Freitag, 24. August 2012

"Der Sozialstaat ist unbezahlbar". Sozialquote sei zu hoch.. wachsende Staatsverschuldung, und das sei die wahre Ursache der aktuellen Krise


Die Armen sind schuld an der Krise

 
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"Die Armen sind schuld an der Krise". So plump formuliert es keiner der neoliberalen "Experten" und Propheten.
Verwendet wird in diesen Kreisen das vornehmere Mantra "Der Sozialstaat ist unbezahlbar". Seine Kosten und die Sozialquote seien zu hoch und daher käme die wachsende Staatsverschuldung, und das sei die wahre Ursache der aktuellen Krise. Beweise liefern die Vertreter dieser Ansicht keine. Und das hat seinen Grund.

Zunächst möchte ich folgenden Begriff erklären. Was sind Sozialquoten?

Sozialquoten beinhalten alle möglichen und bekannten Formen von Sozialausgaben seitens des Staates:

• Behandlung von Krankheiten, Gesundheitsvorsorge und Invalidität
• Alter und Hinterbliebene
• Familien und Kinder
• Folgen der Arbeitslosigkeit
• Wohnen
• Vermeidung sozialer Ausgrenzung
• sonstige Ausgaben
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialquote#Entwicklung

Die Berechnung der Sozialquote erfolgt, indem die gesamten Sozialausgaben durch das Bruttoinlandsprodukt dividiert werden. Diesen Anteil bezeichnet man auch als Sozialquote und er stellt jenen Betrag dar, den der Staat im Jahr gemessen am BIP für soziale Tätigkeiten aufbringt.

Soviel zur Theorie.

Viele von uns kennen die Aussagen der neoliberalen JüngerInnen wie Kolm, Schellhorn, Unterberger oder Ortner, dass wir alle über unsere Verhältnisse leben.
Damit meinen sie, dass wir alle viel zu viel und viel zu lange Sozialleistungen erhalten und deshalb einen unvorstellbaren Schuldenberg aufgetürmt hätten. Dieser Ideologie folgend müssten wir nun alle den Gürtel enger schnallen.
Manch Leiharbeiter oder Praktikant wird sich bei solchen Sätzen denken: "Was habe ich falsch gemacht?"
Schauen wir uns das einmal genauer an:

Der Fall Deutschland

Im Jahr 1999 lag die Sozialquote bei 29,5 %, stieg bis zum Jahr 2004 auf 30,7 % leicht an und ging dann bis ins Jahr 2009 auf 28 % zurück. Im selben Zeitraum sanken die Schulden leicht und stiegen besonders ab 2005 an, obwohl die Sozialquote im Jahr 2009 mit 28 % rückläufig war. Hieran lässt sich ausmachen, dass die Sozialausgaben nicht unbedingt für den immensen Sprung bei den Staatsschulden verantwortlich sein können, da diese ja zurück gegangen waren.

Deutschland Vergleich

Jahr        Sozialquote/BIP        Staatsverschuldung/BIP 1999        29,5                61,3 2000        29,5                60,2 2001        29,6                59,1 2002        29,7                60,7 2003        30,3                64,4 2004        30,7                66,3 2005        30,1                68,6 2006        30                68,1 2007        28,9                65,2 2008        27,8                66,7 2009        28                74,4

Quelle für die Sozialquote: http://wko.at/statistik/Extranet/bench/sozialq.pdf

Quelle für die Staatsverschuldung:

publicdata/Eurostat

Der Fall Spanien

Spanien ist ein schönes Beispiel. Die Spanier tendierten über einen langen Zeitraum zu sehr konstanten Sozialquoten.

Die Sozialquote in Spanien lag von 1999 bis zum 2008 praktisch immer um die 20 %. Im selben Zeitraum reduzierten sich die Staatsschulden von 62,4 % im Jahr 1999 auf 36,3 % im Jahr 2007.

Manche mögen argumentieren, dass die Sozialquote im Jahr 2009 um 1,4 % gestiegen ist. Dieser Anstieg kann aber nicht dafür verantwortlich sein, dass eine über 13,2 % höhere Staatsverschuldung am BIP stattgefunden hat.

Wie anfangs schon erwähnt, drückt die Sozialquote aus, wie viel gemessen am BIP an sozialen Ausgaben fließt. Hätte man diesen Anstieg jetzt rein über Schulden finanziert, dann wäre die Staatsverschuldung um diesen Anteil gestiegen, also um 1,4 %. Tatsächlich liegt der Anstieg aber bei 13,2 % also dem 9,5fachen.

In Spanien fand zu dieser Zeit, wie in vielen europäischen Staaten, eine Wirtschaftskrise statt, und dieser Anstieg bei den Staatsschulden ist auf Hilfsprogramme für die Bauindustrie und Stützungskredite für den europäischen Bankenmarkt zurück zu führen. Jedoch nicht auf die Sozialausgaben, die alles andere als überdimensioniert waren, mit gerade mal 22,1 % gemessen am BIP.


Spanien Vergleich

Jahr        Sozialquote/BIP        Staatsverschuldung/BIP 1999        19,8                62,4 2000        19,8                59,4 2001        20                55,6 2002        19,7                52,6 2003        20                48,8 2004        20,3                46,3 2005        20,3                43,2 2006        20,6                39,7 2007        20,5                36,3 2008        20,7                40,2 2009        22,1                53,9

Quelle für Sozialquote: http://wko.at/statistik/Extranet/bench/sozialq.pdf

Quelle für Staatsschulden am BIP:

publicdata/Eurostat


Der Fall Vereinigtes Königreich

Im Jahr 1999 stand die Staatsverschuldung noch bei 43,7 %, sie ging dann bis ins Jahr 2002 auf 37,5 % zurück. Sie stieg dann bis ins Jahr 2009 auf über 69,6 %, obwohl die Sozialquote in diesem Zeitraum von 25,7 % gerade mal auf 26,3 % geringfügig anstieg.

