Freitag, 16. November 2012

Pflege-Monopoly Dubiose Geschäfte mit Pflege-Heimen Thema u. a. um 20:15 Uhr in #MONITOR auf #tagesschau24 am 16.11.

Pflege-Monopoly:
Dubiose Geschäfte mit Pflege-Heimen
 

Monitor Nr. 641 vom 15.11.2012

[via wdr.de]
 
http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2012/1115/pflege.php5
 

Bericht: Sven Ihden, Isabel Schayani

Georg Restle: "Hallo und willkommen bei MONITOR. Sie haben es in der Tagesschau gesehen, in Tel Aviv ist heute Luftalarm ausgelöst worden. Natürlich halten wir Sie auch hier auf dem Laufenden, falls sich in Israel irgend etwas Neues ergeben sollte.

Zunächst aber zu einem Thema, das sehr viele von uns betrifft. Wenn ein Angehöriger ein Pflegefall wird, ist dies für die Familie nicht nur emotional eine riesige Belastung, sondern auch finanziell. Wer heute einen Platz in einem Senioren- oder Pflegeheim sucht, muss dafür eine ganze Menge Geld hinlegen. Geld für die Pflege, Geld für die Unterbringung, Geld für Umbau- und Sanierungskosten der Heime. Längst schon haben clevere Geschäftsleute diesen Markt für sich entdeckt, einige mit ziemlich fragwürdigen Methoden. Das Erstaunliche daran ist, dieser Markt wird wirtschaftlich überhaupt nicht kontrolliert - dabei geht es um Versicherungsgelder in Milliardenhöhe. Isabel Schayani und Sven Ihden zeigen Ihnen jetzt mal, wie das Spiel so abläuft beim großen Pflege-Monopoly."

Das könnten die beiden stundenlang machen.

Christel Lohmeier: "Das gefällt dir, ne? Das gefällt dir."

Frau Lohmeier und Strolch haben sich im Pflegeheim Dottendorf kennengelernt. Sie wohnt schon lange hier.

Christel Lohmeier: "Ist mein zu Hause. Das kommt von Herzen. Ist mein zu Hause."

Ihres und das von über 120 Menschen. Doch von einem Tag auf den anderen wurde alles anders. Da ging es um ihr Geld, Geld von Versicherten - und vor allem um ihr Zuhause. Die Bewohner bekamen Post vom Betreiber, der BonneVie Dottendorf GmbH. Die Miete des Heims sei teuer. Allen Bewohnern wurde der Umzug nahegelegt. Es herrschte Zeitdruck. Alte Menschen verschieben wie Lagerware?

Andrea Fink, Pflegerin

Andrea Fink, Pflegerin: "Erst mal war ganz klar, die möchten oder wollen nicht umziehen. ... Und da war natürlich erst mal Angst. Was passiert mit uns, wo kommen wir hin? Die Bewohner, die sich überhaupt noch dazu selber äußern konnten, oder dann auch die Angehörigen."

Der Betreiber BonneVie Dottendorf habe über Monate keine Miete für das Haus bezahlt, erzählt man uns. Jetzt gab es eine Räumungsklage. BonneVie begann, das Haus zu räumen.

Christel Lohmeier: "Mir standen die Tränen in den Augen, wie die alles rausgeschleppt haben. Wie ich gesehen hab, Rollen Klopapier. Können Sie sich das vorstellen. So was alten Leuten wegzunehmen? Es war furchtbar!"

Erst im letzten Moment fand sich ein neuer Betreiber, da konnten die meisten Bewohner bleiben. Aber kann es sein, dass ein Betreiber die Miete einfach nicht bezahlt, obwohl Bewohner, Pflegekassen oder Sozialämter ihnen jeden Monat das Geld überweisen? Kontrolliert da niemand? Was ist das für ein Betreiber? Unsere Recherche beginnt.

Die BonneVie Dottendorf GmbH war eine 50-prozentige Beteiligung der Anderson Holding AG mit Sitz in Berlin. Man habe eine Kapazität von 2.600 Pflegebetten. Kein kleines Unternehmen, eher ein Firmennetz, schwer durchschaubar. Aber zwei Namen tauchen praktisch immer auf. Günther Schriwer ist Vorstandsvorsitzender und Wolfgang Pink Aufsichtsratsvorsitzender der Anderson Holding. Im Herbst 2010 steigt die Gesellschaft in ein Heim in Radevormwald ein.

Radevormwald bei Wuppertal. Im Heim hier leben 150 Menschen. Die Anderson Holding erwarb 50 % der Gesellschaftsanteile des angeschlagenen Betreibers, der BonneVie Radevormwald GmbH. Vorstandsvorsitzender Schriver stieg auch in die Geschäftsführung ein.

