Dienstag, 17. August 2010

Juncker wirft Deutschland "Sozialdumping" vor [via Nachdenkseiten]


Juncker wirft Deutschland "Sozialdumping" vor

(Nachdenkseiten)



Der Luxemburger Premierminister hatte schon im Frühling Lohnerhöhungen in Deutschland gefordert. Am vorigen Dienstag, beim großen Pressebriefing vor der Sommerpause, platzte Jean-Claude Juncker der Kragen.

"Den Weg, wie Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert hat, würde ich in unserem Land nicht gerne gehen", sagte Juncker unverblümt und warf der Bundesregierung ganz offen "Lohn- und Sozialdumping" vor.
Explizit verglich er die Lohnentwicklung der beiden Länder: Während die deutschen Arbeitnehmer seit Beginn der Währungsunion 1999 bis heute mit einer schmalen Lohnsteigerung von zwölf Prozent vorlieb nehmen mussten, konnten sich die Luxemburger über 41 Prozent mehr Geld freuen. Wenn man die Inflation mit einbezieht, so Juncker, "hat sich das Realeinkommen der deutschen Arbeitnehmer verschlechtert".

Schuld daran seien unter anderem die Hartz-Reformen, die "ganze Teile der Bevölkerung in den Niedriglohnsektor hinabgedrückt" hätten. "Millionen Menschen in Deutschland verdienen weniger als 700 Euro im Monat", regt sich Juncker auf.
Er wirft Deutschland vor, mit niedrigen Löhnen Profit auf Kosten anderer Länder zu machen und attackiert "eine Fehlentwicklung der deutschen Gesamtwirtschaft und der Tariflandschaft".

Quelle: Luxemburger Wort  (http://www.wort.lu/wort/web/letzebuerg/artikel/2010/08/107883/juncker-wirft-deutschland-sozialdumping-vor.php)

Anmerkung unseres Lesers G.K.: Die Kritik des Vorsitzenden der Eurogruppe und christdemokratischen luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker am deutschen Lohn- und Sozialdumping wurde von den deutschen Medien nahezu vollständig verschwiegen. Die konservative luxemburgische Zeitung "Luxemburger Wort" führt am Ende ihres Beitrags "Argumente" ins Feld, welche die Kritik Junckers zumindest teilweise entkräften sollen:
  1. Das "Luxemburger Wort" schreibt: "Bei der Bundesregierung sieht man das naturgemäß anders. "Die Lohnfindung in Deutschland ist nicht Sache der Politik, sondern der Sozialpartner", sagt Heike Helfer, Sprecherin des Berliner Arbeitsministeriums."
    Es wird sowohl von der Zeitung "Luxemburger Wort" als auch von der Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums verschwiegen, dass vor allem die "Agenda 2010″ (insbesondere Hartz IV) sowie der von den deutschen Mainstream-Medien und von neoliberalen deutschen Wirtschafts-"Experten" seit vielen Jahren erzeugte massive Druck auf die deutschen Arbeitnehmer und Gewerkschaften das hiesige Lohn- und Sozialdumping erst möglich gemacht haben: "Lohnzurückhaltung", ansonsten Androhung von Arbeitsplatzabbau.
  2. Die konservative luxemburgische Zeitung schreibt unter Bezugnahme auf die Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums:

    "Außerdem hätten die Reformen am deutschen Arbeitsmarkt zu mehr beschäftigungspolitischer Dynamik geführt. "Sie haben die Eintrittsschwellen in den Arbeitsmarkt gesenkt und mehr Menschen in Arbeit gebracht", ist man sich in Berlin sicher."

    Diese Aussage verschweigt, dass die sog. "beschäftigungspolitische Dynamik" zu einer massiven Qualitätsverschlechterung der Arbeitsplätze geführt hat: Umwandlung von ehemals zeitlich unbefristeten sowie hinreichend entlohnten Vollzeit-Arbeitsplätzen in zumeist prekäre Mini- und Teilzeitjobs, befristete Arbeitsverhältnisse und Leiharbeitsplätze. Diese massive Qualitätsverschlechterung der Arbeitsplätze hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Deutschland europaweit mittlerweile den höchsten prozentualen Anteil der im Niedriglohnsektor beschäftigten Arbeitnehmer aufweist. Außerdem darf nicht übersehen werden, dass das seit 2006 von den hiesigen Medien immer wieder hochgejubelte angebliche "Jobwunder" in nicht geringem Maße auf statistische Tricks und statistische "Bereinigungen" zurückzuführen ist. Siehe hierzu die NachDenkSeiten-Beiträge "Das angebliche Jobwunder" sowie "Statistisches Bundesamt: Rund neun Millionen Menschen wünschen sich (mehr) Arbeit".
    Die deutschen Lohnstückkosten sind lt. europäischer Statistikbehörde Eurostat im Zeitraum 2000 bis 2009 um magere 7% angestiegen (Staaten der Eurozone ohne Deutschland: +29%). Selbst unter Berücksichtigung der im internationalen Vergleich niedrigen Zielinflationsrate der EZB (1,9%) wäre ein Anstieg der deutschen Lohnstückkosten um 19% nicht nur stabilitätskonform, sondern ökonomisch sogar geboten gewesen.

  3. Die luxemburgische Zeitung schreibt:

    "In der deutschen Öffentlichkeit ist es unbestritten, dass der Konsum im Lande zu gering ist. Doch die Gleichung höhere Löhne – mehr Konsum muss nicht unbedingt aufgehen. Grund dafür ist, dass die Deutschen einen vergleichsweise hohen Teil ihres Einkommens sparen."