Hervorzuheben ist, dass die Sozialquote von 2007 auf 2008 von 26 % auf 23,3 % zurückging, und die Staatsschulden trotzdem besonders stark wuchsen. Von 44,4 % auf 54,8 % gemessen am BIP.

Im Vereinigten Königreich lässt sich gut erkennen, wie gering die Korrelation der Sozialquote mit den Staatsschulden mitunter ist.

Vergleich Vereinigtes Königreich

Jahr        Sozialquote/BIP        Staatsverschuldung/BIP 1999        25,7                43,7 2000        25,7                41 2001        26,4                37,7 2002        26,8                37,5 2003        25,7                39 2004        25,7                40,9 2005        25,9                42,5 2006        26,3                43,4 2007        26                44,4 2008        23,3                54,8 2009        26,3                69,6

Quelle Sozialquote: http://wko.at/statistik/Extranet/bench/sozialq.pdf

Quelle Staatsschulden am BIP:

publicdata/Eurostat


Und Österreich?

In Österreich war in den letzten 10 Jahren eine sehr stabile Sozialquote zu beobachten und eine sehr stabile Staatsschuldenentwicklung. Auch hierzulande hat der überwiegende Großteil der Bevölkerung nicht über seine Verhältnisse gelebt.

Ein signifikanter Sprung lässt sich im Jahr 2009 ausmachen. Damals stieg die Sozialquote leicht von 27,8 % auf 28,4 % (durchaus entfernt vom Höchstwert aus dem Jahr 2004 – 29,4 % Sozialquote bzw. 64,7 % Staatsschulden), wo hingegen die Staatsschulden von 63,8 auf 69,5 % zulegten. Hier kann man auch erkennen, dass für diesen plötzlichen Sprung bei den Schulden nicht die Sozialquote verantwortlich sein kann, aufgrund des überproportionalen Wachstums.

Vergleich Österreich

Jahr        Sozialquote/BIP        Staatsverschuldung/BIP 1999        28,8                66,8 2000        28,8                66,2 2001        28,3                66,8 2002        28,6                66,2 2003        29                65,3 2004        29,4                64,7 2005        29,1                64,2 2006        28,7                62,3 2007        28,2                60,2 2008        27,8                63,8 2009        28,4                69,5

Quelle Sozialquote: http://wko.at/statistik/Extranet/bench/sozialq.pdf

Quelle Staatsschulden/BIP:

publicdata/Eurostat


Und die Eurozone?

In der Eurozone gemessen blieb die Sozialquote bei ungefähr 27 % zwischen den Jahren 2003 und 2009.

Bis in das Jahr 2007 stieg die Sozialquote in sehr geringem Maße, jedoch die Schuldenstandsquote sank von 63,2 % auf 60,7 %.

Von 2007 auf 2008 nahm die Sozialquote ab (0,8 %) aber im selben Zeitraum nahmen die Schulden von 60,7 % auf über 65 % zu.

Von 2008 auf 2009 nahm die Sozialquote um 1,1 % zu, aber die Staatsschulden um 12,2 %. Hieran erkennt man die geringe Korrelation bei einem Anstieg um 1,1 % bei der Sozialquote im Vergleich zum Anstieg der Staatsschulden von 12,2 % bedeutet das einen 11fach höheren Anstieg.

Ebenso ist anzumerken, dass diese Sozialquote über einen langen Zeitraum überhaupt keine negativen Auswirkungen auf die Staatsschulden der Eurozone hatte.

Jahr        Sozialquote/BIP Staatsverschuldung/BIP 2003        27,2                63,2 2004        27,6                63,5 2005        27,6                64,4 2006        27,6                63,2 2007        27,2                60,7 2008        26,4                65 2009        27,5                77,2

Quelle Sozialquote: http://wko.at/statistik/Extranet/bench/sozialq.pdf

Quelle Staatsschulden: http://wko.at/statistik/eu/europa-verschuldung.pdf

Zur Zusammensetzung der Sozialquoten der hier analysierten Staaten.

Spätestens ab 2002 bis 2006/7 war bei den hier untersuchten Staaten die Arbeitslosigkeit auf relativ stabilem Niveau. Die demographischen Ungleichheiten hatten sich ebenfalls in diesem Zeitraum schwach entwickelt. Ebenso sind die Ausgaben für Gesundheitsvorsorge und Pensionssysteme nicht überdurchschnittlich ausgeweitet worden. Dadurch kann man die Sozialquote in diesem Zeitraum bezüglich ihrer Zusammensetzung als relativ stabil bewerten.


Zusammenfassung

Sicherlich haben Ausgaben eine Auswirkung auf die Staatsschulden, wenn der jeweilige Staat eine intensive Fremdfinanzierung aufweist. Wie wir aber an diesen verschiedenen Beispielen gesehen haben, ist in der jüngeren Geschichte keine große Auswirkung von den Sozialausgaben auf die Staatsschulden zu verzeichnen gewesen.

Die Aussage, dass wir über Jahrzehnte über unsere Verhältnisse gelebt haben, ist somit falsch. Denn weder lassen sich Sozialquote noch Schuldenquote in einen nennenswerten Zusammenhang bringen.

Der Anstieg der Staatsschulden, besonders in den letzten Jahren, ist auf die Wirtschaftskrise und die darin verwickelten Personen und Firmen zurück zu führen. Jedoch nicht auf den Sozialstaat, denn der kann, wie man gesehen hat, durchaus recht kompetent mit den ihm zuteilten Geldern umgehen.



Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

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