Christian Figge, Stellvertretender Pflegedienstleiter

Christian Figge, Stellvertretender Pflegedienstleiter: "Die Anderson Holding, im Namen von Herrn Schriwer, die traten als der rettende Engel auf, indem sie jetzt der BonneVie, die ja in Schieflage ist, also jetzt schwer unter die Arme greifen als finanzstarker Investor und das Ding jetzt auf geraden Kurs bringen, ja."

So der stellvertretende Pflegedienstleiter. Und dann, so erinnert er sich, ging es weiter.

Christian Figge, Stellvertretender Pflegedienstleiter: "Es wurden keine notwendigen Materialien, die wir für die Arbeit brauchen, angeschafft, im Pflegehilfsmittelbereich. Ich bekam durch den Kontakt mit den Kollegen in der Küche mit, dass wir teilweise um Essenslieferungen kämpfen mussten, weil der Lieferant nicht bezahlt wurde. Es stand zur Debatte einen Tag mal, dass die Leihwäschefirma vorbeikommt und ihre kompletten Handtücher und Waschlappen hier abholt. Wir hätten nicht mehr arbeiten können, weil Rechnungen nicht beglichen wurden."

Stromrechnungen, Lebensmittellieferanten, Reinigungsfirmen - viele bis heute nicht bezahlt. Dabei geht aus der Buchführung hervor, wie penibel jede eingehende Rechnung registriert wurde. Geordnet nach Dringlichkeit. Ein ehemaliger Mitarbeiter schildert verdeckt, wie er das Innenleben des Systems erlebte.

Ehemaliger Mitarbeiter (Text nachgesprochen): "Es gab tatsächlich eine akribische Buchführung, was das anging. Alles unterhalb der dritten Mahnung galt als nicht besonders schwerwiegend. Und nur wenn Inkassoandrohungen da waren oder Androhungen des gerichtlichen Mahnverfahrens, dann wurden diese Rechnungen überwiesen, aber nur um eine Sperrung der Konten zu vermeiden."

Die Anderson Holding weist dafür jede Verantwortung von sich. Man sei vor Ort nicht für die operative Geschäftsführung zuständig gewesen. Dies gelte auch für das Zahlen von Rechnungen. Und auf noch etwas legt Anderson wert, Jetzt geht es um die Pacht. Über Monate zahlte BonneVie Radevormwald die Pacht für das Gebäude nicht. Dazu gibt es ein Gerichtsurteil. Aber Anderson bestreitet es trotzdem, Man habe nur "Pachtanforderungen mit fälligen Gegenansprüchen der Betreibergesellschaften verrechnet." Genauso in Dottendorf, wo sie am Ende auch noch die Bewohner verlegen wollten.

Ein Investor verspricht Sanierung und dann so was? Wir wundern uns und finden noch etwas. Ein Pflegeheimbetreiber setzt Monat für Monat mehrere Hunderttausend Euro um. Einnahmen kommen von der Pflegeversicherung, den Unterbringungskosten und es gibt die Investitionskosten. Die sind interessant. Gedacht vor allem für die Pacht und Instandhaltung - eigentlich.

Christian Figge, Stellvertretender Pflegedienstleiter: "Wir haben im Bereich der Pflegehilfsmittel, die Sachen nutzen sich ab. Aufrechthilfen, Lifter, die wir haben, Medikamentenschränke, das Mobiliar, das Inventar für die Leute, das sind ja alles Gebrauchsgegenstände und da ist nichts mehr gemacht worden."

Kritisiert der Pfleger. Die zuständige Heimaufsicht bestätigt das. Schafft unser Pflegesystem solche Fälle?

 

Prof. Thomas Klie, Evangelische Fachhochschule Freiburg: "Wir haben durchaus Randerscheinungen im Pflegemarkt, wo man sagt, das geht hier jetzt mitnichten um die Zielsetzung, gute Pflege zu leisten. Es geht zuvörderst um Gewinnerzielungsabsichten und die werden ja auch lauthals verkündet. Und dann sehen sich manche gezwungen oder aber dazu verführt, das System auszunutzen. Und leider enthält unser Pflegesystem eben genau solche Angebote."

Die BonneVie Radevormwald und Anderson verließen das Heim im Juni fast fluchtartig, erinnern sich Bewohner und Pfleger. Doch kurz vorher kassierte die Anderson Holding noch 175.000,- Euro als Vorab-Gewinnausschüttung und für Management-Gebühren. Einen Monat später bekamen die Mitarbeiter kein Gehalt. In Dottendorf war es ähnlich.

