"Die Pharmafirmen werden sich durchsetzen"
(Frankfurter Rundschau - 30-07-2010)Frau Yzer, der Pharmalobby wird ein ungeheurer Einfluss auf die Regierung zugeschrieben. Trotzdem wurden den Pharmaunternehmen die Einnahmen jetzt um zehn Prozent gekürzt. Haben wir uns getäuscht?
Der Einfluss der Pharmaindustrie auf die Politik wird generell überschätzt. Das sagen wir schon seit Jahren. Wir stellen der Regierung valide Daten und Fakten über unsere Branche zur Verfügung. Aber wenn die Politik unter Entscheidungsdruck steht, dann zählen Daten und Fakten häufig wenig.
Das erstaunt, denn an der Spitze des Bundesgesundheitsministeriums steht mit Philipp Rösler ein FDP-Mann, quasi ein natürlicher Verbündeter der Industrie.
Das Problem der Gesundheitspolitik ist generell, dass Weichenstellungen nach Kassenlage vorgenommen werden. Das ist unabhängig davon, welche Partei das Gesundheitsministerium gerade führt. Rösler führt die Serie der Kostendämpfungsmaßnahmen einfach fort.
Wie bewerten Sie es, dass in einem ersten Schritt der Zwangsrabatt für die Pharmaindustrie von sechs auf 16 Prozent erhöht wird, und alle anderen Beteiligten im Gesundheitswesen ungeschoren davon kommen?
Wir kritisieren die Rabatterhöhung. Die Entscheidung ist problematisch für die Attraktivität des Pharmastandorts Deutschland. Denn dieser sehr spontane Entschluss kostet die Branche nicht nur 1,2 Milliarden Euro pro Jahr, er nimmt den Unternehmen auch jede Planungssicherheit.
Kaum eine andere Branche hat eine so hohe Rendite wie die Pharmaindustrie. Es ist doch richtig, an dieser Stelle zu sparen.
Pharmaforschung ist teuer und risikoreich. Es gibt noch viele Krankheiten, die nicht behandelt werden können, und wir alle hoffen auf neue Durchbrüche in der Medizin. Wenn die Pharmaindustrie zum Beispiel nicht den Schlüssel findet, um Demenz wirksam zu bekämpfen, dann werden wir auch in einem wohlhabenden Land wie Deutschland künftig die Pflegekosten kaum schultern können. Und deshalb kann man der Industrie das Geld für Investitionen nicht einfach wegnehmen.
Wie innovationskräftig die Branche tatsächlich ist, muss sie künftig unter Beweis stellen. Der Zusatznutzen neuer Arzneimittel wird künftig gemessen. Medikamente mit geringem Zusatznutzen dürfen dann auch nur noch geringfügig mehr kosten als bereits auf dem Markt vorhandene Präparate.
Dagegen ist nichts einzuwenden. Der Zeitpunkt für die Nutzenbewertung von Arzneimitteln ist gekommen. Die finanziellen Ressourcen in der Krankenversicherung sind knapp geworden, also muss das Geld dorthin fließen, wo es am meisten nutzt. Es ist richtig, dass wir unsere Preise rechtfertigen müssen, und wir sind überzeugt, dass unsere Produkte die Preise auch hergeben.
Aber?
Wer die Bewertung von Arzneimitteln fordert, der muss auch klar sagen, nach welchen Kriterien das gehen soll. Bisher sind die Kriterien für die Nutzenbewertung nicht im Gesetz festgeschrieben. Damit droht uns ein Methodenstreit über die Bewertung, der zu einer Innovationshürde werden kann. Da ist im parlamentarischen Verfahren noch Nachsteuerungsbedarf.
Für das Arzneimittelprüfinstitut IQWIG hat das Produkt Lantus keinen Zusatznutzen im Vergleich zu Humaninsulin, obwohl es nur einmal am Tag gespritzt werden muss. Ab wann hat für Sie ein Medikament einen Zusatznutzen?
Wir halten eine weite Auslegung des Nutzenbegriffs für notwendig. Jeder Vorteil für den Patienten ist ein Mehrnutzen. Das beginnt schon bei der Darreichungsform. Was dieser Mehrnutzen ökonomisch wert ist, das entscheidet sich dann in den Preisverhandlungen mit den Krankenkassen. Aber es wäre fatal, wenn aus Kostengesichtspunkten eine restriktive Nutzenbewertung Raum greifen sollte. Da müssen wir den Mut haben, uns zum Nutzen zu bekennen, auch wenn er Geld kostet.
Der Industrie drohen hier empfindliche Umsatzeinbußen. Wissenschaftler sagen, dass die Hälfte der neuen Medikamente auf dem Markt ohne Zusatznutzen und damit ohne Mehrwert sind.
Ich wäre mit solchen Behauptungen vorsichtig. Denn Bewertung bedeutet auch, dass jeder seine Aussagen durch valide Daten und Fakten untermauern muss. Das müssen wir als Industrie und das müssen auch die Wissenschaftler. Jeder muss jetzt Ross und Reiter nennen.
Erwarten Sie, dass die Nutzenbewertung Preisdruck auf patentgeschützte Medikamente ausüben wird?
