internationalen Staatengemeinschaft in die Wirtschaftsabläufe, speziell des Kreditsystems, geschaffen werden. Und die verstärkte staatliche Kontrolle des Finanzwesens wird auf einmal zum Ziel derselben G8-Staatengruppe, die bislang der Hort des Neoliberalismus war. Der Ruf nach und die tatsächliche Verstaatlichung der "systemtragenden" Banken macht die Runde. Konjunkturprogramme, die direkte staatliche Hilfe für die notleidende Wirtschaft, werden hastig diesseits und jenseits des Atlantiks geschnürt. Frankreichs Staatspräsident Hollande will am liebsten den Kapitalismus zügeln und auch die "Reichen" zur Kasse bitten.

Die Politik des "Staatskapitalismus", vom neoliberalen Diskurs zum Feind der "Freiheit" erklärt, erfährt durch die beginnende neue Große Krise, so die These, eine Wiedergeburt, die die Welt nachhaltig verändern wird. Dabei sei betont, dass auch der liberale Staat niemals passiv war, sondern aktiv und vehement in die Wirtschaftsgefüge eingriff, von der Privatisierung des Staatsbesitzes bis hin zur Abschaffung von Regularien zur Kontrolle der Wirtschaft. Jetzt aber erfolgt eine radikale "Rolle rückwärts" hin zu einem erneuten staatlich gelenkten Kapitalismus, den verstaatlichte Banken und dirigistisch kontrollierte Finanzmärkte auszeichnen. Die Mär von der zwingenden Notwendigkeit des Zurückdrängens des Staates und der Politik aus der Ökonomie erweist sich wieder einmal als ideologische Veranstaltung.

Der "Europäische Rettungsschirm" ESM und der umstrittene Fiskalpakt

Spätestens seit 2008, als die Lehman Brothers Bank in Konkurs ging, explodierte die internationale Staatsverschuldung. So konnte in vielen Ländern der tiefe Konjunktureinbruch 2009 schnell kurzfristig überwunden und 2010 vielerorts die Rezession, z.B. mit Vorbildcharakter in Deutschland, gestoppt werden. Andernorts, beispielsweise in Griechenland, verschärfte sich noch die Krise der Nationalökonomie und war 2011 das Thema in den deutschen und internationalen Medien.

Heute stehen wir mitten in einer weltweiten Depression, vergleichbar mit der Weltwirtschaftskrise des letzten Jahrhunderts. Die Gleichzeitigkeit aller Krisenformen bei teilweise noch rasantem Wirtschaftswachstum, nicht nur in den BRIIC-Staaten, stellt an die Politik neue Anforderungen. ESFS, ESM, Fiskalpakt und eine Reihe anderer Staatsinterventionen reagieren auf die gigantische Staatsverschuldung vieler Länder. Läuft die ESFS 2013 aus, so soll der ESM noch in diesem Jahr seine volle Wirkung entfalten. In einem Fiskalpakt wollen die Euroländer, unterstützt von IWF und reichen Geberländern, die tiefe Krise meistern.

Den Preis des Versagens der Politik tragen wie immer die "kleinen" Leute. Rund um den Globus sind die Armen die Verlierer, erst recht, wenn die Depression der Gesellschaft ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Massenarbeitslosigkeit, schreiende Armut und existenzielle Not kennzeichnen die Lage in vielen Ländern, nicht nur in der Dritten und Vierten Welt, sondern auch von Griechenland bis nach Portugal!

Den Verlierern der umfassenden Krise stehen naturgemäß auch Gewinner gegenüber. Die Reichen dieser Welt sollen nun auch, da sind sich fast alle Marktteilnehmer einig, zur Kasse gebeten werden. Ob Inflation oder Deflation, die Kapitalentwertung findet bereits jetzt statt, siehe Fiskalpakt oder Ausweitung der Rolle der Zentralbanken.

Fazit:

Ob der Euro das bestehende Geflecht an Krisen und Wirtschaftsboom überlebt, ist jetzt noch nicht zu beantworten. Entscheidend wird der Herbst 2012. Ob ein Kern der Eurozone mit der Zentralmacht Deutschland bestehen bleibt oder der Euro ein Auslaufmodell ist, wird sich erst noch erweisen. Die europäische wie globale Politik kann jederzeit scheitern, so ernst ist die gegenwärtige Lage.

Und es darf nicht vergessen werden: Mit der Ausweitung der weltweiten Kriegszonen, welche vielfach mit den ökonomischen Krisenprozessen verbunden sind, entstehen so komplexe Gefahren, wobei schon allein die zunehmend aus der Natur und der Klimaveränderung sich ergeben Anforderungen an die Gesellschaft genug Sprengkraft besitzen, so dass die Zukunft der Menschheit immer unsicherer wird.

Bleiben wir dennoch optimistisch und "fordern das Unmögliche" ein!

*) Karl Marx ist nach eigener Aussage kein "Marxist". Auch ist der Terminus "Marxismen" (W.F. Haug) m.E. aussagekräftiger als der Begriff "Marxismus".

Als Quellen verweise ich auf die philosophisch-ökonomischen Schriften von Marx und Engels; siehe MEW, verschiedene Jahrgänge, Berlin.

**) Zu den Begrifflichkeiten im Artikel: Die entsprechenden Stichwörter sind bei http://de.wikipedia.org/wiki zu finden.

Überarbeitete Version verschiedener Artikel aus den Jahren 1999 – 2012 August 2012 Herzlichen Dank an Martina, Alwin und Ralf für ihre Anregungen
Aktuell: Notiz 04 zu den olympischen Spielen in London.
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http://www.kwx-potsdam.de/cms/?p=440

 

 


VON: KARL WILD



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