    Nicht "die" Deutschen sparen einen vergleichsweise hohen Teil ihres Einkommens, wie auch hierzulande von den politisch Verantwortlichen und den Mainstream-Medien immer wieder suggeriert wird. Dies zeigt die nachfolgende Grafik auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes zur Höhe der Sparquoten in Abhängigkeit von der Höhe der Haushaltsnettoeinkommen:

    Die Sparquoten betragen bei monatlichen Haushaltsnettoeinkommen

    • unter 900 € -12,8%
    • bis 1.300 € -0,5%
    • bis 1.500 € +1,2%
    • bis 2.000 € +2,6%
    • bis 2.600 € +5,2%
    • bis 3.600 € +9,6%
    • bis 5.000 € +14,1%
    • bis 18.600 € +21,8%.

    Die Sparquoten für Haushaltsnettoeinkommen oberhalb 18.500 € werden vom Statistischen Bundesamt nicht berichtet. Diese dürfte noch deutlich oberhalb der hier ausgewiesenen maximalen Sparquote (21,8% bei einem Haushaltsnettoeinkommen von 18.600 €) liegen.
    Für die Haushalte mit monatlichen Nettoeinkommen unterhalb 1.300 € weist das Statistische Bundesamt sogar negative Sparquoten auf, d.h. bei diesen Haushalten wächst Monat für Monat der Schuldenberg. Bei einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 2.000 € beträgt die monatliche Ersparnis gerade einmal 26 €. Die monatliche Ersparnis erhöht bei einem Haushaltsnettoeinkommen von 2.600 € auf 135 €. Bei einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen in Höhe von 18.600 € steigt die monatliche Ersparnis auf beträchtliche 4.055 €.
    Die Ausbreitung des Niedriglohnsektors sowie die damit im Zusammenhang stehende Zunahme bei der Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen führt in der Konsequenz zu einem Ansteigen der durchschnittlichen Sparquote, wovon allerdings "die" Deutschen bei weitem nicht gleichermaßen profitieren. Neoliberale Interessenvertreter reklamieren den importdämpfenden Effekt der hohen deutschen Ersparnisse, obwohl hierfür doch maßgeblich die aus der Ideologie resultierende zunehmende Einkommens- und Vermögenskonzentration verantwortlich ist. Vor diesem Hintergrund kann man die vom "Luxemburger Wort" wiedergegebene Aussage eines deutschen Politikers nur als zynisch betrachten:

    "So gab kürzlich ein deutscher Minister zu bedenken, man könne schließlich die Menschen nicht per Gesetz zwingen, ihr Geld auszugeben."

  4. Das konservative "Luxemburger Wort" schreibt:

    "Davon abgesehen passt eine Tatsache nicht ins Bild des Nachbarlandes, das sich auf Kosten seiner Handelspartner bereichert: Im Gleichschritt mit den Exporten sind auch die Importe gestiegen. Deutschland führt derzeit so viele Güter ein wie noch nie seit Beginn der Außenhandelsstatistik."

    Diese Aussage verschleiert die Fakten: Entscheidend dafür, ob die Exporte einen Beitrag zum BIP-Wachstum leisten, ist der Außenhandelssaldo, also der Differenzbetrag aus Export und Import. Der Außenhandel kann somit nur dann einen positiven Wachstumsbeitrag zum BIP leisten, wenn der absolute Differenzbetrag zwischen Exporten und Importen (der Außenhandelsüberschuss) den Vorjahreswert übersteigt. Schon im ersten Quartal 2010 resultierte nahezu das gesamte deutsche BIP-Wachstum aus der Zunahme des Außenhandelsüberschusses gegenüber dem Vorjahresquartal. Im Umkehrschluss heißt dies jedoch, dass sich das Wachstum der Auslandsverschuldung gegenüber Deutschland bei den unter Außenhandelsdefiziten leidenden Staaten im Vergleich zum Vorjahr weiter beschleunigt hat.

Fazit: Es ist bezeichnend für die hiesigen Mainstream-Medien, dass sie die deutliche Kritik des Vorsitzenden der Eurogruppe und christdemokratischen luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker am lohn- und sozialdumpingbasierten deutschen "Exportmodell" nahezu vollständig verschwiegen haben.

 Und: Der Artikel des konservativen "Luxemburger Worts" ähnelt hinsichtlich der Rechtfertigungsversuche der deutschen Exportmanie der Taktik des überwiegenden Teils der deutschen Medien. Aufbauend auf diesen Rechtfertigungsversuchen sollen dann insbesondere in den übrigen Staaten der Eurozone "Reformen" nach deutschem Muster durchgedrückt werden (Arbeitsmarkt-"Reformen", "Lohnzurückhaltung", "Rente mit 67″ etc.). Sobald die Löhne und Gehälter sowie die sozialen Leistungen in den übrigen Eurozonen-Staaten unter Druck geraten, werden die hiesigen neoliberalen "Wirtschaftsexperten", Medien und Wirtschaftslobbyisten gegenüber den deutschen Arbeitnehmern und Gewerkschaften neues Drohpotenzial aufbauen, frei nach dem Motto: "Wenn wir uns von den `maßvollen´ Lohnabschlüssen der vergangenen Jahre verabschieden und den Sozialstaat nicht `reformieren´, dann sind hierzulande die Arbeitsplätze in Gefahr".

Posted via email from Beiträge von Andreas Rudolf

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