Samstag, 17. November 2012

Private Altersvorsorge Regierungsgeschenke für Versicherungskonzerne mehr in #MONITOR um 20:15 Uhr auf #tagesschau24

Private Altersvorsorge:
Regierungsgeschenke für Versicherungskonzerne
 
Monitor Nr. 641 vom 15.11.2012

Wiederholung am 16.11.2012 um 20:15 Uhr auf tagesschau24
 
[via wdr.de]

http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2012/1115/alter.php5
 

Bericht: Monika Wagener, Ralph Hötte, Nikolaus Steiner

Georg Restle: "Es war eine Nacht- und Nebelaktion, mit der die Schwarz-Gelbe Koalition letzte Woche beschlossen hat, Millionen Deutsche um einen Teil ihrer Ersparnisse zu bringen. Mitbekommen hat das kaum jemand, die Reihen im Bundestag waren fast leer. Aber die Folgen können erheblich sein. Nämlich für diejenigen von Ihnen, die eine private Lebensversicherung abgeschlossen haben. Nach dem neuen Gesetz soll Geld, das eigentlich für Versicherte vorgesehen war, bei den Versicherungskonzernen gebunkert werden. Eigentlich ist es nicht zu fassen. Ausgerechnet die Politiker, die uns jahrelang private Altersvorsorge gepredigt haben, tragen jetzt dazu bei, dass erneut die Versicherungsbranche profitiert, während Millionen Versicherte kaum noch den Inflationsausgleich erhalten. Über die große Lüge von der ach so sicheren Privatvorsorge berichten Monika Wagener, Ralph Hötte und Nikolaus Steiner."

Angela Merkel: "Ihr braucht als zusätzliche Säule die private Vorsorge."

Guido Westerwelle: "Eigenverantwortung durch private Zusatzvorsorge."

Gerhard Schröder: "Wir müssen damit leben, dass wir mehr privat vorsorgen müssen."

Ursula von der Leyen: "Ganz wichtig ist, dass gerade diese Gruppe, die Geringverdiener privat vorsorgen."

Sie hat privat vorgesorgt, Gretel Warnke hat eine Lebensversicherung abgeschlossen, vor 23 Jahren. Die 60-jährige Frührentnerin wollte damit noch vor der Rente die Resthypothek ihres Hauses tilgen - eigentlich. Monat für Monat hatte sie 80,- Euro eingezahlt. Jedes Jahr teilte ihr die Versicherung dafür mit, was sie als Auszahlung zu erwarten hatte. Lange Zeit sah das gar nicht so schlecht aus.

Gretel Warnke: "Dann war die Versicherungsleistung bei Vertragsablauf 46.019,- Euro.

Reporter: "1999?"

Gretel Warnke: "Ja. Das war ja an und für sich auch nicht schlecht, da konnte man noch was damit anfangen."

Bis 1999 hieß es, Ihre Versicherungsleistung bei Vertragsablauf einschließlich der Überschussanteile beläuft sich auf 46.019,- Euro, wenn auch nicht garantiert. Dann das böse Erwachen. Im Jahr 2000 war plötzlich nur noch von 43.935,- Euro die Rede, dann von 41.754,-, so ging es von Jahr zu Jahr weiter bergab. Bis ihr jetzt am Ende tatsächlich nur 34.446,- Euro ausbezahlt wurden.

Gretel Warnke: "Fast 12.000,- Euro weniger als vorangekündigt war, innerhalb von den 23 Jahren. Aber ich würde es auch nie mehr abschließen, so was.

So wie Gretel Warnke geht es derzeit vielen. Die Verbraucherzentralen kennen Tausende solcher Fälle. Immerhin besitzen die Deutschen mehr als 90 Millionen Lebensversicherungsverträge über insgesamt 280 Milliarden Euro.

Edda Castelló, Verbraucherzentrale Hamburg: "Wir haben das laufend, inzwischen bekommen ja die Kunden auch jedes Jahr eine Standmitteilung. Und sie wundern sich schon sehr, dass von Jahr zu Jahr die Überschüsse sinken. Das heißt, dass am Ende auch die Ablaufleistung viel geringer wird als ihnen mal prognostiziert worden ist."