Andrea Fink, Pflegerin: "Also wir haben zumindest alle unser letztes Gehalt von BonneVie nicht bekommen.

Reporter: "Das Geld war weg?"

Andrea Fink, Pflegerin: "Das Geld war weg und ich musste den Anwalt natürlich auch selber bezahlen, was noch mal genauso viel war."

Anderson lässt uns dagegen wissen, es seien keine "Löhne und Gehälter rückständig" gewesen. Wir finden heraus, kurz vor dem Zahltag für die Gehälter verlegten die bisherigen Anderson-Beteiligungen in Radevormwald und in Dottendorf plötzlich ihren Sitz. Hunderte Kilometer weit weg. Übernommen von neuen Gesellschaftern und neuen Geschäftsführern.

Informant: "Was soll das? Wollte man die Gesellschaft entsorgen, wegen der vielen Rechnungen? Weit weg, an irgendeinen mittellosen Nachfolger, bei dem nichts zu holen ist?"

Wir suchen den neuen Geschäftsführer. Den Vorwurf der Entsorgung bestreitet die Anderson Holding nachdrücklich. Man sei Schuldner, nicht Gläubiger. Über den neuen Erwerber und seine Motive wisse man nichts. In diesem Dachgeschoss sitzt jetzt die BonneVie Radevormwald. Der Briefkasten - voll mit Rechnungen. Geschäftsführer, ein gewisser Heiko K. Das soll er sein, sagen jedenfalls Nachbarn. Doch der Mann will nicht mit uns sprechen.

Heiko K: "Das Ding aus."

Ein Geschäftsführer, der sich verleugnet. Der ehemalige Pflegeheimbetreiber aus Radevormwald jetzt nur noch ein weit entfernter Briefkasten? Für uns und viele Gläubiger jedenfalls ist das hier eine Sackgasse.

Je mehr wir erfahren, desto mehr Fragen haben wir, vor allem, wer die BonneVie und damit die Anderson Holding kontrollieren müsste? Wir fragen die Heimaufsicht. Die ist staatlich und soll das Wohl der Bewohner schützen.

Philipp Ising, Oberbergischer Kreis: "Es ist nicht unsere Aufgabe, die Wirtschaftlichkeit zu prüfen oder zu überwachen, in einer solchen Einrichtung."

Reporterin: "Sondern wessen Aufgabe?"

Philipp Ising, Oberbergischer Kreis: "Tja, wessen Aufgabe ist das? Da können wir nix zu sagen. Da gibt es kein Instrument, kein Organ, was die Wirtschaftlichkeit eines solchen Unternehmen, einer solchen Einrichtung überwacht oder prüft."

Reporterin: "Das heißt, es wird genauso behandelt wie jedes andere herkömmliche betriebswirtschaftliche Unternehmen? Ob es sich um alte Menschen oder um Milchflaschen handelt, ist an der Stelle gleich?"

Philipp Ising, Oberbergischer Kreis: "In dem Fall, ja."

In vielen Gesprächen bestätigt man uns, dass es nicht genug Kontrolle gibt. Im Gegenteil: Die Anderson Holding übernimmt in diesem Sommer ein neues Millionenobjekt in Mülheim an der Ruhr. Die Pflegekasse hat - zugestimmt. Kannte sie die Rolle der Anderson Holding bei anderen Betreibern nicht?

Wolfgang Buschfort, Knappschaft-Bahn-See: "Wir haben darüber Informationen, aber die Problematik ist, es geht hier nicht um die Anderson Holding, sondern um eine spezielle GmbH, die gegründet worden ist, um dieses Haus in Mülheim zu betreiben. Und genau das mussten wir prüfen und das ist geprüft worden und da gibt es keine negativen Ergebnisse."

Michael Musall, Ver.di Berlin: "Es geht da nach dem Modell Treu und Glauben, also. Wir glauben das, was uns angegeben wird und wir fragen da nicht nach. Das ist in der Altenpflege teilweise leider bei den Behörden, die da zuständig sind, Gang und Gebe."

Geschäfte mit Pflegeheimen, die die Behörden nicht gemerkt haben, geschweige denn kontrolliert. Frau Lohmeier hat Angst bekommen, richtige Angst. Im 89. Jahr ihres Lebens.


Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

1 Kommentar:

  1. Der WDR-Bericht ist inzwischen Offline und auch wir (Wohnen-im-Alter.de) wurden angerufen, um Kommentare zu diesem Fall aus unseren Twitter-Feed zu löschen. Die Anderson Holding verwischt weiter Ihre Spuren. Schade, dass Sie anscheinend damit durchkommen und ungestraft weiter machen können...

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