Die Propaganda vom Fachkräftemangel
[Nachdenkseiten]
"Der Fachkräftemangel wird in den nächsten Jahren zum Schlüsselproblem für den deutschen Arbeitsmarkt und nicht die Arbeitslosigkeit", erklärt Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, und Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt fordert unentwegt "wirksame Maßnahmen" dagegen
Zunächst einmal wird hier die Wirklichkeit radikal verkehrt. Denn die Klage über einen Fachkräftemangel lenkt davon ab, dass die allgemeine Lage am Arbeitsmarkt weiterhin ausgesprochen schlecht ist
Aktuell befinden wir uns in einer Situation, in der gesamtwirtschaftlich von einem Arbeitskräftemangel keine Rede sein kann: Das Verhältnis zwischen gemeldeten offenen Stellen und registrierten Arbeitslosen liegt bei 1 zu 8. Es herrscht also massiver Arbeits- und nicht Arbeitskräftemangel.
Eine Einschränkung gibt es allerdings: Es ist möglich, dass trotz Massenarbeitslosigkeit in bestimmten Berufen weniger Bewerber als offene Stellen vorhanden sind; das Angebot an Arbeitskräften ist nicht identisch mit dem Angebot gelernter Fachkräfte in bestimmten Berufen. Genaue Aussagen hierüber ermöglicht nur eine detaillierte Untersuchung der Arbeitsmarktlage für einzelne Berufsgruppen.
Karl Brenke vom Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat kürzlich eine solche Untersuchung für die naturwissenschaftlich-technischen und industriellen Berufe unter dem Titel:
Hierbei handelt es sich um eine durch den Präsidenten des DIW, Klaus Zimmermann, "zensierte" Variante des ursprünglichen Artikels mit dem Titel: "Fachkräftemangel in Deutschland: eine Fata Morgana"
Brenke weist nun (auch in der überarbeiteten Version) nach, dass hiervon keine Rede sein kann: "Bei fast allen Fachkräften ist die Zahl der Arbeitslosen höher als die Zahl der offenen Stellen." Lediglich für Vulkaniseure, Elektroinstallateure und Ärzte stellt sich die Lage anders dar
Denkbar ist zwar, dass langfristig Fachkräfteengpässe aufgrund nicht passgerechter Qualifikationen auftreten werden. Aber hier können die Unternehmen bereits heute durch die betriebliche Ausbildung und duale Studiengänge gegensteuern. Sie müssen nur die Zahl der angebotenen Plätze entsprechend erhöhen. Im Übrigen ist es Aufgabe der Bildungspolitik, dafür zu sorgen, dass alle Kinder und Jugendlichen eine umfassende frühkindliche Förderung und schulische Bildung erhalten, die allen eine Entfaltung ihrer Potentiale ermöglicht.
Die Diskussion über den angeblichen Fachkräftemangel ist also im Wesentlichen eine Phantomdebatte. Sie lenkt von den wirklichen Problemen der andauernden Massenarbeitslosigkeit, zunehmenden prekären Beschäftigung und wachsenden sozialen Ungleichheit ab. Dabei liegen die Interessen der Arbeitgeber offen auf dem Tisch: Sie wollen auch in Zukunft auf ein Überangebot an Arbeitskräften zurückgreifen können.
Ihre Forderungen nach der Verlängerung von Lebens- und Wochenarbeitszeiten sowie einer massiven Ausweitung der Zuwanderung zielen darauf ab, das für sie sehr günstige Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt beizubehalten.
Blätter für deutsche und internationale Politik Mai 2011 http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2011/mai/die-propaganda-vom-fachkraeftemangel Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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