Freitag, 23. November 2012

Fw:"Wilder Streik - das ist Revolution" ISBN 978-300-03904-6 [via scharf-links.de] so ist es!!!

   

"Wilder Streik – das ist Revolution"

 

von Die Buchmacherei

 

[via scharf-links.de]

 

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ACHTUNG NEUERSCHEINUNG zum 1.11.2012

Der Streik der Arbeiterinnen bei Pierburg in Neuss 1973
Herausgeber Dieter Braeg
175 Seiten Format
ISBN 978-300-03904-6

Bei Bestellung bis zum 31.10.2012 inclusive Verpackungs - und Versandkosten für 13,50 € bei:
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»Der Kampf ist mehr als Geschichte« von Peter Birke

»Der Kampf ist mehr als Geschichte« Im Frühjahr und Sommer 1973 streikten in der Bundesrepublik über 300.000 Menschen, ohne eine formale Erlaubnis ihrer Gewerk- schaften einzuholen. Ihre Forderungen schlossen an die Geschichte tausender sogenannter wilder Streiks an, die seit den 1950er-Jahren – ohne große öffentliche Beachtung und oft geradezu "heimlich" – geschrieben worden war. ''

Denn in diesen diskreten Aktionen ging es – schon seit mehreren Jahrzehnten – um mehr als die traditionelle Forderung der Gewerkschaften nach einem höheren "Schmerzensgeld" für das in der Arbeit erlittene Leid. Die Forderungen solcher Aktionen waren so einfach wie vielfältig: Sie richteten sich gegen autoritäre Vorgesetzte wie gegen den Terror durch das Fließband, sie wollten höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für alle, forderten auch ein Ende der immer stärkeren Polarisierung der Löhne und Arbeitsbedingungen zwischen "deutschen" und "ausländischen" Arbeitern und zwischen den Geschlechtern.

Rund vier Jahre vor "Pierburg" hatten die Septemberstreiks 1969, mit ihren Schwerpunkten in der Montanindustrie im Ruhrgebiet und im Saarland, das Scharnier zwischen der "alten" und der "neuen" Geschichte dieser Streiks gebildet. Sie nahmen sowohl die Impulse der traditionellen Arbeiterbewegung und ihrer Widerstandsformen auf, als auch einige Elemente der Jugendrevolte und der Arbeitskämpfe, die in aller Welt um das Schlüsseljahr 1968 stattgefunden hatten. Als Aktionsformen fanden sich neue Formen wie "offene Mikrophone" ebenso wie Belagerungs- und Besetzungsaktionen in der Chefetage neben traditionellen und vielfach eingeübten Märschen durch das Betriebsgelände. Die Arbeitskämpfe des Jahres 1973 bilden dagegen in gewisser Weise den Höhepunkt und den Abschluss der Geschichte derartiger Aktionen. Sie fanden am Beginn der ersten großen Wirtschaftskrise statt, waren sowohl die letzten wilden Streiks im als auch die ersten nach dem Boom. Gleichzeitig wurden in ihnen viele der oben erwähnten Tendenzen noch stärker zum Ausdruck gebracht als in den Arbeitskämpfen um 1968.

Der Pierburg-Streik ist Teil dieser Geschichte, aber auch etwas ganz besonderes, und deshalb ist es aus meiner Sicht ein großes Verdienst, die vorliegenden Dokumente zu veröffentlichen. Wie kein anderer Arbeitskampf des Jahres 1973 haben sich in ihm (nicht nur, aber vor allem) migrantische Frauen zu Wort gemeldet. Zugleich zeigte der Pierburg-Streik sowohl die Vielfalt der Forderungen und Aktionsformen, als auch die Vielfalt der Beteiligten. Eben erst nach Deutschland gekommene jugoslawische Frauen, die unter unwürdigen Bedingungen auf dem Betriebsgelände wohnen mussten; eine griechische sozialistische Gruppe, die das ganze angestoßen hat, ein linker Betriebsrat, der sich solidarisierte, Juso- Gruppen, deutsche Feministinnen – sie alle wirkten zusammen und erreichten "MEHR ALS GESCHICHTE" damals gemeinsam ungeheuer viel.

Sie schafften es, die hierarchische Tarifstruktur eines Sektors anzugreifen, bevor dies die große, starke IG Metall wirklich in Angriff nahm. Und sie hatten Erfolg! Leider war dies alles eine Ausnahme, aber sind nicht die meisten erfolgreichen und richtungsweisenden sozialen Kämpfe unserer Zeit eine Besonderheit und eine Ausnahme? In gewisser Weise ist der Pierburg-Streik damit ein Gegenbild zu dem viel bekannteren und bis heute viel stärker rezipierten wilden Streik, der zwei Tage danach bei Ford in Köln begann. Sicherlich, Pierburg ist auch ein Beispiel für Rassismus und Repression.

