Mittwoch, 1. August 2012

Solidarität - Wie bei allen großen ethischen Schlagworten stößt man jedoch auf ... [via scharf-links.de]


Solidarität

von Peter A. Weber via Kritisches-Netzwerk.de

Teil 1 – eigene Ansichten zum Thema

 

[via scharf-links.de]

http://scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=27005&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=bdd39a4c56

 


1. Definition

Bevor man damit beginnt, sich über Solidarität auszulassen, muß zunächst einmal geklärt werden, was Solidarität eigentlich darstellt. Wie bei allen großen ethischen Schlagworten stößt man jedoch auf erhebliche Interpretationsunterschiede, denn letztlich sind Worte nur Symbole für etwas und sind es nicht – oft werden sie nur als Fetisch mißbraucht.

Hier zunächst die Definition bei Wikipedia: "Solidarität (abgeleitet vom lateinischen solidus für gediegen, echt oder fest; Adjektiv: solidarisch) bezeichnet eine, zumeist in einem ethisch-politischen Zusammenhang benannte Haltung der Verbundenheit mit – und Unterstützung von – Ideen, Aktivitäten und Zielen anderer. Sie drückt ferner den Zusammenhalt zwischen gleichgesinnten oder gleichgestellten Individuen und Gruppen und den Einsatz für gemeinsame Werte aus (vgl. auch Solidargemeinschaft).

Gelegentlich wird unterschieden zwischen:

  • Solidarität der Gesinnung (Einheitsbewusstsein),
  • Solidarität des Handelns (gegenseitige Hilfsbereitschaft) und Interessen-Solidarität (die durch Interessengleichheit in einer bestimmten Situation wirksam ist und nach dem Erreichen des gemeinsamen Zieles endet). Hhier möchte ich aus meiner Sicht ergänzen: Solidarität als Verständnis einer Liebe zu sich, der Menschheit und der Schöpfung, die niemals endet. Wer könnte die Zukunftsoption der Menschheit besser repräsentieren und eine profundere Motivationsbasis für solidarisches Verhalten bieten als gerade unsere Kinder? Sie sind rücksichtsloser Gewalt und menschenunwürdiger Behandlung schutzlos ausgeliefert und besonders auf einen solidarischen Beistand der Erwachsenenwelt angewiesen.

Hier möchte ich aus meiner Sicht ergänzen:

  • Solidarität als Verständnis einer Liebe zu sich, der Menschheit und der Schöpfung, die niemals endet.

Solidarität impliziert ein Prinzip der Mitmenschlichkeit; sie konstituiert sich "aus freien Stücken" (Karl Otto Hondrich / Claudia Koch-Arzberger, Solidarität in der modernen Gesellschaft, 1992)."

Eine andere Definition habe ich bei Anton Rauscher gefunden: "wechselseitige Verbundenheit von mehreren bzw. vielen Menschen, und zwar so, daß sie aufeinander angewiesen sind und ihre Ziele nur im Zusammenwirken erreichen können."

Allerdings sehe ich in diesem Kontext noch ein weiteres Feld, das nicht von der Begrifflichkeit der Solidarität zu trennen ist, nämlich dasjenige vom Erhalt unserer Lebensbasis, die die Erde, die Natur und eine intakte Ökologie bildet. Eigentümlicherweise oder bezeichnenderweise vergessen die meisten Kommentatoren, die über die Solidarität philosophieren, diesen Aspekt. Meistens reduzieren sich ihre Betrachtungsweisen sogar nur auf rechtliche oder geschichtliche Abhandlungen und übersehen geflissentlich die zwischenmenschlichen Dimensionen der Solidarität.

2. Einleitung

Dieser Essay sollte ursprünglich aufbauen auf dem Buch "Solidarität in der modernen Gesellschaft" von Karl Otto Hondrich und Claudia Koch-Arzberger. Ich gebe zwar zu, daß ich mir ein paar Anleihen daraus genommen habe, aber letztlich habe ich doch eine eigene Herangehensweise an dieses Thema gefunden – vor allem auch deshalb, weil ich mit einigen Grundaussagen dieses Buches nicht übereinstimme und einige Gesichtspunkte, die mir wichtig sind, nicht berücksichtigt wurden. Mit dem bei Wikipedia angeführten Kriterium "aus freien Stücken" von Hondrich/Koch-Arzberger kann ich mich anfreunden, nicht jedoch mit den folgenden Grundaussagen dieser Autoren:

"Unter den verbindenden Beziehungen ist sie (die Solidarität, Anm. d. Verf.) die unverbindlichste, unter den starken sozialen Kräften die schwächste".

Dieser Satz geht mir total gegen den Strich! Den Grund meiner Einstellung werde ich im Verlaufe des Essays erläutern. Wichtig ist es für mich, in der Einleitung darauf hinzuweisen, daß Solidarität nicht ohne Begriffe wie Sozialismus, Kommunismus, Christentum, Menschenwürde oder Humanismus und auch nicht ohne Denker wie z. B. Spinoza, Marx, Freud oder Fromm gesehen werden kann. Auf das Bibelzitat "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" ist in diesem Kontext ebenfalls nicht zu verzichten – aber dazu werde ich im folgenden Text noch einiges anführen.

Des weiteren behaupten die Autoren: "Mit einer Verlustanzeige ist die Frage nach Solidarität in der modernen Gesellschaft nicht zu beantworten. Im Gegenteil: Solidarität dringt zunehmend auch in diejenigen Beziehungen in und zwischen Gesellschaften ein, die man gewohnterweise als Macht- oder Marktverhältnisse, aber auch als Liebe, Brüderlichkeit, Hilfe für die Schwachen bezeichnet." (S. 114) Den Autoren muß man fairerweise zugute halten, daß sie dieses Werk bereits 1992 geschrieben haben, aber schon zu dieser Zeit war abzusehen, wie der gesellschaftliche Wert von Solidarität zu bröckeln begann. Deshalb ist für mich die These eines Anwachsens von solidarischem Verhalten in der modernen Gesellschaft unverständlich – solche Aussagen können eigentlich nur aus einer Parallelwelt entstammen.

In der heutigen Realität ist demgegenüber leider zu beobachten, daß die Gesellschaftsstrukturen einschließlich der Familienstrukturen langsam auseinander brechen. Bindungslosigkeit und besinnungslose Beschäftigung mit sich selbst machen sich breit, die von der herrschenden neoliberalen Ideologie noch angeheizt werden. Es wird ein falsch verstandenes Verständnis von Gleichheit und Verantwortung in die Welt gesetzt, das auf sozialdarwinistischen Grundsätzen aufgebaut ist und den Schwerpunkt auf reines Leistungsdenken und rücksichtslose Konkurrenz legt. Solidarität wird damit zum Fremdwort.