Dabei hatte Frau Warnke noch Glück, denn immerhin bekam sie von ihrer Versicherung noch ihren Anteil an den so genannten Bewertungsreserven ausbezahlt, immerhin 1.859,- Euro. Bewertungsreserven, genau darum geht es. Die Auszahlung jeder Lebensversicherung setzt sich nämlich zusammen aus den Zinsgewinnen und den Überschussbeteiligungen. Ein Teil dieser Überschüsse sind die so genannten Bewertungsreserven, an denen die Versicherung ihre Kunden bei Ablauf oder Kündigung beteiligen muss - bislang. Für die Versicherten geht es um einige Tausend Euro, für die Versicherungskonzerne aber um mindestens eine Milliarde pro Jahr, sagen Experten. Geld, das die Unternehmen künftig nicht auszahlen müssen, wenn die Zinsen niedrig bleiben. Quasi mitten in der Nacht hat das der Bundestag genau vor einer Woche beschlossen. Es war ein Wunsch der Versicherungsindustrie. Die Abstimmung war kurz vor 22:00 Uhr, kaum ein Abgeordneter war noch da, eine Debatte fand nicht statt. Ein weitreichender Beschluss.

Gerhard Schick (B90/ Die Grünen), Finanzausschuss des Deutschen Bundestages: "Das, was wir im Bundestag beschlossen haben, bedeutet für sehr viele Versicherte, dass sie relevante Einbußen haben bei den Überschussbeteiligungen. Also weniger aus ihrem Lebensversicherungsvertrag erhalten als Sie erwarten konnten."

Wieso sind die Bewertungsreserven so wichtig? Beispiel Allianz. Zwar sind auch beim größten Lebensversicherer die Zinsen in den letzten Jahren gefallen, aber dafür die Bewertungsreserven enorm gestiegen. Ein gewisser Ausgleich, von dem ausscheidende Versicherte in Niedrigzinsphasen bisher profitieren können - genau das soll ihnen nun genommen werden. Und das obwohl das Bundesverfassungsgericht 2005 den Gesetzgeber ausdrücklich verpflichtet hatte, dafür zu sorgen, dass die Versicherungen ihre Kunden angemessen an den Bewertungsreserven beteiligen.

Gerhard Schick (B90/ Die Grünen), Finanzausschuss des Deutschen Bundestages: "Das Bundesverfassungsgericht hat 2005 explizit die Rechte der einzelnen Versicherten gestärkt an den Überschussbeteiligungen, und genau in diesem Bereich wird jetzt eingegriffen, so dass ich Zweifel habe, ob das vor dem Verfassungsgericht bestehen würde."

In der Werbung klang es doch immer so schön:

Werbespot 2009 HDI Gerling Lebensversicherung: "Wer kann mir garantieren, was ich morgen bekommen werde? Ohne Risiken und Nebenwirkungen. Gibt es so etwas eigentlich auch für den Schutz meiner Familie?"

Garantiert? Ohne Risiken und Nebenwirkungen? Tatsächlich hat der Staat Millionen Menschen auf den Kapitalmarkt gedrängt, in die private Vorsorge. Doch auf dem Kapitalmarkt gibt es kaum mehr etwas zu holen. Auch der Garantiezins für Lebensversicherungen sinkt seit Jahren dramatisch, inzwischen unter Inflationsniveau. Und jetzt müssen ausscheidende Versicherte auch noch auf ihren Anteil an den Bewertungsreserven verzichten. Versicherungsmathematik ist kompliziert, zu den wenigen, die sie durchschauen gehört Axel Kleinlein beim Bund der Versicherten. Für ihn sind die Bewertungsreserven nur ein weiteres Beispiel dafür, dass die Versicherten immer weiter benachteiligt werden.

Axel Kleinlein, Bund der Versicherten: "Es ist schon perfide, dass die Politik im Moment mit vielfältigen Gesetzen daran dreht, dass die Ablaufleistungen und die Rentabilität der Altersvorsorgeprodukte schlechter werden, um dann am Schluss auch noch dem Bürger zu sagen, weil die Ablaufleistungen schlechter sind, müsse der Bürger jetzt noch mehr Altersvorsorge betreiben. Das ist ein perfider Weg."

Und trotzdem hat die Bundesregierung letzte Woche fast unbemerkt einen Wunsch des GDV erfüllt, des Lobbyverbandes der Versicherungen. Der hatte schon lange getrommelt. Angesichts der Niedrigzinsphase sei es notwendig, die Risikotragfähigkeit der Unternehmen zu erhöhen. Ein Interview bekommen wir nicht. Die Schlagzeilen "Lebensversicherer in Not", "Lebensversicherer wollen den Garantiezins aussetzen", kamen immerhin passend, einen Tag vor der Abstimmung im Bundestag. Zufall? Tatsächlich geht es vielen Versicherungsunternehmen gar nicht schlecht. Nicht nur dem größten deutschen Versicherer, der Allianz. Die konnte jüngst sogar wieder tolle Quartalsergebnisse vermelden und einen Gewinn von 2 Milliarden Euro für letztes Jahr an ihre Aktionäre ausschütten. Auch das Bundesfinanzministerium schreibt in einem internen Papier: Nach den Ergebnissen einer Untersuchung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen ...

