Montag, 13. August 2012

»Wenn du wirklich Kommunist bist« ... aus einem Gespräch mit Kurt Maetzig [via Junge Welt]


»Wenn du wirklich Kommunist bist«

 

Über den Pariser Tonfilmfrieden, drei Fahrräder,

die Gründung der SED und das Vermächtnis der DEFA.

Auszüge aus einem Gespräch mit Kurt Maetzig

[via Junge Welt]
 
 
http://www.jungewelt.de/2012/08-13/027.php
 

Kurt Maetzig wurde am 25. Januar 1911 in Berlin geboren, studierte Chemie und Wirtschaft an der TH München und Jura in Paris, trat 1944 der KPD bei, war 1946 Mitbegründer der DEFA, leitete deren Wochenschau »Der Augenzeuge«, drehte ab 1947 auch Spielfilme, u.a. »Der Rat der Götter« (1950), »Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse« (1954), »Schlösser und Katen« (1957), »Der schweigende Stern« (1960)
Am vergangenen Mittwoch ist Kurt Maetzig im Alter von 101 Jahren gestorben. Für das Buch »Das Prinzip Neugier: DEFA-Dokumentarfilmer erzählen«, das in Kürze im Verlag neues leben erscheint, hat er der Filmwissenschaftlerin Christiane Mückenberger eines seiner letzten Interviews gegeben. Wir drucken vorab einige Auszüge.

Über seine Berufswahl nach dem Abitur, das er 1930 in Berlin abgelegt hatte:

Mein Vater hatte eine kleine Filmkopieranstalt erworben und war dabei, sie zu modernisieren. Sie war noch ganz als Handwerksbetrieb gegründet worden und hat sich in einen modernen kleinen Industriebetrieb verwandelt. Und dabei habe ich schon einiges mitgemacht. Jedenfalls konnte ich nun im Vorführungsraum dieser Filmkopieranstalt, wo die hergestellten Filmkopien durchliefen und geprüft wurden, jeden Tag Filme ansehen und fand großes Gefallen am Filmwesen.

Mein Vater bemerkte das und hat etwas sehr Weitreichendes und Kluges zu mir gesagt: »Du mußt genau wissen und nie vergessen: Film, das ist etwas anderes als nur die Bilder und Geschichten auf der Leinwand und die Schauspieler. Film ist ein großes, sehr vielgestaltiges Gebilde. Es ist eine Massenkunst. Es ist ein Mittel, auf die Befindlichkeit und die Denkweise der Bevölkerung Einfluß zu nehmen. Film ist ein großes technisches Gebiet, aber zugleich auch eine der größten Industrien.« Ich glaube, für eine kurze Zeit war Film einmal die zweitgrößte Industrie in Deutschland. Und man liegt nicht schief, wenn man sie später als dritt- oder viertgrößte vermutet.

Film war auch ein sehr interessantes juristisches Gebiet. Ich will nur ein Detail anführen: 1930 gab es in Paris eine große Konferenz zwischen Filmproduzenten und Filmtechnikproduzenten aus Europa und Amerika. Und im Gegensatz zu den Konferenzen, die jetzt immer mit gegensätzlichen Meinungen abschließen und selten zu einem positiven Ergebnis führen, war diese Konferenz erfolgreich. Sie erarbeitete von allen Seiten – also ganz Europa und ganz Amerika – einen Normen-Katalog für den Film: Wie das Bild sitzt, welche Maße es hat, wie der Ton aufgezeichnet wird und wo der Tonstreifen sitzt – da ging es um Hundertstelmillimeter. Das ist seitdem auf der ganzen Welt gleich. Es ist ein juristisches Meisterstück gewesen, der »Pariser Tonfilmfriede«. Und der besagte, daß diese allgemeinen Normen im Prozeß der Herstellung und Wiedergabe überall auf der Welt gleich sind. Überall auf der Welt kann ein Film gedreht und an einem beliebigen anderen Ort der Welt aufgeführt werden. Das sehe ich noch heute als eine große Errungenschaft an.

Über die Zeit nach dem Krieg, den er in einem kleinen fotochemischen Labor in Werder an der Havel überlebt hatte:

Als Erstes mußte ich nach Berlin, denn in Werder war nichts mehr zu tun. Und natürlich mit dem Fahrrad. Also, ich kann heute – es ist so viel Zeit vergangen – zugeben, daß ich auf diesem Weg drei Fahrräder eingebüßt habe. Ich wurde einfach vom Rad heruntergestoßen, und das Rad fuhr mit anderen weg. Einmal sehe ich mich die Autobahn überqueren. Und unten auf der Autobahn kehrten russische Gefangene zurück. Die wollten nach Hause, zurück in die Heimat. Einer von denen kam heraufgelaufen, hat mich mit meinem Fahrrad gesehen und das Fahrrad festgehalten. Und hat gesagt, das Fahrrad wäre jetzt seines. Da habe ich erwidert, ich hätte noch sehr viel vor. »Ich will alles verändern! Dazu braucht man unbedingt ein Fahrrad. Ohne Fahrrad kann man nichts zum Guten verändern. Ich brauche das!« Da sagte er: »Du mußt doch verstehen, daß wir das Fahrrad viel dringender brauchen. Du als Faschist«, hat er zu mir gesagt, »du kommst als Letzter dran, ein Fahrrad zu kriegen«. Da habe ich geantwortet: »Nein, ich bin ja ein Kommunist, ich bin gar kein Faschist.« Da hat er zu mir gesagt: »Wenn das wahr ist und du unter den vielen, die alle keine Kommunisten sind, wirklich ein Kommunist bist, dann bist du der Einzige, der verstehen kann, daß wir das Fahrrad viel dringender brauchen als du. Damit mußt du doch einverstanden sein.« Und so verlor ich mein Fahrrad.