Trotzdem scheint sich eine Sehnsucht nach alten geordneten Verhältnissen Bahn zu greifen, die die Gefahr der Verklärung und Romantisierung vergangenheitsbezogener, autoritärer und überholter Werte in sich birgt. Wir müssen uns verinnerlichen, daß eine Rückkehr zu – realistisch gesehen – irreversiblen Zuständen ein Märchen darstellt. So sei auch die Frage gestattet, ob nicht die bürgerlichen Familienstrukturen der letzten 150 Jahre nur ein kurzlebiges Phänomen verkörpern, das weder in der Geschichte die Regel war und auch nicht auf alle heutigen Kulturen zu übertragen ist, nicht eines besser funktionierenden Ersatzes bedürfen? Deshalb sollte heute die Suche nach auf aktueller Basis effektiven angemessenen solidarischen Lösungsansätzen im Vordergrund stehen.

3. Solidarität zu sich selbst

Solidarität zu sich selbst zu üben, heißt nichts Anderes als sich selbst – mit allen Stärken, Neigungen, Schwächen und Fehlern - zu akzeptieren und sich auf diese Weise selbst zu lieben, zu achten und sich selbst zu stehen. Dabei erweist sich die Einsicht in die negativen Aspekte seines Selbst und des Charakters als treibende Kraft zur Besserung, was sich wiederum als selbstverstärkenden Effekt auswirkt.

Selbstliebe ist dabei nicht mit Selbstsucht, Egoismus und Narzißmus zu verwechseln. Die nichttheologische und nichttheistische Vorstellung des Humanismus von Solidarität deckt sich aber mit der biblischen Forderung "Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst". Diesen Tatbestand kann man nicht oft genug wiederholen! Für Zweifler greife ich immer gerne auf Erich Fromm (Die Kunst des Liebens) zurück, der die richtigen Fragen und Antworten dazu gegeben hat:

"Hier erheben sich folgende Fragen: Bestätigen psychologische Beobachtungen die These, daß zwischen der Liebe zu sich selbst und der Liebe zu anderen ein grundsätzlicher Widerspruch besteht? Ist Liebe zu sich selbst das gleiche Phänomen wie Selbstsucht, oder sind Selbstliebe und Selbstsucht Gegensätze?

Ferner: Ist die Selbstsucht des modernen Menschen tatsächlich ein liebevolles Interesse an sich selbst als einem Individuum mit allen seinen intellektuellen, emotionalen und sinnlichen Möglichkeiten? Ist "er", der moderne Mensch, nicht vielmehr zu einem Anhängsel an seine sozio-ökonomische Rolle geworden? Ist seine Selbstsucht wirklich dasselbe wie Selbstliebe, oder ist die Selbstsucht nicht geradezu die Folge davon, daß es ihm an Selbstliebe fehlt?"

"Selbstsucht und Selbstliebe sind keineswegs identisch, sondern in Wirklichkeit Gegensätze"

"Es stimmt zwar, daß selbstsüchtige Menschen unfähig sind, andere zu lieben, aber sind auch nicht fähig, sich selbst zu lieben."

"Wenn wir annehmen, daß die Liebe zu uns selbst und zu anderen grundsätzlich miteinander zusammenhängen, wie ist dann die Selbstsucht zu erklären, die doch offensichtlich jedes echte Interesse an anderen ausschließt? Der Selbstsüchtige interessiert sich nur für sich selbst, er will alles für sich, er hat keine Freude am Geben, sondern nur am Nehmen. Die Außenwelt interessiert ihn nur insofern, als er etwas für sich herausholen kann. Die Bedürfnisse anderer interessieren ihn nicht, und er hat keine Achtung vor der Würde und Integrität. Er kann nur sich selbst sehen; einen jeden und alles beurteilt er nur nach dem Nutzen, den er davon hat. Er ist grundsätzlich unfähig zu lieben."

Die Liebe zu sich selbst ist also identisch mit Selbstsolidarität und damit auch die Voraussetzung dafür, Solidarität zu anderen zu üben.

4. Solidarität zu den Mitmenschen auf individueller Basis

Liebe und Selbstliebe habe ich an dieser Stelle in den Punkten 3 und 4 aus Gründen der Übersichtlichkeit zwar zwei Unterthemen gewidmet, aber trotzdem bedingen sie sich selbst und sind nicht zu trennen. Meinen Erörterungen voranstellen möchte ich die Unterteilung der Arten der Liebe lt. Erich Fromm in seinem berühmten Buch "Die Kunst des Liebens":

Für ihn besteht der Grundsatz, daß Liebe als Antwort auf das Problem der menschlichen Existenz betrachtet werden muß. Dabei ist die fundamentalste Art von Liebe die Nächstenliebe.

Fromm differenziert die Arten der Liebe wie folgt:

  • Nächstenliebe
  • Selbstliebe
  • erotische Liebe
  • Liebe zwischen Eltern und Kind
  • spezielle Aspekte der mütterlichen Liebe
  • Liebe zu Gott

Wenn einige Autoren die Begriffe Liebe und Solidarität nicht als sinngleich bezeichnen, so kann man eine echte Diskussionsgrundlage nur herstellen, wenn man sich klar macht, wie man Liebe sehen will: im engeren oder weiteren Sinne, als reines Verliebtsein, in einem subjektiv bewerteten Bezugsrahmen, der Partner, Kinder, Eltern, Freunde etc. evaluiert oder sie im christlich-humanistischen Betrachtungskontext als eine übergeordnete Größe positioniert.

Überdies besitzt die deutsche Sprache zur Differenzierung des Wortes "Liebe" zu wenig Ausdrucksmöglichkeiten – da fallen mir nur noch Zuneigung oder Hinwendung ein. Darin liegt auch eine der Ursachen, daß unser Vorstellungsvermögen von Liebe oder anderen metaphysischen Begriffen nur bruchstückhaft und rudimentär ausgebildet ist: wenn uns die sprachlichen Mittel fehlen, dann ist auch meist die Kompetenz der kognitiven Wahrnehmung unterbelichtet. Ich zitiere nochmals Erich Fromm aus dem o. a. Werk:

"Liebe ist grundsätzlich unteilbar; man kann die Liebe zu anderen Liebes-"Objekten" nicht von der Liebe zum eigenen Selbst trennen. Echte Liebe ist Ausdruck inneren Produktivseins und impliziert Fürsorge, Achtung, Verantwortungsgefühl und "Erkenntnis". Sie ist kein "Affekt" in dem Sinn, daß ein anderer auf uns einwirkt, sondern sie ist ein tätiges Bestreben, das Wachstum und das Glück der geliebten Person zu fördern. Dieses Streben aber wurzelt in unserer eigenen Liebesfähigkeit."

