Heiner Flassbeck Das verdrehte Arbeitsmarktwunder
(Nachdenkseiten)
Wer vor kurzer Zeit noch das "Tarifkartell" verteufelte, glaubt plötzlich an dessen Selbstheilungskraft.
Zu Unrecht, denn die Löhne in Deutschland müssen relativ steigen.
Neulich in Frankfurt hatte ich das Vergnügen, mit einem der bekannteren deutschen Bankvolkswirte zu diskutieren.
Er trug, wie in diesen Kreisen üblich, neoklassische und monetaristische Grundüberzeugungen wie eine Standarte vor sich her. Es ging um die Euro-Krise und die Frage, wie die gewaltige Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen dem Leistungsbilanzüberschussland Deutschland und den südeuropäischen Staaten mit hohen Leistungsbilanzdefiziten geschlossen werden kann ohne dass die Euro-Zone in Gefahr gerät, vollständig auseinanderzufallen.
Gegen mein Argument, das könne nur geschehen, indem in Deutschland die Löhne im Verhältnis zur Produktivität in den nächsten zehn Jahren stärker steigen als in den Defizitländern, schleuderte der Bankvolkswirt mir mit Wucht ein mittlerweile weit verbreitetes Argument entgegen: Das sei in einer Marktwirtschaft nicht möglich, weil der Arbeitsmarkt bekanntlich ein Markt sei.
Er lasse sich nicht vom Staat in eine Richtung dirigieren. 35 Millionen Beschäftigte hätten individuelle Verträge mit Zehntausenden von Betrieben und könnten nicht einfach über einen volkswirtschaftlichen Kamm geschoren werden.
Der deutsche Arbeitsmarkt als perfekter, hocheffizienter Markt!
Da blieb mir in der Tat die Spucke weg. War nicht vor wenigen Jahren noch von den gleichen neoklassischen Ökonomen der deutsche Arbeitsmarkt zum "Tarifkartell" erklärt worden, wo alles andere, aber nicht der Markt Regie führe?
War nicht lauthals beklagt worden, dass das bilaterale Monopol am Arbeitsmarkt die Löhne systematisch über den Gleichgewichtswert treibe?
Waren nicht die Gewerkschaften die bösen Buben, die dafür sorgten, dass über hohe Löhne und zu hohe Lohnnebenkosten Arbeit systematisch verteuert wurde und die Arbeitslosigkeit sich verfestigte?
Quelle: FTD
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