Zitat: "…bringt eine anhaltende Niedrigzinsphase alleine bis 2018 keinen deutschen Lebensversicherer in Schwierigkeiten ..."

So sieht das auch Barbara Sternberger-Frey. Sie bewertet seit Jahren Finanzprodukte und kennt die Strategien der Versicherungsunternehmen. Für sie ist klar, dass die schon lange das Gesetz zu den Bewertungsreserven ändern wollten.

Barbara Sternberger-Frey, Finanzjournalistin: "Die Niedrigzinsphase wird ausgenutzt. Das war ja schon 2008 eine Forderung der Versicherungsbranche. Die wollten das damals schon nicht und sie nehmen natürlich jetzt das aktuelle Umfeld, um zu sagen, uh, uns geht's so schlecht, wir brauchen das. Sonst ist unser Geschäftsmodell gefährdet."

Dennoch hat die Bafin den Wunsch der Versicherungslobby, die Bewertungsreserven nicht auszuzahlen, unterstützt. Und zwar auch für Unternehmen, denen es gut geht.

Barbara Sternberger-Frey, Finanzjournalistin: "Und das ist auch das Ärgerliche daran. Denn Schutzmechanismen für Unternehmen, denen es wirklich schlecht geht jetzt, die hatten wir eigentlich schon im Gesetz. Und jetzt wird hier eine Regelung geschaffen, von der alle profitieren können und wo sie praktisch Gewinne, die eigentlich den heutigen Kunden zustehen, für die Zukunft bunkern können."

Die Bafin verweist darauf, dass die Bewertungsreserven ja im Unternehmen verbleiben und damit auch zukünftigen Versicherten zugutekämen. Man gibt zu, dass ausscheidende Versicherte einen Nachteil haben, aber der sei gering.

Elke König, Präsidentin Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht: "Die Zahlen, die ich gesehen habe, sind relativ kleine Zahlen, wenn es darum geht, wie hoch der Unterschied für den einzelnen Versicherungsnehmer ist. Wenn Sie Verträge haben, laufen die ja in der Regel über 15, 20 oder 25 Jahre."

Reporter: "Haben wir viele Verträge gesehen ..."

Elke König, Präsidentin Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht: "Insofern ist die Auswirkung auf den einzelnen Vertrag glaube ich sehr gering."

Reporter: "Finden Sie knapp 2.000 Euro gering? Wir haben einen Fall in der Sendung, 1.800 Euro allein durch die Bewertungsreserven. Das sind kleine Sparer, die sich das mühsam vom Mund abgespart haben, denen nehmen Sie durch die Maßnahme das Geld."

Elke König, Präsidentin Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht: "Ich halte 1.800 Euro auch für viel Geld. Ich weiß nur nicht, wie hoch die Versicherungssumme ist. Es muss eine relativ hohe Versicherungssumme sein, sonst können es nicht 1.800 Euro sein, also so ein ganz kleiner Vertrag kann's nicht sein."

Kein ganz kleiner Vertrag? 80,- Euro hatte Frau Warnke jeden Monat gespart, 23 Jahre lang. Für Menschen wie sie sind 1.800,- Euro eine Menge Geld, zumal sie ohnehin schon 12.000,- Euro weniger bekommen hat als prognostiziert. Der deutsche Sachverständigenrat warnte jüngst im Auftrag der Bundesregierung. Wer im Alter überwiegend auf kapitalgedeckte Altersvorsorge gesetzt habe, müsse seine Planungen für den Ruhestand jetzt revidieren. Komisch, klang das nicht anders?

Westerwelle: "Durch Eigenverantwortung, durch private Zusatzvorsorge ..."

Angela Merkel: "Ihr braucht als zusätzliche Säule die private Vorsorge."

Georg Restle: "Die Versicherungen werben übrigens weiter mit der privaten Lebensversicherung. Die Privatrente ist sicher, heißt es. So ähnlich hat das ja schon mal jemand gesagt."

Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

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