In diesem Zusammenhang wäre es zu ausufernd, alle Blickwinkel der Liebe zu differenzieren – nur noch ein einziger sie genannt: die sehr verbreitete Anschauungsweise der Liebe als Besitzanspruch und egoistisches Machtmittel, was bezogen auf die Solidarität ein Irrweg verkörpert. Dieses (Miß-) Verständnis der Liebe im Sinne des Habens hat Erich Fromm in seinem Werk "Haben oder Sein" ausführlich beschrieben.

5. Solidarität zur Menschheit

Die Basis und der Gradmesser für eine Auffassung von Solidarität in einem übergeordneten Rahmen ausgedehnt auf die gesamte Menschheit ist das Ausmaß der persönlichen Betroffenheit. Niemand ist in der Lage, diese Zusammenhänge treffender zu beschreiben wie Erich Fromm (Auszüge aus: "Jenseits der Illusionen"):

"[…] Aber wie kann ich den andern sehen, wenn ich ganz mit mir selbst angefüllt bin? Das ist der Fall, wenn ich mit meinem eigenen Image, mit meiner Gier oder auch mit meiner Angst ganz ausgefüllt bin. Es bedeutet dagegen nicht, daß ich "ich selber" bin. In Wirklichkeit muß ich ich selber sein, wenn ich den andern sehen will."

"[…] Solange ich die eigene Identität nicht fest begründet habe, solange ich noch nicht ganz aus dem Mutterschoß, von der Familie, von den Bindungen an Rasse und Nation losgekommen bin – anders gesagt, solange ich noch nicht ganz zu einem Individuum, zu einem freien Menschen geworden bin – kann ich dieses Individuum nicht von mir werfen und auf diese Weise erfahren, daß ich nichts bin als ein Wassertropfen auf dem Kamm einer Welle, als eine eigene Einheit für den Bruchteil einer Sekunde."

"[…] Was für die Psychologie gilt, gilt auch für die Soziologie. Wenn ich nicht wirklich von der Gesellschaft betroffen werde, dann haben die Gedanken, die ich mir über die Gesellschaft mache, keinen Brennpunkt; dann ist es nichts weiter als ein blindes Tasten, selbst wenn sich diese Blindheit hinter einer Sammlung von "Daten" und eindrucksvollen Statistiken verbirgt. Wenn mir der Mensch selbst am Herzen liegt – und das Betroffensein vom einzelnen kann nicht vom Betroffensein von der Gesellschaft, an der ich Anteil habe, getrennt werden – dann bin ich auch vom Leiden betroffen, das durch die Gesellschaft verursacht wurde, und von dem Wunsch, das Leiden zu verringern, um dem Menschen auf diese Weise zu helfen, ganz Mensch zu werden. Wenn man vom Menschen selbst betroffen ist, dann stellen sich einem unweigerlich die Fragen: Wie kann der Mensch frei werden? Wie kann er zu dem werden, was er potenziell ist?"

Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Toleranz sind unverzichtbare und unverhandelbare Grundsätze zur Verwirklichung von Solidarität. Die humanistische Grundordnung sowie die conditio humana bauen auf dem Fundament der Menschenwürde auf, das von der Gleichheit aller Menschen ausgeht, die von Äußerlichkeiten nicht getrübt werden dürfen. Dieser Anspruch beinhaltet das Anrecht auf ein bedingungsloses Existenzminimum einschließlich moderatem Wohnraum/Grundeigentum. Dazu noch mehr in den folgenden Ausführungen.

Der Lebens- und Leidensweg des polnisch-jüdischen Kinderarztes, Schriftstellers und Pädagogen Janusz Korczak (eigentlich: Henryk Goldszmit), eines der grössten Humanisten des letzten Jahrhunderts, und seiner 200 Waisenkinder im Warschauer Ghetto, darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Ein Mensch, der die ihm anvertrauten Kinder selbst in schwierigster Zeit zu Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Toleranz erzieht. Er lebte 30 Jahre lang inmitten von Kindern den Traum von einer gerechteren Welt. Am 6. August 1942 wurde sein Leben zur Legende, als ihn die SS zwang, »seine« Kinder hinter der Fahne mit dem Davidstern zum Zug nach Treblinka zu führen. Korczak verzichtete darauf, sein eigenes Leben zu retten, und starb gemeinsam mit ihnen – Liebe und Solidarität bis in den Tod.

Die Solidarität in Katastrophenfällen wird in unseren Breitengraden zwar groß geschrieben, aber nur wenn das Katastrophen-Ereignis entsprechend medientauglich aufgearbeitet ist und ausgereichend als Sensation verkauft wurde. Es fließen dann kurzfristig Hilfsgelder aus Spenden, die von privaten Organisationen verteilt werden oder aus staatlichen Hilfsprogrammen stammen. Ob und wie die Mittel bei den Notleidenden ankommen, ist allerdings ungewiß – und der Schleier des Vergessens ist schnell ausgebreitet. All die Millionen von Menschen, die in ihrer Not nicht die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erreichen, sind ihrem Schicksal sowieso ausgeliefert, ohne daß wenigstens eine Krokodilsträne gerollt ist.

6. Solidarität zur Schöpfung

Die Natur einschließlich Pflanzen und Tieren als integrativer Bestandteil der Schöpfungseinheit ist als Lebengrundlage von jedem zu achten und zu wahren. Wer dagegen verstößt, macht sich eines Vergehens gegen existenzielle solidarische Grundgesetze schuldig. Der Mensch besitzt zwar aufgrund seines Status als Inhaber eines Verstandes und eines (ausgeprägten?) Bewußtseins eine Vorrangstellung in der uns bekannten Schöpfung, die ihn allerdings nicht zu Herrschaftsansprüchen berechtigt.

Ökologie und Natur in einem säkularen Verständnis zu heiligen und zu schützen ist ebenfalls ein sozialer Akt der Solidarität, denn wir sitzen in einem Boot. Beschädigung der Ökologie bedeutet nichts Anderes als Sabotage dieses Bootes. Bildlich dargestellt: Wie würden wir mit jemandem umgehen, der vor unseren Augen ein Loch in den Schiffsboden des Schiffes hinein bohrt, in dem wir uns mit einer Gruppe Menschen auf hoher See befinden?

