»Wenn du wirklich Kommunist bist« Über den Pariser Tonfilmfrieden, drei Fahrräder, die Gründung der SED und das Vermächtnis der DEFA. Auszüge aus einem Gespräch mit Kurt Maetzig
Kurt Maetzig wurde am 25. Januar 1911 in Berlin geboren, studierte Chemie und Wirtschaft an der TH München und Jura in Paris, trat 1944 der KPD bei, war 1946 Mitbegründer der DEFA, leitete deren Wochenschau »Der Augenzeuge«, drehte ab 1947 auch Spielfilme, u.a. »Der Rat der Götter« (1950), »Ernst Thälmann Sohn seiner Klasse« (1954), »Schlösser und Katen« (1957), »Der schweigende Stern« (1960)
Am vergangenen Mittwoch ist Kurt Maetzig im Alter von 101 Jahren gestorben. Für das Buch »Das Prinzip Neugier: DEFA-Dokumentarfilmer erzählen«, das in Kürze im Verlag neues leben erscheint, hat er der Filmwissenschaftlerin Christiane Mückenberger eines seiner letzten Interviews gegeben. Wir drucken vorab einige Auszüge.
Über seine Berufswahl nach dem Abitur, das er 1930 in Berlin abgelegt hatte:
Über die Zeit nach dem Krieg, den er in einem kleinen fotochemischen Labor in Werder an der Havel überlebt hatte:
Über den Mangel an Rohfilm im Nachkriegsdeutschland:
Also haben wir den Film erst einmal überall, wo wir ihn gefunden haben in Filmateliers oder ähnlichen Räumlichkeiten , mitgenommen und haben die Restbestände aufgearbeitet. Das hat noch ziemlich lange Zeit gedauert. Selbst dann noch, als die Filmproduktion schon angelaufen war, als auch Atze Brauner in Westberlin schon seine Firma hatte. Man erzählt sich, daß bei einer Mustervorführung eines Films über die Naziverbrechen an der jüdischen Bevölkerung, der zum Teil an Brauners Biografie angelehnt war, der Häftlingszug zu sehen war und gleichzeitig ein Ozeandampfer im Hintergrund des Bildes. Alle, vor allem natürlich die Kameramänner, fielen fast in Ohnmacht: »Um Gottes willen, was ist denn das?« Aber Brauner sagte nur: »Was regen Se sich auf? Das sind die Gedanken von de Leut. Sie wollen fahren nach Amerika.«
Über den Kurzdokfilm »Einheit SPD-KPD«, den er 1946 für die Wochenschau »Der Augenzeuge« drehte:
Ich habe mir heute noch einmal den Film »Einheit SPDKPD«, über die Vereinigung der Sozialdemokratischen und der Kommunistischen Partei Deutschlands zur Sozialistischen Einheitspartei, angesehen. Und ich bin so erstaunt gewesen, denn ich habe gedacht, daß der Film hauptsächlich aus Ansprachen und Reden besteht. Aber überhaupt nicht. Das ist ein Film, der sich gegen die These wehrt: Das ist alles irgendwo oben beschlossen worden, und unten, die wollten es gar nicht. Ich habe damals schon geahnt, daß dieser Einwand kommt. Und ich habe großen Wert darauf gelegt, zu zeigen, wie diese Einheit hergestellt wurde, bis in die kleinsten Ortschaften und kleinsten Gebiete hinein, mit lebhaften offenen Diskussionen zuvor. Der Beschluß stand keineswegs schon vorher fest. Da standen Hunderte, mitunter Tausende von Menschen vor dem jeweiligen Versammlungsort und warteten auf die Entscheidung, die immer mit großer Zustimmung begrüßt wurde. Von beiden Seiten: von Sozialdemokraten und von Kommunisten. Das waren große Momente. Die Erfahrung mit den Folgen der zerstrittenen Arbeiterparteien war in dieser Zeit noch gegenwärtig, selbst durchlebt.
Über seinen künstlerischen Anspruch in den Nachkriegsjahren:
Eine planvolle Entwicklung der filmischen Formen haben wir versäumt, damit haben wir viel zu spät begonnen, das ist als zweitrangig eingestuft worden. Und das war verkehrt, denn die Form muß gleichrangig mit der Erneuerung des Inhaltes einhergehen. Gleichrangig. Das habe ich damals nicht verstanden. Darum bin ich viel zu spät darangegangen, das zu korrigieren. Und es ist mir schwergefallen. Also das ist der eine große Fehler, den ich gemacht habe.Der zweite große Fehler ist, daß ich die Bedeutung einer wirklichen Formerneuerung auf dem Gebiet der Musik im Film unterschätzt habe. Filmmusik ist so ein großes Wirkungsmittel und wird oft nur schematisch eingesetzt, besonders im Dokumentarfilm. Da ist der Schnitt fertig, kommt Musik drüber, gut. Gedankenlos und überflüssig. Viel zu spät bin ich darauf gekommen.
Über den historischen Stellenwert der DEFA:
Die Frage ist ungeheuer schwer zu beantworten, weil ich sie jede Minute anders beantworten würde. Sehr, sehr wichtig ist mir die Tatsache gewesen, daß dort Künstler, Techniker, Ökonomen, Leute sehr verschiedener politischer Couleur gearbeitet haben. Individualisten alle, die aber alle zusammen arbeiten wollten, mit einem Ziel: Wir wollen ein Deutschland ohne Krieg und Faschismus! Daß sich die ganze DEFA darauf richtete, daß sie das zeitweilig aus Idealismus klug anfing und dann wieder auf Irrwege geriet, das ist das Leben. Und das zeigt, wie die Erkenntnis auf diesem Gebiet nicht einfach nur erdacht, sondern erlebt werden muß.Ich habe die DEFA erlebt als eine große Menschengruppe, die nicht als Konkurrenten, sondern als Kollegen gearbeitet hat. Daß so etwas wie die Erfindung von Arbeitskreisen möglich war, in denen produziert wurde, wobei der eine Drehstab den anderen kritisieren konnte, sollte und durfte und wo Kritik erwünscht und gebraucht wurde, halte ich für eine große Errungenschaft, die sich zu anderer Zeit unter anderen Umständen erneut als brauchbar erwiesen hat. Und ebenso halte ich andere Dinge, Irrwege, die uns gequält und die uns von dem Ziel, das ich genannt habe, abgedrängt haben, die halte ich auch für wichtig, weil man die Lehren, die man aus ihnen ziehen darf, nicht vergessen sollte. Für eine der wichtigen Sachen halte ich auch die soziale Sicherheit, daß alle Mitarbeiter auf festen Arbeitsplätzen arbeiteten, so daß sich feste Drehstäbe bilden konnten, die von einem Film zum anderen zusammenblieben oder nur teilweise ausgetauscht wurden, so daß eine Optimierung des Produktionsprozesses möglich war.
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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