Donnerstag, 30. September 2010

--->>> Der Reiche als der ausgebeutete Gutmensch und der Arme als Schmarotzer <<<---


Der Reiche als der ausgebeutete Gutmensch und der Arme als Schmarotzer

(Nachdenkseiten)

http://www.nachdenkseiten.de/?p=6433

Unter der Überschrift

"7 Wahrheiten über Milliarden-Spender" singt die Bild-Zeitung das hohe Lied über die Großzügigkeit und will unser Mitgefühl für die Steuerlast der Reichen wecken.

Es heißt da:
"REICHE ZAHLEN: Weil die Steuerbelastung in Deutschland mit steigendem Einkommen stark zunimmt, finanzieren die Reichen bei uns den Sozialstaat über Steuern und Abgaben. Das oberste Zehntel der Einkommensbezieher zahlt 55 % des gesamten Steueraufkommens, das letzte Prozent der Superreichen finanziert alleine 22,2 %."
Das ist mal wieder eine halbe Wahrheit, die eine ganze Lüge ist.

Wolfgang Lieb

Richtig ist – falsch ist
Nach der aktuellsten Angabe der Bundesregierung in der Antwort auf eine Große Anfrage der Fraktion der Grünen vom 10. Februar 2010 ist es richtig, dass das oberste Zehntel der Steuerpflichtigen mit Einkünften ab 70.150 Euro einen kumulierten Anteil 54,4 Prozent an der Einkommensteuer trägt (

Tabelle auf S. 3 [PDF - 157 KB]).

Falsch ist hingegen, dass sich dieser Anteil von über der Hälfte auf das "gesamte Steueraufkommen" bezieht.

Aus der unten stehenden Grafik aus dem Jahr 2007 (die absoluten Beträge dürften sich seither etwas verändert haben, aber die Prozentanteile kaum) ist unschwer zu entnehmen, dass selbst wenn man Lohn- und veranlagte Einkommensteuer zusammenrechnet, alle Einkommenspflichtigen zusammen unter 30 Prozent der gesamten kassenmäßigen Steuereinnahmen des Staates erbringen.

Grafik, Quelle: Bundesfinanzministerium
(

Zur Vergrößerung auf die Grafik klicken …)

(Neuere Zahlen aus 2008: siehe

Bundesfinanzministerium Datensammlung zur Steuerpolitik [PDF - 2 MB])

Verhältnis von Steuerlast und Einkommen bzw. Vermögen
Aber dass das oberste Zehntel knapp 55 Prozent der Einkommensteuer aufbringt, das ist nur die halbe Wahrheit. Um das Verhältnis zwischen Einkommen und Steuerlast realistisch einschätzen zu können, müsste man auch darstellen, dass die oberen 10 Prozent der Einkommensteuerpflichtigen einen Anteil von 37,9 Prozent am zu versteuernden Einkommen haben. (Siehe nochmals

Antwort der Bundesregierung a.a.O. [PDF - 157 KB])

Noch dramatischer sieht die Verteilung aus, wenn man nicht nur das zu versteuernde Einkommen, sondern das gesamte Vermögen betrachtet. Die oberen zehn Prozent haben am privaten Vermögen einen Anteil von 61,1 Prozent (2007,

Michael Hartmann). Die unteren 70 Prozent kommen nicht einmal auf 9 Prozent des Gesamtvermögens.
Allein das Geldvermögen erreichte 2009 einen Wert von
4,67 Billionen Euro.

Individuelles Nettovermögen nach Dezilen in Deutschland 2002

Das letzte Prozent der Superreichen
"Das letzte Prozent der Superreichen finanziert alleine 22,2 %", schreibt Bild um unsere Hochachtung noch höher zu treiben.

Dass dieses "letzte Prozent" aber 23 Prozent des gesamten Vermögens besitzt, wird dabei aber tunlichst nicht erwähnt.

Steuerlast der höheren Einkommen gesunken
Tatsache ist weiter, dass die steuerliche Belastung der höheren Einkommen im letzten Jahrzehnt nicht etwa gestiegen sondern gesunken ist. Durch die Steuersenkungen von Rot-Grün und der Großen Koalition wurde der Spitzensteuersatz bei der Einkommenssteuer von 53 auf 42 Prozent gesenkt. Aber nicht nur die Einkommensteuer wurde gesenkt: Seit 2000 bleiben die Gewinne bei der Veräußerung von Unternehmen oder Unternehmensteilen komplett steuerfrei.

Seit 2008 sind mit der Abgeltungssteuer höhere Einkommen ihre Kapitaleinkünfte nicht mehr mit dem persönlichen Steuersatz von 42 Prozent, sondern nur noch mit 25 Prozent besteuert. Mit der Unternehmensteuer"reform" 2001 wurde der tarifliche nominale Steuersatz auf Unternehmensgewinne für Kapitalgesellschaften von 51,8 % auf 38,7 % gesenkt. Für Personenunternehmen gab es von 2001 bis 2005 eine schrittweise Entlastung von 54,5 % auf 45,7 %. Die dauerhaften Aufkommensverluste der Reform belaufen sich auf mindestens 11 Mrd. Euro jährlich. (

IMK S. 7 [PDF - 38 KB])

Nimmt die Steuerbelastung bei Milliardären zu?
Bild schreibt: "Weil die Steuerbelastung in Deutschland mit steigendem Einkommen stark zunimmt, …."