Die Erde ist unsere Heimat – nationale Grenzen sind rein willkürlich gezogen und bilden gerade heute im Zeitalter der Globalisierung keine wirklichen Barrieren mehr. Für physikalische, meteorologische und geophysische Phänomene hat es eh niemals Abgrenzungen gegeben. Nationen und Wirtschaftsmächte und die entsprechenden Entscheidungsträger sowie die ökonomisch-finanziellen Profiteure, die sich anmaßen, unser aller Luft, Wasser oder Erde zu vergiften und zu verwüsten, gehören zu den kriminellsten Elementen, die ich mir vorstellen kann. Wer unser Allgemeingut, das uns – genau genommen – noch nicht einmal gehört, sondern nur zur Obhut und Verwendung übertragen und geliehen wurde, beschädigt und zerstört, dem muß Einhalt geboten und der Verantwortliche muß hart bestraft werden.

In der kapitalistischen Gesellschaft wird das Eigentumsrecht doch wie eine heilige Kuh gehandelt. Aber offensichtlich nur, wenn es um das Eigentum der ohnehin überreichlich Begüterten handelt – Allgemeingut wird hemmungslos geraubt, privatisiert oder beschädigt. Wenn es ein Verfahren gäbe, die Luft, die wir einatmen, zu kontrollieren, müßten wir auch dafür noch zahlen!

7. Solidarität als Handlungsalternative gegen Privilegierungstendenzen

Dieser Punkt nimmt vom vorherigen nahtlos den Faden auf. Die Anrechte auf Menschenrechte und Menschenwürde und deren Durchsetzung sind das grundlegende Instrument gegen den von einer kleinen aber mächtigen Elite vorangetriebene Privilegierung und Bereicherung.

Imperialismus, Feudalismus, fundamentalistische Missionierungen institutionalisierter Religionen, Kolonialismus und heutzutage Kapitalismus waren in der Geschichte schon immer die Werkzeuge im Dienste von Ausbeutung, Sklaverei, Unterdrückung, physischer und psychischer Folter und Mord. Die selbst ernannten Machtansprüche, die im Namen einer Religion, eines Gottes, einer Rasse oder Nation erhoben wurden und werden, repräsentieren die pure Verachtung von solidarischen Prinzipien. Diese sog. Eliten trampeln auf unseren Rechten herum, belügen uns und locken mit falschen Versprechungen, biedern sich an, verbiegen die Sprache und drehen uns die Worte im Munde herum, vergiften uns mit Alternativlosigkeiten und angeblichen Systemrelevanzen – als Gipfel der Dreistigkeit bezeichnen sie sich noch als unsere Interessenvertreter und behaupten, alles zum Wohle des Volkes zu tun.

Diejenigen, die sich als die sog. Leistungsträger fühlen, führen in Wirklichkeit ein parasitäres Leben in unsäglicher Hybris auf Kosten der Allgemeinheit. Weshalb sanktionieren wir nicht diese Überheblichen, die sich selbst zu Gott – oder besser ausgedrückt zum Götzen – erhoben haben, nicht mit aller Konsequenz? Haben wir vergessen, daß wir in der Mehrzahl sind?

8. spezifische Bereiche der Solidarität

•  Arbeitnehmer

Der traditionellste Sektor der Solidarität ist die Arbeit der Gewerkschaften und Interessenvertreter der abhängigen Arbeitnehmer. Die heutige alltägliche Realität ist leider der Umstand, daß viele der Gewerkschaften und deren Funktionäre gemeinsame Sache mit der Wirtschaft machen, beim Kampf gegen Arbeitslosigkeit keine Rücksicht auf Ethik und Ökologie nehmen und eine Interessenvertretung von Arbeitsplatzverlierern nicht mehr vorgesehen ist.

Der Alltag wird geprägt durch einen erbarmungslosen Kampf um Arbeitsplätze zum Vorteil für die Wirtschaft, durch Lohndrückerei und Mobbing. Der Staat beteiligt sich auch noch am Komplott gegen die eigene Bevölkerung und die abhängigen Arbeitnehmer, stärkt die Privilegien der Arbeitgeber und höhlt ständig in über hundert Jahren hart erkämpfte Arbeitnehmerrechte aus. Das Deprimierende daran ist, daß die demokratische Gewaltenteilung nicht mehr funktionsfähig ist und die Justiz dieses traurige Spiel mitspielt und legalisiert.

Die Fremdbestimmung der Arbeitnehmer, die Einbehaltung des Mehrwerts durch die Wirtschaft und die Funktionsweise des Kapitalismus haben uns Marx und Engels bereits derart präzise analysiert, daß ihre Beschreibung auch heute noch aktuell ist. Die Folge ist, daß Arbeitnehmer zunehmend gegeneinander ausgespielt und erpreßt werden. Das böse Spiel wird auf den Ebenen Arbeitslose vs. Arbeitsplatzinhaber, Zeitarbeiter vs. Festangestellte und Teilzeitarbeiter vs. Vollzeitbeschäftigte abgewickelt. Die Wirtschaft diktiert die Regeln nicht nur für Arbeitnehmer sondern auch für Exekutive und Legislative. Gewinner und Verlierer dieses ungleichen Spiels stehen von vorneherein fest!

Eine praktische Folge: So trägt z. B. jeder Arbeitnehmer, der sich erpressen läßt, dazu bei, daß das Lohnniveau weiter sinkt und der Druck an die Arbeitslosen weiter gegeben wird sowie das Niveau des Arbeitslosen- bzw. ALG II – Entgeltes unter Beschuß gerät. Sinkt dieses, oder wird es nicht oder nur weniger als die Inflationsrate erhöht und/oder die Repressionen gegen Arbeitslose werden gesteigert, verstärkt sich wieder der Trend zu sinkenden Arbeitsentgelten – eine Teufelsspirale, die nur durch Solidarität unterbrochen werden könnte.

• Andersdenkende allgemein

Man könnte meinen, es handelt sich sozusagen um eine menschliche Tradition, Andersdenkende, die sich nicht der Meinungshoheit anschließen, zu mobben. Die Arten der individuellen und gesellschaftlichen Sanktionen sind sehr vielfältig und speziell, und auch die Bühnen des Ausschlusses und der Verachtung bieten eine weit gefächerte Auswahl: Religion und Philosophie, Politik, Wirtschaft, Medien, Wissenschaft, Bildung und Erziehung, Mode, Hobbys etc. pp.

In der Historie sind als die bekanntesten und abschreckendsten Beispiele Hexenverfolgung, Inquisition und Holocaust zu nennen. Die auch heute noch am meisten und effektivsten funktionierenden Methoden der Meinungsunterdrückung sind Ideologien und Zensur. Politische, wirtschaftliche und religiöse Ideologien sind nach wie vor übermächtig und scheinen unausrottbar. Die Wahrheit wird mit allen Regeln der Kunst mißhandelt, denn die heutigen Praktiken und technischen Möglichkeiten setzen den Manipulationsmöglichkeiten fast keine Grenzen mehr.