Im Moment ist die größte Befürchtung, dass es eine Tendenz geben könnte, den Nutzen aus Kostengründen zu verneinen. Wenn der Nutzen bejaht ist, dann mag es auch Probleme bei den Vertragsverhandlungen geben, weil der Spitzenverband der Krankenkassen als Monopolist stellvertretend für alle Krankenkassen die Preisverhandlungen führen soll. Aber bei einer fairen Nutzenbewertung gefolgt von einer wettbewerblichen Verhandlungslösung, sind die Firmen überzeugt, sich durchsetzen zu können.
Also ihr jetziges Preisniveau halten?
Kein Preisniveau ist festgeschrieben. Wir werden sicherlich stärker in Richtung europäisches Preisniveau gehen. Bei den Preisverhandlungen wird man den Blick auf die Arzneimittelpreise im Ausland lenken. Auch die Hersteller führen innerhalb eines schmalen europäischen Preisbands ein.
Europäisches Preisniveau heißt dann also, dass die Preise für Medikamente sinken werden.
Ich prognostiziere, dass die Preisniveaus sich in jede Richtung einpendeln.
Was passiert, wenn der Spitzenverband der Krankenkassen die Preise stark drücken will? Müssen Patienten dann damit rechnen, dass gewisse Arzneien in Deutschland nicht mehr verkauft werden?
Zunächst mal hat jedes Unternehmen ein Interesse, seine Medikamente auch in Deutschland zum Patienten zu bringen. Wenn der Spitzenverband der Krankenkassen aber die Preise massiv drücken will, dann ist die Frage, ob Patienten ein innovatives Medikament auch künftig noch ohne Aufzahlung bekommen oder ob sie es mehr und mehr privat kaufen müssen. Dann haben wir ganz schnell eine Diskussion über Arzneimittel-Zusatzversicherungen.
Sie befürchten, dass die jetzige Gesundheitspolitik dem Pharmastandort Deutschland schaden wird. Welche Auswirkungen erwarten Sie?
Wir haben in der Vergangenheit immer wieder feststellen müssen, dass massive regulative Maßnahmen dazu führen, dass Investitionen an Deutschland vorbei fließen. Und diese Befürchtung haben wir auch diesmal wieder. Ich spreche mit vielen, die Investitionsentscheidungen treffen müssen, und diesen Entscheidern ist nur schwer vermittelbar, was in Deutschland derzeit geschieht. Die Frage ist, ob wir im internationalen Wettbewerb noch dabei sind, wenn es um Investitionen in Forschung oder Produktionsanlagen geht.
Erwarten Sie Arbeitsplatzabbau?
Nein. Es werden aktuell sicher keine Produktionsstätten oder Arbeitsplätze abgebaut. Die Pharmaindustrie hat sehr lange Entwicklungs- und Produktionszyklen. Wenn sie investiert, sind das in der Regel dreistellige Millionenbeträge. Solche Anlagen macht man nicht einfach von einem auf den anderen Tag zu. Die Auswirkungen der derzeitigen Politik werden erst in einigen Jahren spürbar.
Wohin könnten Investitionen abwandern?
Der klassische Konkurrent sind die USA. Aber auch der asiatische Markt mit Indien, Singapur und China gewinnt massiv an Bedeutung. Investitionen werden sich in diese wachsenden Märkte verlagern. Das kann man auch nicht kritisieren. Aber die Frage ist, ob Deutschland nicht in wenigen Jahren überrundet ist, wenn jetzt ein Investitionsstillstand eintritt.
2008 haben Sie eine Studie vorgelegt, deren Fazit war, dass es attraktiv sei, in Deutschland zu forschen. Dass es exzellente Wissenschaftler gebe und eine gute Infrastruktur. Warum soll dies durch Sparbemühungen in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherungen kaputt gehen? Die Arzneimittel werden schließlich weltweit verkauft.
Was wir in der Studie gesagt haben, das stimmt unverändert. Aber als Investor gehen sie nur in ein Land, das innovationsoffen ist. Sie werden nicht über Jahre in einem Land forschen, entwickeln und produzieren, in dem sie die Erwartung haben müssen, dass ihnen der Gesetzgeber am Ende die Innovationen abschneidet. Bei dem Insulinprodukt Lantus ist das ja gerade geschehen. Das Produkt wird in Frankfurt für die Welt produziert, und hier in Deutschland spricht man ihm den Zusatznutzen gegenüber herkömmlichem Humaninsulin ab.
Die Gesundheitsbranche gilt als Zukunftsbranche in Deutschland. Sehen Sie das auch so?
Natürlich. Aber das sehen nicht nur wir so, das steht auch im Koalitionsvertrag, es gibt die Gesundheitswirtschaftsinitiative des Bundeswirtschaftsministeriums und die Exzellenzinitiative des Bundesforschungsministeriums. Überall wird gesagt, dass die pharmazeutische Industrie eine von Deutschlands Zukunftsbranchen ist. Dann wäre es eigentlich an der Zeit für eine konzertierte Aktion der Bundesregierung, um diese Zukunftsbranche zu fördern. Stattdessen konterkariert der Bundesgesundheitsminister die Pläne seiner Kollegen. Das ist keine konsistente Standortpolitik. Rösler sieht sich nicht für den Wirtschaftsstandort zuständig, sondern nur für das Solidarsystem gesetzliche Krankenversicherung. Das ist eine zu beschränkte Sichtweise.
Interview: Daniel Baumann
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