Im Kontext mit den "7 Wahrheiten über Milliarden-Spender" ist diese Aussage – gelinde gesagt – eine grobe Irreführung. Nach der gegenwärtigen Steuerprogression greift der Spitzensteuersatz bei einem Alleinverdienden bei 52.552 Euro. Logischerweise flacht nach Erreichen des Spitzensteuersatzes die Kurve ab, so dass ein Milliardär nominell den gleichen Spitzensteuersatz bezahlt wie ein Einkommensbezieher, der etwas über fünfzig Tausend Euro im Jahr verdient.

Aber der nominelle Spitzensteuersatz von 42 Prozent trifft wiederum die Realität kaum. "Deutschland ist ein Steuerparadies für Millionäre. Selbst die Reichsten sind weit davon entfernt, den Spitzensteuersatz zu entrichten. Sie können derartig viele Freibeträge und andere Abzugsbeträge beim Fiskus geltend machen, dass sie im Durchschnitt nur 36 Prozent Steuern auf ihr Einkommen zahlen. Dies ergibt sich aus einer Berechnung, die das Statistische Bundesamt für die taz angestellt hat", berichtet

Ulrike Herrman.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kam in einer Studie aus dem Jahr 2004 bei den absoluten Topverdienern mit einem Einkommen von 22 Millionen Euro im Schnitt auf einen realen

Steuersatz von nur 34 Prozent.
(Siehe dazu:
Schön Reich. Steuern zahlen die andern.) (http://www.nachdenkseiten.de/?p=4110)

Schaut man einmal in die

Steuertabelle des Bundesfinanzministerium (https://www.abgabenrechner.de/uebersicht_ekst/index.jsp), so liegt die Durchschnittsbelastung bei einem Lohn eines alleinstehenden Beziehers eines Einkommens von 50.000 Euro bei jährlich 12.950 Euro (Einkommensteuerbelastung nach Tarifen 1958 bis 2009 [PDF – 200 KB])(http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/091020_Steuersenkung_Anlage_1.pdf) oder bei monatlich 1.080 Euro. So viel "kassiert" der Staat vom Brutto. Das sind aber bei weitem nicht 42 Prozent sondern 25,9 Prozent durchschnittliche Steuerbelastung (Durchschnittsbelastung nach Tarifen 1958 bis 2009, Grundtabelle [PDF – 152 KB])(http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/091020_Steuersenkung_Anlage_2.pdf).

Bei Verheirateten sind es nach Splittingtabelle sogar nur noch 16,7 Prozent (

Durchschnittsbelastung nach Tarifen 1958 bis 2009, Splittingtabelle [PDF – 168 KB])(http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/091020_Steuersenkung_Anlage_3.pdf). Selbst bei einem Alleinverdiener mit 120.000 Euro zu versteuerndem Einkommen ist die Durchschnittsbelastung bei weitem noch nicht beim Spitzensteuersatz von 42 Prozent, sondern erst bei 35,3 Prozent angekommen. Laut Splittingtabelle liegt bei 120.000 Euro zu versteuerndem Einkommen die Durchschnittsbelastung bei 28,6 Prozent.
Die größten Sprünge liegen – nebenbei bemerkt – bei den unteren Einkommen.

Nach der Grundtabelle (Alleinverdiener) beginnt die Durchschnittsbelastung mit 10.000 Euro bei 3,5 Prozent, steigt auf 9,7 Prozent bei 15.000 Euro und auf 13,8 bei 20.000 Euro. Ab 40.000Euro flacht sich die Kurve ab, steigt von 24,4 Prozent auf 25,9 bei 50.000 Euro, steigt danach bei jeweils 5.000 Euro mehr an Einkommen um 1,4 Prozent, 1,3 Prozent, 1,0 Prozent bis die Durchschnittssteuerbelastung von 95.000 auf 100.000 Euro nur noch von 33,5 Prozent auf 33,9 Prozent steigt. Bei kleineren und mittleren Einkommen ist der prozentuale Anstieg also erheblich steiler als bei

höheren und höchsten Einkommen. (http://www.nachdenkseiten.de/?p=4273)

Umverteilungswirkung des Steuersystems hat an Gewicht verloren
Wenn man schon auf den hohen Anteil des obersten Einkommenszehntels an der Einkommensteuer hinweist, sollte man fairerweise auch hinzufügen, dass zwischen 1998 und 2006 die Einkommensunterschiede bei den Nettoeinkommen, also nach Steuern und Sozialabgaben, erheblich schneller gestiegen sind als bei den Bruttoeinkommen. Während der Anteil der Haushalte mit mittleren Einkommen, das heißt zwischen 70 und 150 Prozent des Durchschnittseinkommens, brutto von 45,8 auf 41,2 Prozent sank, ging er netto sogar von 62,7 auf 53,9 Prozent zurück.