Ich möchte jetzt nicht den Eindruck entstehen lassen, daß physischer Mißbrauch, Folter, Mord, Gewalt, Krieg oder Verfolgung aus der Mode gekommen wären. Der Mensch besitzt wohl die einmalige Gabe, seine kreativen Potenziale nicht zum Wohle sondern zum Schaden der Mitmenschen anzuwenden.

Da wir wie keine andere Generation vor uns über die Zugangsmöglichkeiten fast unbegrenzter Information verfügen, sollte es uns doch viel leichter als unseren Vorfahren fallen, unser Verhalten an Tatsachen statt an irrationalen Weltanschauungen auszurichten und somit der Solidarität zum Durchbruch zu verhelfen.

div. Religionsangehörige und Menschen mit anderen Hautfarben

Ein allseits beliebtes Feld zum Austoben von Intoleranz und Rassismus bietet sich an in Form von Angehörigen anderer Religionen und Hautfarben. Die fundamentalistisch-religiösen Fanatiker – insbesondere bei den monotheistischen Religionen vertreten – haben sich schon seit Jahrtausenden, meist mit Unterstützung der weltlichen Herren, gegen die Menschheit versündigt. Auch die christlichen Kreuzfahrer mit ihrem heiligen Krieg gegen den Islam sind noch nicht vergessen. Alle waren schon betroffen: die Juden natürlich, die Christen auf der einen, die Mohammedaner auf der anderen Seite, die Heiden hier und die sog. Gläubigen dort, die Schwarzen waren eher nicht auf der Gewinnerseite, dafür aber die weißen Rassisten von Südafrika über die USA und anderswo – genau wie die Indianer in Gesamtamerika, die von den Europäern sämtlicher Herkunft ausgerottet, versklavt oder unterdrückt wurden.

Wir leben alle unter einer Sonne, haben einen Ursprung – ob Adam + Eva oder wissenschaftlich-evolutionär in Afrika – und falls es einen Gott gibt, dann ist es mit Sicherheit ein einziger, der sich nur durch den Namen unterscheidet, den die Menschen ihm zugeteilt haben. Falls kein Gott existiert, ist unser aller Anfang in der Urzelle zu suchen – und außer durch unterschiedliche Hautpigmente gibt es keine genetischen Unterschiede zwischen den Menschenrassen. Was also um alles in der Welt treibt uns zu solch irrationalen Verhaltensweisen, unsere Brüder und Schwestern in Menschen erster, zweiter oder dritter Klasse einsortieren, oder sie sogar schlechter als Tiere zu behandeln und uns als Herren und Richter über Leben und Tod aufzuspielen? Was bringt uns zu solchen Abscheulichkeiten wie zu rassistischem Bestreiten von Intelligenz und der Klassifizierung von Minderwertigkeit?

Wir bilden uns doch so viel auf unseren gesunden Menschenverstand ein, so daß wir wissen müßten, daß solche Diskriminierungen rational gesehen reiner Schwachsinn und wissenschaftlich nicht zu halten sind? Weshalb scheuen sich so viele Menschen anzuerkennen, daß sie als menschliches Wesen keinen Deut besser qualifiziert sind jeder andere und als logische Konsequenz nur eine solidarische Haltung die Rettung bringt?

• Fremde anderer Nationen

Wenn es noch keine Nationalstaaten gäbe, dann müßte die herrschende Klasse sie erfinden. Faschismus, Nationalismus und Chauvinismus finden ihre ideale Brutstätte in den Nationalstaaten. Nachdem wir eine Phase von Euro-Euphorie und der internationalen Tendenz zu globalen Aufgabenverteilungen erlebt haben, drehen wir nun wieder das Rad zurück und zerstückeln uns global wieder in mehr Kleinstaaten, die dem egomanischen Irrtum unterliegen, sie könnten ihr Schicksal unabhängig und alleine bestimmen.

Die Menschen haben nichts aus der Geschichte gelernt und lassen sich nach wie vor mit einfachen Mitteln ködern: mit einfachen Lösungen und Versprechungen sowie tausendfacher Wiederholung von Lügen - gepaart mit ein wenig Feindbild. Unter Mithilfe von Medien, kundigen psychologisch geschulten Demagogen und Marketingstrategen sowie einem riesigen Propagandaetat lassen sich sogar die angeblich Intellektuellen einfangen und verdummen.

Wie gesagt: mit einem Feindbild beginnt es, mit autoritären Strukturen und einem starken Mann nimmt es seinen Lauf, eine irrationale Ideologie gehört natürlich auch in den Giftkessel, dazu noch ein bißchen Ehre-, Helden- und Vaterlandgetue und selbstverständlich die Indoktrination eines über andere Völker und Nationen überlegenen Rassegefühls gibt dann den Rest zu einem unverdaulichen Konglomerat. Auf diesem Stand der Volksverblödung hat die Führung das Volk vollkommen in der Hand und hat leichtes Spiel, es zu Krieg und Mord anstacheln.

Gott sei Dank sind wir noch ganz so weit, aber es wäre sicher ratsam, sich der eigenen jüngeren Geschichte zu erinnern und dem Motto "Wehret den Anfängen" zu folgen. Ein Bewußtsein der Solidarität wäre dabei äußerst hilfreich!

• Ausländer und Emigranten

Wir leben in einer Zeit der Globalisierung, die Nachteile aber auch ihre Vorteile vorweisen kann. Die Vorteile sind ohne Zweifel die Gewißheit und Erfahrung, daß die Hindernisse bezüglich Informationsübermittlung, des interkontinentalen Menschenaustauschs, Verkehrs, Waren- und Finanzhandels sowie von Schadstoffen und Klimaveränderungen nicht existieren.

Die Wirtschaft hat dies, zumindest was den Arbeitnehmer- und Warenaustausch betrifft, begriffen. Allerdings sollten wir uns keinerlei falschen Hoffnungen hingeben, denn die Motivation ist nicht die von Menschenfreunden sondern die von Geschäftemachern. Notgedrungen werden deshalb Ausländer und Emigranten geduldet, falls es sich um Experten, Akademiker, Fachkräfte und Sportler handelt. Diese genießen aber auch nur eine Duldung, solange sie für uns oder die Wirtschaft nützlich sind. Alle anderen sind unerwünscht und gelten als Eindringlinge und Schmarotzer, ganz gleich aus welchem Grunde sie ihre Heimat verlassen haben oder gezwungen waren, sie zu verlassen.