Über den Mangel an Rohfilm im Nachkriegsdeutschland:
Also haben wir den Film erst einmal überall, wo wir ihn gefunden haben – in Filmateliers oder ähnlichen Räumlichkeiten –, mitgenommen und haben die Restbestände aufgearbeitet. Das hat noch ziemlich lange Zeit gedauert. Selbst dann noch, als die Filmproduk­tion schon angelaufen war, als auch Atze Brauner in Westberlin schon seine Firma hatte. Man erzählt sich, daß bei einer Mustervorführung eines Films über die Naziverbrechen an der jüdischen Bevölkerung, der zum Teil an Brauners Biografie angelehnt war, der Häftlingszug zu sehen war und gleichzeitig ein Ozeandampfer im Hintergrund des Bildes. Alle, vor allem natürlich die Kameramänner, fielen fast in Ohnmacht: »Um Gottes willen, was ist denn das?« Aber Brauner sagte nur: »Was regen Se sich auf? Das sind die Gedanken von de Leut. Sie wollen fahren nach Amerika.«

Über den Kurzdokfilm »Einheit SPD-KPD«, den er 1946 für die Wochenschau »Der Augenzeuge« drehte:

Ich habe mir heute noch einmal den Film »Einheit SPD–KPD«, über die Vereinigung der Sozialdemokratischen und der Kommunistischen Partei Deutschlands zur Sozialistischen Einheitspartei, angesehen. Und ich bin so erstaunt gewesen, denn ich habe gedacht, daß der Film hauptsächlich aus Ansprachen und Reden besteht. Aber überhaupt nicht. Das ist ein Film, der sich gegen die These wehrt: Das ist alles irgendwo oben beschlossen worden, und unten, die wollten es gar nicht. Ich habe damals schon geahnt, daß dieser Einwand kommt. Und ich habe großen Wert darauf gelegt, zu zeigen, wie diese Einheit hergestellt wurde, bis in die kleinsten Ortschaften und kleinsten Gebiete hinein, mit lebhaften offenen Diskussionen zuvor. Der Beschluß stand keineswegs schon vorher fest. Da standen Hunderte, mitunter Tausende von Menschen vor dem jeweiligen Versammlungsort und warteten auf die Entscheidung, die immer mit großer Zustimmung begrüßt wurde. Von beiden Seiten: von Sozialdemokraten und von Kommunisten. Das waren große Momente. Die Erfahrung mit den Folgen der zerstrittenen Arbeiterparteien war in dieser Zeit noch gegenwärtig, selbst durchlebt.

Über seinen künstlerischen Anspruch in den Nachkriegsjahren:

Eine planvolle Entwicklung der filmischen Formen haben wir versäumt, damit haben wir viel zu spät begonnen, das ist als zweitrangig eingestuft worden. Und das war verkehrt, denn die Form muß gleichrangig mit der Erneuerung des Inhaltes einhergehen. Gleichrangig. Das habe ich damals nicht verstanden. Darum bin ich viel zu spät darangegangen, das zu korrigieren. Und es ist mir schwergefallen. Also das ist der eine große Fehler, den ich gemacht habe.

Der zweite große Fehler ist, daß ich die Bedeutung einer wirklichen Formerneuerung auf dem Gebiet der Musik im Film unterschätzt habe. Filmmusik ist so ein großes Wirkungsmittel und wird oft nur schematisch eingesetzt, besonders im Dokumentarfilm. Da ist der Schnitt fertig, kommt Musik drüber, gut. Gedankenlos und überflüssig. Viel zu spät bin ich darauf gekommen.

Über den historischen Stellenwert der DEFA:

Die Frage ist ungeheuer schwer zu beantworten, weil ich sie jede Minute anders beantworten würde. Sehr, sehr wichtig ist mir die Tatsache gewesen, daß dort Künstler, Techniker, Ökonomen, Leute sehr verschiedener politischer Couleur gearbeitet haben. Individualisten alle, die aber alle zusammen arbeiten wollten, mit einem Ziel: Wir wollen ein Deutschland ohne Krieg und Faschismus! Daß sich die ganze DEFA darauf richtete, daß sie das zeitweilig aus Idealismus klug anfing und dann wieder auf Irrwege geriet, das ist das Leben. Und das zeigt, wie die Erkenntnis auf diesem Gebiet nicht einfach nur erdacht, sondern erlebt werden muß.

Ich habe die DEFA erlebt als eine große Menschengruppe, die nicht als Konkurrenten, sondern als Kollegen gearbeitet hat. Daß so etwas wie die Erfindung von Arbeitskreisen möglich war, in denen produziert wurde, wobei der eine Drehstab den anderen kritisieren konnte, sollte und durfte und wo Kritik erwünscht und gebraucht wurde, halte ich für eine große Errungenschaft, die sich zu anderer Zeit unter anderen Umständen erneut als brauchbar erwiesen hat. Und ebenso halte ich andere Dinge, Irrwege, die uns gequält und die uns von dem Ziel, das ich genannt habe, abgedrängt haben, die halte ich auch für wichtig, weil man die Lehren, die man aus ihnen ziehen darf, nicht vergessen sollte. Für eine der wichtigen Sachen halte ich auch die soziale Sicherheit, daß alle Mitarbeiter auf festen Arbeitsplätzen arbeiteten, so daß sich feste Drehstäbe bilden konnten, die von einem Film zum anderen zusammenblieben oder nur teilweise ausgetauscht wurden, so daß eine Optimierung des Produktionsprozesses möglich war.



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