Donnerstag, 29. September 2011

Kim Bönte: #Die #Piraten #sind #eine #mediale #Inszenierung #in #der #Baulücke #der #FDP [via Jungle World]


Just another party

Die Piratenpartei wird von den Medien geliebt, weil sie sich mediengerecht inszeniert.

Ihren Ansprüchen an Demokratie und Transparenz wird sie allerdings selbst nicht gerecht.

von Kim Bönte

[via Jungle World]

http://jungle-world.com/artikel/2011/39/44043.html

 


Wie die Piraten (und die Mainstream-Medien) ticken, lässt sich ganz schnell erklären. Und zwar an einer Latzhose. Selbstverständlich werde er in seiner blauen Latzhose in der Talkshow Lanz auftreten, hatte der frisch gewählte Berliner Pirat vor der Sendung per Twitter erklärt. Was dann im Fernsehen als ein Akt spontaner Subversion erschien – jemand entzieht sich dem Immer-schön-angezogen- und Frisch-gekämmt-Terror – war jedoch nichts weiter als kühl kalkuliertes Branding.

Gerwald Claus-Brunner wird fortan als eine Art Manni Ludolf der Politik durch die Talkshows ziehen, mit Latzhose und um den Kopf gewickeltem Pali-Tuch, was bei Lanz, Jauch, Maischberger und anderen auf große Begeisterung stoßen wird. Schließlich entfallen so die nervigen Anfangsfragen, mit denen man den Gast vorstellen und auch ein bisschen locker machen muss, und außerdem weiß auch das Publikum gleich auf den ersten Blick: Der Mann mit der Latzhose ist da.

Genauer: der Mann mit den Latzhosen. Gerwald Claus-Brunner hatte nämlich schon vor seinem ersten Talkshow-Auftritt mitgeteilt, dass er sicherheitshalber größere Mengen des mittelblauen, unförmigen Kleidungsstücks bestellt habe, um für jeden medialen Ernstfall gerüstet zu sein – und damit nebenbei auch gleich dafür gesorgt, dass es bei Ebay einen Run auf die Dinger gab.

Aber zurück zu Lanz, wo die neue Politikermarke in schlichten Sätzen seine ebensolche Sicht der Welt erklärte und sich damit wahrscheinlich umgehend in die Kategorie »Dauergast, kann man praktisch zu jedem Thema einladen« beförderte. Außerdem kamen Mann und Latzhose ja auch so prima mit den anderen Eingeladenen, namentlich Lisa Fitz, klar. Viel hätte nicht gefehlt, und die Zuschauer hätten ein Remake von Romy Schneider und Burkhard Driest (»Sie gefallen mir, Sie gefallen mir sehr«) erlebt.

Gut, das war jetzt natürlich Quatsch, Gerwald Claus-Brunner ist ja schließlich, wie er selber auf seiner Seite im Piraten-Wiki mitteilte, bisexuell, nämlich »95 Prozent schwul, 5 Prozent hetero«, aber Fitz war wirklich ausgesprochen begeistert von ihm.

Das ist ein Grundprinzip von Talkshows: Leute, die vor Jahren hip waren oder es zumindest geschafft hatten, anderen Leuten einzureden, sie seien es, dürfen gegen Ende ihrer Karriere alle paar Wochen im Fernsehen nicht etwa das tun, was sie leidlich können, nämlich singen, tanzen, Politikerphrasen von sich geben oder ihre Bücher bewerben, sondern sich nett mit den anderen Gästen unterhalten.

Dabei werden sie ganz wild, wenn irgendjemand in der Runde auftaucht, der zu irgendetwas gerade Angesagtem oder zumindest zu etwas, das die Schlagzeilen beherrscht, gehört – in diesem Falle also der Piratenpartei. In solchen Fällen beginnt die geladene C-Prominenz in der Hoffnung, neue Käufer- und Fanschichten zu erschließen, umgehend mit dem Anschleimen, erklärt, dass sie ja irgendwie auch und eigentlich ja selber bereits seit langem … So, wie sich nach 9/11 kein Muslim im deutschen Fernsehen blicken lassen konnte, ohne dass ihm gleich Schlagersternchen und sonstiges Gelichter fast auf den Schoß gehopst sind, wurde nun eben der Latzhosenträger umgarnt.

Was außer TV-Präsenz von der Piratenpartei sonst noch zu erwarten ist? Wie es sich für eine FDP-Nachfolgeorganisation gehört, in erster Linie wohl viel Umfallerei. Lustigerweise war es ausgerechnet die von den Piratenanhängern immer so gerne als nicht internetaffin geschmähte Holzpresse, also die Printmedien, die den Transparenzgedanken beim Wort nahm und ein Chatlog der Piraten veröffentlichte, in dem die Berliner Abgeordneten sich über die notwendigen Grenzen der Offenheit unterhielten und sogar, wenn auch halb ironisch, über mögliche Zensurmaßnahmen sprachen.

Eine Woche nach der Wahl war dann übrigens auch schon Schluss mit dem, was der gemeine Pirat anscheinend immer für Konsens gehalten hatte: Man spricht nun offenkundig auch mit Springer, in der BamS erschien jedenfalls die erste große Story.

Und so wird sich Kompromiss an Kompromiss reihen – ja, das geht auch in der Opposition –, bis die Piraten auch offiziell als das gelten, was sie sind: just another party, mit Abgeordneten, die im Nebenfach in Selbstdarstellerei machen und sich in Talkshows als Latzhosenträger ein Zubrot verdienen. Und die mit dafür sorgen, dass interne Skandale nur dann publik werden, wenn gerade kein Wahltermin oder sonst ein wichtiges Ereignis ansteht. Wie eben unter anderem vor der Berlin-Wahl. Welche Skandale das waren? Keine Ahnung?

Nirgendwo etwas in der Richtung gelesen? Eben. Von den internen Debatten und Vorgängen der Partei erfuhr man im Wahlkampf nichts. Transparenz ist bei den Piraten immer nur dann angesagt, wenn es nicht um die Piraten geht.



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