Die Tatsache, daß Menschen bei uns Zuschlupf, Arbeit oder Asyl suchen, ist meistens in den Folgen von Krieg, Verfolgung, ökologischen Mißständen und unfairem Handels- und Wirtschaftsgebaren der reichen Länder zu suchen. Auch dürfte nicht unbekannt sein, daß die westlichen Staaten und andere Machtblöcke keine Rücksicht auf Menschenrechte nehmen und selbst Diktaturen oder feudalistische Systeme wirtschaftlich und militärisch unterstützen, wenn ihnen das machtpolitisch oder wirtschaftlich nützt und in den Kram paßt. Das bedeutet nichts Anderes, als daß wir – d. h. vor allem die westlichen Industrieländer – mitverantwortlich für die Not und Auswanderung dieser Menschen sind. Man sollte daher annehmen, daß sie bei uns auf Mitgefühl und Betroffenheit stoßen würden und ihnen jegliche Hilfe von Herzen zufliegen würde. Aber weit gefehlt, wir verschließen uns meist den Nöten dieser Menschen, grenzen sie aus oder schieben sie wieder ab. Wir haben noch nicht einmal den Mumm, unsere Regierungen für ihre Missetaten in dieser Hinsicht abzuwählen und abzustrafen.

Es ist ein Skandal, daß selbst die offizielle EU-Politik sich von den Gedanken des Kolonialismus und Antihumanismus leiten läßt. Das betrifft zum einen die Asylpolitik der einzelnen Länder bzw. die entsprechenden EU-Vorschriften – und zum anderen die menschenverachtende Praxis in den EU-Mittelmeerstaaten, die mit Hilfe der radikalen Polizeitruppe Frontex eine regelrechte Hatz auf Flüchtlinge betreiben. Von einer Flüchtlingssolidarität im Mittelmeerraum, die sich die reiche EU ohne Weiteres leisten könnte, ist nicht die Spur zu entdecken.

Selbst Deutsche mit sog. Migrationshintergrund sind nicht von Vorurteilen und Nachteilen verschont. Die deutsche Integrationspolitik der letzten Jahrzehnte hat größtenteils versagt. Man sollte sich einmal fragen, ab wie vielen Jahren oder Generationen man als Einheimischer zählt. Die Kindeskinder der hiergebliebenen römischen Soldaten von vor zweitausend Jahren sind wohl schon integriert, aber die in den letzten Jahrzehnten eingewanderten Italiener noch nicht ganz. Die Polen des 19. Jahrhunderts, die im Ruhrgebiet Arbeit gesucht haben, haben es - bis auf ihre Namen – auch fast geschafft, aber ihre Landleute aus dem heutigen Polen haben da noch eine Wegstrecke vor sich. Den Türken vergißt man das Vordringen bis Wien am Ende des 17. Jahrhunderts wahrscheinlich nie. Wenn man auch noch die völkervermischenden Bewegungen der Völkerwanderung im 4. bis 6. Jahrhundert berücksichtigt, dann müßte die Einsicht doch nicht weit sein, daß wir eigentlich so gut wie alle Ausländer sind. Zumindest wenn wir als Touristikweltmeister in aller Herren Länder einfallen, sind de facto dort ausnahmslos Ausländer.

Wo bleibt das aus der multikulturellen Realität abgeleitete Verständnis der Menschheit als Einheit und die humanistische Toleranz einer sog. Kulturnation? Goethe und die Humboldts würden sich im Grabe herumdrehen, wenn sie unser heutiges Benehmen mitverfolgen könnten.

• Frauen und Kinder

Die Menschheit besteht zu 50 % aus Frauen und zu einem weitaus überwiegenden Anteil aus Kindern und Jugendlichen. Trotzdem sind gerade diese Gruppierungen weltweit am meisten benachteiligt. Und dies angesichts der Tatsache, daß Frauen diejenigen sind, die die Kinder zur Welt bringen und sich damit um den Nachwuchs der Menschheit verdient machen. Wer dankt ihnen dafür? Die Kinder, die unser aller Zukunft bedeuten, müssen in vielen Ländern hungern, werden mißbraucht und leiden Not. Hierzulande werden Kinder, soweit überhaupt noch erwünscht, vor allem als Garanten für eine ökonomische Nutzung wertgeschätzt. Lärm, Widerspenstigkeit und Eigenheiten werden aber nicht so gerne in Kauf genommen, so daß man ihnen ihre Unarten sofort austreibt und sie zu kleinen Erwachsenen verzieht.

Sicher ist zuzugestehen, daß bei uns die Gleichberechtigung der Frau durch die feministischen Bestrebungen der letzten 150 Jahre Fortschritte gemacht hat. Aber nach wie vor werden Frauen in vielen Branchen bei gleicher Arbeitsverrichtung immer noch nicht wie Männer bezahlt und in Führungspositionen sind sie auch wesentlich unterrepräsentiert. Die Chauvis unter den Männern sind zum Glück auf dem Rückzug, aber das Patriarchat hat sich doch noch nicht auf allen Feldern geschlagen gegeben. Manchmal sind die Frauen es auch selbst schuld, wenn sie sich zu leicht als Haushaltshilfe ausnutzen lassen oder sich anpassen – insbesondere wenn sich damit ein luxuriöses Leben erkaufen. In diesem Falle kann man sogar von Prostitution sprechen.

Jedenfalls hat die heile Welt der Solidarität zwischen Männern und Frauen noch nicht ihren vollen Durchbruch erzielen können. Vielleicht liegt es auch an der Unterschiedlichkeit der beiden Geschlechter.

• Alte, Kranke und Behinderte

Diese Bevölkerungsgruppe hat es in einer profit- und nutzenorientierten Gesellschaft besonders schwer. In früheren Zeiten, als Menschen z. B. im Nationalsozialismus ebenfalls nur nach Gebrauchswert – Männer als williges Fallobst für den Krieg und Frauen als Gebärmaschinen - klassifiziert wurden, und Alte, Kranke oder Behinderte höchstens noch für Experimente taugten, nannte man das Euthanasie.

Heute darf man die Folgen, die neoliberalen Praktiken oder der Sozialstaatsabbau nach sich ziehen, natürlich nicht als Euthanasie bezeichnen, obwohl das angestrebte Endergebnis, was selbstverständlich abgestritten wird, nicht weit davon entfernt ist. Im Startseitenthema des KN "Abfall- und Müllproblematik" bin ich auf Zygmunt Bauman und seine Interpretation des "Menschen als Abfall" eingegangen. Ich wiederhole einen Auszug aus dem dortigen Text:

Durch den Zerfall der Familienstrukturen mindert sich auch die Bereitschaft, im Kleinen Verantwortung für andere zu übernehmen und im Großen einen Sozialstaat einzufordern. Und die Armen erscheinen nicht mehr als (potentielle) Arbeitskräfte oder bedürftige Menschen, denen man Hilfe zukommen lassen sollte, sondern als gescheiterte Verbraucher, als nicht brauchbare Güter. Da sie in einer solchen Gesellschaft völlig nutzlos sind, sind sie menschlicher Abfall, für den im Zeichen der Deregulierung niemand Verantwortung zu übernehmen hat.

