Allerheiligen
[via Gottes Wort im Kirchenjahr - 2003 - Lesejahr B]
Gelungenes Leben
Wir sind gemeint
Spätestens am Schluss des Evangeliums müssten wir gemerkt haben, dass wir gemeint sind: Selig seid ihr, freut euch und jubelt. Aber fühlen wir uns angesprochen? Oder zieren wir uns: Nein danke, bitte keinen Lohn im Himmel!
Die Seligpreisungen der Bergpredigt sind Jesusworte. Und sie gehören zur Weltliteratur. Sie kommen vom »höchsten Himmel« und aus der »tiefsten Seele«. In ihnen berühren sich Himmel und Erde, menschliche Sehnsucht und göttliche Verheißung. Ihre Auslegungen füllen Bibliotheken. Es sind Worte mit einem »Überschuss an Sinn«. Bis auf den heutigen Tag horchen Menschen auf und sind verblüfft über die neuen Konturen, die ihre Träume plötzlich bekommen: Selig, die keine Gewalt anwenden, selig die Barmherzigen, selig, die Frieden stiften, selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden ...
Obwohl alle diese großen Worte mehr als geschändet wurden, haben sie ihre Schönheit bewahrt; sie verbrauchen sich nicht. Und wieder meldet sich der Skeptiker in mir: Aber sind sie nicht zu schön, um wahr zu sein? Es darf auch eine Wahrheit geben, die schön ist, eine Wahrheit, bei der uns das Herz aufgeht. Es gibt genügend Wahrheiten, bei denen wir zusammenzucken oder am liebsten vom Erdboden verschwinden möchten. Die Wahrheit der Seligpreisungen will, dass wir gerne Menschen sind, mit den Füßen auf der Erde und mit unserem Herzen, mit unserer Hoffnung im Himmel.
Unselig und selig
Heute feiern wir ein Festival des gelungenen Lebens. Das Fest aller Heiligen (Allerheiligen) will uns daran erinnern. Da dürfen wir den Blick ruhig einmal weit machen. Er geht über die mit den großen Namen hinaus: Martin, Benedikt, Franziskus, Elisabeth, Maximilian Kolbe, Mutter Teresa und wie sie alle heißen mögen. Heute meinen wir ganz normale Menschen.
Wir meinen Christen und Juden, Muslime und Hindus, Gläubige und Ungläubige, denn für jeden von uns ist am Ende nur eine Frage entscheidend: Bist du Mensch gewesen, bist du du selbst gewesen, bist du so gewesen, wie Gott dich gedacht hat: friedfertig, barmherzig, achtsam, versöhnlich, gerecht, großzügig, geschwisterlich? Heute geht es nicht um die Perfektionisten.
Es geht nicht um die mit dem verbissenen Gesicht der »Alles-richtig-Macher«. Viel sympathischer sind die mit den heiteren Zügen, die wissen, was Leben ist in seinem Auf und Ab, in Versuch und Irrtum, in Abkehr und Umkehr. Heilige, das sind die Menschen, die wahrhaft Mensch gewesen sind und deren Leben gelungen ist. Heilige, das sind Menschen, auf die die Seligpreisungen zutreffen.
Was gemeint ist, geht uns sehr schnell auf, wenn wir uns einmal das genaue Gegenteil vorstellen: Selig, die rücksichtslos für sich in Anspruch nehmen, immer und über all die ersten zu sein; selig die Gewalttätigen, die alles niederreißen und über Leichen gehen; selig, die überall Unruhe schüren und Streit anfangen, sie dürfen sicher sein, dass sie ihren Platz in den Geschichtsbüchern finden werden; selig die Unbarmherzigen, die sich heuchlerisch über die Fehler der anderen hermachen ... Genug davon, Sie spüren, dass es das nicht sein kann. Da sträubt sich etwas in uns. Das ist keine schöne Wahrheit. Unter einer solchen Weltordnung würde das Leben nicht mehr lebenswert sein. In der Bergpredigt versichert uns Jesus, dass es Gott sei Dank anders ist.
Und das Fest Allerheiligen sagt uns, dass es - ebenfalls Gott sei Dank - viele sind, die die Wahrheit dieser Worte erkannt haben, die sich auf diese Wahrheit eingelassen haben und deren Leben deshalb in den Augen Gottes gelungen ist:
Heilige des Alltags
Es gibt den Reichen mit der sozialen Verantwortung, der Geld hat, aber nicht daran hängt. Es gibt die »Lautlosen«, die an einem Krankenbett sitzen und einen unheilbar Kranken zu trösten verstehen. Es gibt Menschen, die immer ein ermunterndes Wort parat haben und unter deren Augen man sich wohlfühlt. Es gibt die Frauen und Männer, die nicht nur wissen, wie »es« richtig wäre, sondern die sich in eine Beratungsstelle setzen, zuhören und nach Wegen, ja auch nach Auswegen suchen. Es gibt diese endlose Liste gelungenen Lebens. Egoisten können damit nichts anfangen. Und Frömmler auch nicht. Rechthaber übrigens auch nicht. Heilige sind Menschen, die gut sind, weil Gutsein schön ist. Jesus muss sie förmlich daran erinnern, dass sie nicht leer ausgehen: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.
Menschen, die zum Gelingen des Lebens anderer beitragen, dürfen sicher sein, dass ihr eigenes Leben gelingt. Man kann dies natürlich alles zuerst von andern erwarten oder sogar fordern. Nur, dadurch wird die Welt nicht anders. Anders wird sie nur, wenn ich selbst die Seligpreisungen zu leben beginne: Ich möchte ein Mensch sein, der ohne Gewalt auskommt, ich möchte Frieden stiften, wo sich andere am Unfrieden aufreiben und wieder andere sich am Unfrieden freuen. Ich möchte arm sein vor Gott, ich möchte von Herzen bitte und danke sagen könne, weil ich weiß, dass fast alles Geschenk ist und nicht selbstverständlich. Ich will nicht auf mein Recht pochen, wenn anderen dadurch Unrecht geschieht. Ich will ein Mensch mit einem reinen Herzen sein; wenn ich ja sage, will ich ja meinen, und wenn ich nein sage, will ich nein meinen.
Vom Prior der ökumenischen Bruderschaft in Taizé stammt das Wort: Wenn jeder das vom Evangelium tut, was er verstanden hat, dann ist es genug. Was habe ich, was haben wir vom Evangelium verstanden? Ergänzen wir uns? Das Ganze haben wir nur gemeinsam.
Das Fest Allerheiligen zeigt uns alle jene, die vom Evangelium verwirklicht haben, was sie verstanden haben. Und weil Gott auf das Herz schaut, ist es sogar egal, ob sie das Evangelium als Buchstabe kannten oder nicht.
Hadrian W. Koch
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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