Einkommenssteuer macht nur ein Drittel der Steuereinnahmen aus
Zur ganzen Wahrheit gehörte auch, dass die Einkommensteuern nur rund ein Drittel (Das DIW hat in einer Studie anders als die Bundesregierung 34 Prozent ermittelt) der staatlichen Steuereinnahmen ausmachen.

Daneben stehen die indirekten Steuern, also die Mehrwertsteuer, die Mineralöl- oder die Tabaksteuer. Ihr Anteil am Steueraufkommen ist kontinuierlich gestiegen, nicht zuletzt durch die Anhebung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent durch die Große Koalition. Die indirekten Steuern machten 1990 noch etwa 40 Prozent des Steueraufkommens aus, seit der Jahrtausendwende liegt ihr Anteil bei etwa der Hälfte der gesamten Steuereinnahmen.

Indirekte Steuern treffen aber – bezogen auf das verfügbare Einkommen – weniger die hohen Einkommensbezieher, sondern eher die niedrigen und Mittleren Einkommen, die ganz oder zum allergrößten Teil für die alltägliche Lebensführung ausgegeben werden (müssen).
"Die in den letzten Jahren bereits reduzierte, aber immer noch vorhandene Umverteilungswirkung bei der Einkommensteuer verliert durch diese Verschiebung zwischen direkten und indirekten Steuern weiter an Bedeutung." (Michael Hartmann a.a.O.)

Der Anteil mittlerer und niederer Einkommen am gesamten Steueraufkommen liegt bei 70 Prozent
Nach einer

Studie des Instituts für Makroökonomie (IMK) [PDF - 71 KB] (http://www.boeckler.de/pdf/impuls_2008_12_3.pdf) nahm in den vergangenen 15 Jahren die Zahl der Haushalte im mittleren Einkommensbereich um 14 Prozent ab. Die Zahl der Haushalte mit niedrigen Nettoeinkommen stieg um 27 Prozent, die der vergleichsweise reichen Haushalte stieg um 19 Prozent.

Die weiterhin steigende Ungleichheit der Markteinkommen werde nicht mehr durch sozialstaatliche Umverteilungseffekte kompensiert, schreibt das DIW. Der Anteil der Steuern, die vor allem die Bezieher mittlerer und niedriger Einkommen aufbringen, ist in den vergangenen Jahrzehnten ständig gewachsen. Solche mittlere und niedere Einkommen erbrachten 1960 knapp 38 Prozent des gesamten Steueraufkommens. 2006 waren es bereits70 Prozent. Der Anteil aller Gewinnsteuern sank im gleichen Zeitraum von 35 auf 20 Prozent.

Steuerlast im Ungleichgewicht

Steuerlast im Ungleichgewicht

Die Reichen können sich aus der Finanzierung des Sozialstaats ausklinken
Die Reichen finanzieren bei uns auch nicht – wie Bild schreibt – "den Sozialstaat über Steuern und Abgaben".

Besserverdiener zahlen relativ zu ihrem Einkommen weniger in die Sozialversicherung ein als Durchschnittsverdiener. Die neue Beitragsbemessungsgrenze bei der Krankenversicherung im Jahre 2010 liegt bei einem Jahreseinkommen von 49.950 Euro (oder 4.162,50 Euro monatlichem Einkommen).

Bei der gesetzlichen Rentenversicherung weist die Beitragsbemessungsgrenze in den alten Bundesländern 66.000 Euro Einkommen pro Jahr (5.500 Euro pro Monat) in den neuen Bundesländern 55.800 Euro pro Jahr (4.650 Euro pro Monat) aus. Das Einkommen darüber wird nicht "für den Sozialstaat" herangezogen. Für einen Millionär oder gar Milliardär sind diese Sozialabgaben "Peanuts". Meist weicht er ohnehin in eine private Kasse aus, wo ihn garantiert der Chefarzt behandelt, er aber nichts in die gesetzlichen Kassen einbezahlt.

Jedenfalls tragen die Geringverdiener die höchste Abgabenlast, für Spitzenverdiener sinkt der Steueranteil,

je mehr sie verdienen. (http://www.welt.de/finanzen/article3723322/Deutsche-Geringverdiener-tragen-hoechste-Last.html?print=yes#reqdrucken)

Bei einem alleinstehenden Geringverdiener machen Steuern und Sozialabgaben inzwischen 47,3 Prozent der Arbeitskosten aus,

wie die OECD ermittelte.( http://www.oecd.org/document/7/0,3343,en_2649_34897_42723335_1_1_1_1,00.html)

Das ist nach Belgien der zweithöchste Wert aller Industrieländer. Bei einem Ehepaar mit zwei Kindern, das durchschnittlich verdient, liegt die Gesamtbelastung bei 45,2 Prozent. Die Millionäre kommen also billig davon, wenn sie durchschnittlich nur 34 Prozent an Steuern zahlen müssen und sich ab der Beitragsbemessungsgrenze aus der Solidargemeinschaft verabschieden können.



Posted via email from Beiträge von Andreas Rudolf

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