"Ökonomischer Fortschritt bedeutet letztlich die Fähigkeit, Dinge, die man früher hergestellt hat, nun mit weniger finanziellem Aufwand und weniger Arbeitskraft herzustellen. So steigt unsere Effektivität. Sobald man das tut, werden Menschen arbeitslos. Denn sie verharren in Tätigkeiten, die weniger effektiv und weniger profitabel sind. Sie können ihren Lebensunterhalt nicht mehr auf ihre traditionelle Art verdienen. Auf diese Weise produzieren wir überflüssige Menschen, menschlichen Abfall", sagt Bauman.

Es ist wohl nicht abzustreiten, daß Alte, Kranken und Behinderte in unserer Gesellschaft nicht zu den Favoriten gehören und sie zunehmend aus unserem Leben und der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Wir sollten aber nicht vergessen, daß die meisten von uns einmal krank werden und wir alle, sofern wir nicht vorzeitig abtreten, das Schicksal der Ergreisung erleiden werden. Im Bereich der Sozialleistungen und Betreuung wird bei diesen Personenkreisen zunehmend eingespart, was zur Folge hat, daß die Einrichtungen immer mehr ökonomisiert und entmenschlicht werden. Auch die Versorgung mit Medikamenten und Krankenhausversorgung wird ständig abgespeckt, so daß sich ein Zwei- oder sogar Dreiklassen-Gesundheitsystem herausbildet.

In modernen Zeiten ist man – zumindest in Europa – kein Aussätziger mit Lepra mehr, aber die Angehörigen dieser Bevölkerungsschichten und zusätzlich die Arbeitslosen, Erwerbsunfähigen sowie die Mitglieder der Unterschicht oder neudeutsch Prekariat "gewinnen" in unseren neoliberal geprägten Gesellschaften immer mehr den Status von Aussätzigen.

• div. Randgruppen

Es existieren eine Menge von Randgruppen. Geläufig sind solche wie die Zigeuner, Homosexuellen, Juden oder die Parias. Darüber hinaus gibt es ethnische und sprachliche Minderheiten oder Gruppen, die nicht der jeweiligen gesellschaftlichen Norm entsprechen. Das Kennzeichnende an Randgruppen ist ja gerade der Umstand, daß sie sich außerhalb der gesellschaftlichen und kulturellen Erwartungshaltung befinden und somit bei den konformen Bürgern bezüglich dieser Gruppen und dazugehörigen Einzelpersonen eine verständnisvolle und wohlwollende Einsicht fehlt.

Wer es gewohnt ist, sich angepaßt keinen Mehrheitsmeinungen oder –Verhalten entgegen zu stellen, dem mangelt es an Einfühlungsvermögen in Menschen mit anderen Gepflogenheiten. Das heißt auch, daß seine Vorstellungskraft nicht ausreicht, sich eine Situation zu vergegenwärtigen, daß er ebenfalls ein Mitglied einer Randgruppe sein könnte, falls er in ein solches Umfeld hineingeboren wäre oder sich durch eigenen Antrieb und Widerstand dort hinein begeben hätte. Dieses egozentrische und unflexible Denken führt zu Intoleranz und Aversionen.

Aus einer solchen Konstellation heraus neigt die angepaßte Mehrheit dazu, nicht nur Randgruppen zu diskriminieren, sondern sie auch noch als Sündenbock abzustempeln für die Verfehlungen von anderen gesellschaftlichen Gruppen, von denen jedoch abgelenkt werden soll. Falls sich derartige Projektionen in Exzesse steigern, dann sprechen wir von Progromen oder vom Holocaust.

9. Solidarität als Mittel der Instrumentalisierung

Schon seit Tausenden von Jahren enthält die Standardtaktik der Herrschenden die Variante des divide et impera (lat. - teile und herrsche). Diese Strategie ist die effizienteste Art und Weise der Spaltung des Volkes, um einzelne oder Gruppen gegeneinander auszuspielen, ihre gemeinsamen Interessen zu vernebeln und ihre Solidarität zu zerstören, um sie damit von ihrem eigentlichen Feind – den Potentaten und seiner Clique – abzubringen. Diese Taktik (als Beispiel die Sau, die jede Woche durchs Dorf gejagt wird) gehört auch heute noch zu den beliebtesten und verbreitetsten Methoden, um dem Wahlvolk Sand in die Augen zu streuen und es von der Erkenntnis des Wesentlichen abzuhalten.
Hier sind einige Exempel aus dem Repertoire unserer Interessenverleugner aufgeführt:

  • Anstacheln des Generationenkonflikts jung gegen alt
  • Aufhetzen des Mittelstandes mit bescheidenem Vermögen gegen Besitzlose und weniger Begüterte, um ihre gemeinsamen Interessenlage zu kaschieren: Ausspielen des Arm-Reich-Gegensatzes
  • hierzu gehört auch das Anzündeln des Neidfaktors, das ebenfalls an die niederen Instinkte der Habenorientierung appelliert
  • Entfachung von Konkurrenzsituationen, damit die Betroffenen sich veranlaßt sehen, rücksichtslos die Ellbogen zu benutzen und nach unten wegzutreten, um sich lästige Mitbewerber vom Halse zu schaffen
  • Arbeitsplatzinhaber gegen Arbeitslose und deren Transferleistungen aufzubringen
  • Schaffung von Sündenböcken, um die eigene Unfähigkeit, Korruptheit oder Lobbyismus zu verdecken
  • Schüren von Angst und Schaffung von Bedrohungspotenzialen, um den Menschen den klaren Blick zu versperren
  • Aufbau von nationalistischen Motivationen, um die Unzufriedenheit des einzelnen hinsichtlich sozialer, wirtschaftlicher oder politischer Gegebenheiten umzuwandeln in ein konstruiertes Selbstbewußtsein in der Form chauvinistischer Überlegenheit

Wie man sieht sind die Mittel der Instrumentalisierung des Wahlviehs nicht gerade spärlich, wovon reichlich Gebrauch gemacht wird. Damit möchte ich nicht darauf wetten, daß meine Liste bereits komplett ist.

10.  Solidarität als Medium zur gesellschaftlichen Veränderung

Bei der Bewertung von Solidarität mit dem Ziel der gesellschaftlichen Veränderung muß man zwangsläufig zwischen negativen Veränderungen – also beabsichtigter Ramponage der gesellschaftlichen Solidarität – und Schaffung neuer solidarischer Bindungen unterscheiden:

Unterminierung der Solidarität

Als Beispiel für die Sabotage der gesellschaftlichen Solidariät können folgende Konstellationen gelten:

  • sämtliche Maßnahmen des Sozialstaats-Demontage
  • z. B. die aktuelle Klage des Landes Bayern gegen die solidarische Verfahrensweise beim Länder-Finanzausgleich – Bayern hat selbst lange Jahre Ausgleichszahlungen erhalten – nun, wo Bayern sich in einer privilegierten Stellung befindet, will es sich zumindest teilweise der Zahlung und der Solidarität entledigen
  • neoliberales Verständnis von Leistungsgerechtigkeit, das leistungsloses oder nicht leistungsadäquates Einkommen und Vermögen produziert – siehe Aggressives Einkommen Punkt D a. gem. Egon W. Kreutzer
  • neoliberales Verständnis von Mitverantwortung, das Gleichheit impliziert und vorspiegelt, so daß jeder die gleiche Ausgangsbasis und Chance habe – was aber auf das Motto "hilf dir selbst oder verrecke" hinausläuft
  • systematischer Abbau von Arbeitnehmerrechten
  • einseitige unternehmens- und vermögensfreundliche Steuergesetzgebung
  • vermehrte Steuer- und Abgabebelastungen bei Gebühren und Verbrauchssteuern
  • Privatisierung von Gemeineigentum und Einrichtungen der öffentlichen Grundversorgung
  • Privatisierung und Ökonomisierung von Bildungseinrichtungen
  • Privatisierung des Gesundheitssystems
  • Privatisierung des Rentensystems bei gleichzeitiger Zerstörung des solidarischen gesetzlichen Umlagesystems
  • Umbau von gesetzlichen sozialen Anspruchsleistungen auf freiwillige Leistungen von reichen Spendern, privaten Stiftungen und Einrichtung von pseudosozialen Organisationen wie der Tafel (Hilfsbedürftige werden zu Bettlern umfunktioniert)
  • Installation der Agenda 2010
  • Reichensteuer

Wenn Politiker – insbesondere von seiten der CDU/CSU/FDP eine Reichensteuer bzw. eine andersartige Abgabe, eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine Erhöhung der Erbschaftssteuer oder des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer ablehnen, dann beweisen sie damit ihre bürgerfeindliche lobbyistenfreundliche Haltung.

Vor einigen Monaten erklärten sich ca. 50 reiche Bundesbürger bereit, aus ihrem Privatvermögen einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zur Entlastung der Allgemeinheit beizutragen. In einem "Appell für eine Vermögensabgabe" plädierten sie für eine stärkere Besteuerung Wohlhabender. Wörtlich sagte z. B. Eva Stilz, Erbin und Mitunterzeichnerin der Initiative: "Wir möchten so Solidarität mit unseren Mitbürgern zeigen". Aus der Ecke der Bundesregierung war zu diesem Vorhaben vollständige Funkstille zu vermelden. Als billiges Feigenblatt operiert die Regierung mit dem Gedanken, "steuerliche Entlastungen der unteren und mittleren Einkommensbereiche" vorzunehmen. Da bleibt mir nur noch die bescheidene Frage, was denn nun steuerliche Entlastungen von Geringverdienern bringen sollen, die eh kaum Einkommenssteuer zahlen? Wenn überhaupt würden sich derartige Entlastungen nur in den mittleren bis oberen Einkommensgruppen auszahlen. Und dort erhebt sich wiederum meine naive Frage, aus welcher Quelle denn die dann dort entstehenden Steuerausfälle ausgeglichen werden sollen, wenn nicht durch Mehreinnahmen aus den Reihen der Klasse der Vermögenden bis Superreichen mit Hilfe der Erhöhung des Höchstsatzes der Einkommenssteuer auf den Stand während der Kohl-Regierung, einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer, einer Einführung einer Finanztransaktionsteuer, die den Namen auch verdient, einer Kapitalertragssteuer, die nicht unter dem Niveau der Einkommensteuer für Normalverdiener angesiedelt ist usw.

Aber Ihr dürft dreimal raten, wie der Lösungsansatz für die Finanzierung dieser Wohltaten aussehen wird, der sicherlich schon in den Schublade unserer Regierungs-Menschenfreunde liegt: In einer Mehrwertsteuer-Anhebung, die wiederum einseitig die wenig Begüterten treffen würde.

Was sagt uns dieses Verhalten, wo doch jede Regierung und selbst der letzte Hinterbänkler, die/der tatsächlich die Interessen der Bevölkerung vertreten würde, diese Initiative der reichen Mitbürger als Steilvorlage zur gerechteren Gestaltung der Steuergesetzgebung betrachtet hätte? Selbst der einfältigste muß doch annehmen, daß diesen "Volksvertretern", die diese Chance nicht wahrnehmen, das Volk schnuppe ist und am A …. vorbei geht!

Der Oberlobbyist Karl Heinz Däke, seines Zeichens Präsident des Bundes der Steuerzahler, reiht sich in die Reihen unserer pseudodemokratischen Regierung ein und lehnt angemessene solidarische Beiträge der Besserverdiener, Großgrundbesitzer und Kapitaleigner ab. Seine Empfehlung in diesem Zusammenhang könnte als Rohrkrepierer der Woche durchgehen: "Sie (die Vermögenden) können spenden, Stiftungen gründen"!!!

Aufbau von solidarischer Gesinnung und Aktivität

Hier nun einige Beispiele möglicher solidarischer Maßnahmen:

  • Einführung eines Gundeinkommens bzw. eines Wahlfreien Grundeinkommens gem. Egon W. Kreutzer
  • Ausbau und Festigung des solidarischen Rentensystems
  • Ausbau und Festigung eines solidarischen Gesundheitssystems
  • neue solidarische und gerechte Eigentumsordnung und Eigentumsverteilung
  • Ächtung und Umbau des kapitalistischen Zinssystems, das verantwortlich ist für progressives und hemmungsloses Auseinanderdriften von Arm und Reich
  • Einführung eines gerechten und solidarischen Steuer- und Abgabesystems
  • Anerkennung des Anspruches eines jeden Menschen bedingt durch Geburt auf eine angemessene finanzielle Existenzgrundlage einschließlich Wohngrundstück ohne Vorbedingungen (mögliches

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