Der Titel dieses Buches illustriert, wie beide Elemente, verkörpert durch den Polizeidirektor Dr. Knecht, damals von der Gegenseite ins Spiel gebracht wurden. Auch bei Ford in Köln wurde der Kampf der Bandarbeiter kurz darauf von der Bildzeitung als "Türken-Terror" denunziert. Die Bilder von der Verhaftung der Aktivisten nach der polizeilichen Zerschlagung des Ford-Streiks haben sich uns in die Erinnerung gebrannt. Aber der Pierburg-Streik steht gleichzeitig und vielleicht noch stärker als der Ford-Streik, in dem die Bandarbeiter am Ende recht isoliert waren, für das Potenzial einer multinationalen Solidarität oder sogar, wie Karl Heinz Roth das heute nennt, multiversen und zugleich tief in der lokalen Situation verankerten sozialen Bewegung.

Ausgangspunkt dieser Solidarität war dabei das selbstbewusste und mutige Handeln der Arbeiterinnen. Es erinnert zugleich daran, dass die Geschichte der "Gastarbeit" vom ersten Tag an auch eine Geschichte ihres Widerstandes und ihrer Autonomie war. Pierburg ist, wie es Manuela Bojadzijev in einem im Verlag Westfälisches Dampfboot veröffentlichten Buch beschrieben und analysiert hat, insofern nicht nur ein Beispiel für eine "andere" Streikgeschichte, sondern Teil einer seit Mitte der 1950er-Jahre einsetzenden Abfolge migrantischer Alltags resistenz, Streiks, Gebäudebesetzungen, Mietstreiks, Versammlungen und Organisierungen, bevor der "Anwerbestopp" der Brandt-Regierung 1973 eine Epoche der "Autonomie der Migration" abschloss – und eine neue Epoche einleitete, die bis heute unabgeschlossen zu sein scheint.

Der diesem Buch beigelegte und von Dieter Braeg und Reimund Kirchweger bearbeitete Film ist vor diesem Hintergrund ebenso bedeutend, und dies nicht nur, weil die Lücken in unserer kollektiven Erinnerung nicht nur mit Text, sondern auch mit Bildern gefüllt werden müssen. Mich haben an diesem Film die Bilder aus den leeren Fabrikhallen beeindruckt, die, ebenso wie die zahllosen Kurzinterviews mit den streikenden Frauen, die Belastungen durch die Arbeit und die Bedeutung ihrer Unterbrechung fühlbar machen. In den kollektiven Aktionen steht den Streikenden der Stolz über ihre Aktionen ins Gesicht geschrieben. Hinzu kommen Bilder von der Polizeiaktion gegen die Streikenden und dem Interview mit dem erwähnten Dr. Knecht. Oder die Szene, in der die sonnenbebrillte Geschäftsleitung zu den Verhandlungen stolziert, während sie von den Streikenden mit einer vollkommenen Nichtbeachtung (mit der Ausnahme einzelner Pfiffe) begleitet werden.

Und schließlich zeigen die Interviews mit den endlich und mit einiger Verzögerung mitstreikenden Facharbeitern, dass es mit der Solidarisierung auch bei Pierburg nicht so leicht gewesen sein mag, wie es sich in der Leichtigkeit andeutet, mit der denselben Facharbeitern von den Streikenden schließlich Blumen überreicht werden. Ich kenne keine Streik-Dokumentation, in der diese Mischung aus der Überwindung von Vorbehalten, zögerlicher Solidarisierung und dem Glück, das darin liegt, wenn es endlich einmal (ausnahmsweise) erreicht ist, schärfer zum Ausdruck kommt.

In den vergangenen Jahren hatte ich ein paarmal Gelegenheit, die alte Fassung des Filmes Studierenden der ehemaligen Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg zu zeigen. Ich weiß noch, dass ich befürchtete, sie würden die stark sozialistische Tonlage des Filmes und den manchmal etwas pathetischen Ton abschreckend fi nden und am Ende zum Schluss kommen, dass diese Geschichte so wahnsinnig weit von ihrem Alltag, ihren Träumen und Interessen entfernt ist wie vieles, was heute an den Universitäten gezeigt und gelehrt wird. Es war nicht der Fall.

Im Gegenteil kam es zu durchaus lebendigen Diskussionen, über die Veränderung der Arbeitsbedingungen bis heute, aber auch über die Kontinuitäten. Wir sprachen über den Begriff der "Ausbeutung" und über die Frage, ob heutige prekäre Arbeitsverhältnisse nicht auch ähnlich stupide, menschenfeindlich und ausbeuterisch sein können. Ich finde, dass der Film über den Pierburg-Streik in jedem Universitätsseminar in Arbeitssoziologie gezeigt werden sollte. Und vielleicht könnte man ihn sogar in der einen oder anderen Gewerkschaftsgruppe vorführen.

Jedenfalls freue ich mich sehr, dass er mit diesem Buch nunmehr in einer neuen, überarbeiteten Form vorliegt. In den letzten Jahren, besonders nach der Zunahme der Arbeitskämpfe Mitte des letzten Jahrzehnts, hat das Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Thema Streik wieder zugenommen. So hat zum Beispiel die Gruppe Kanack Attack die vergangenen Kämpfe der Migrantinnen und Migranten in den Mittelpunkt einer künstlerisch-aktivistischen Forschung gestellt, darunter auch die wilden Streiks des Jahres 1973. Im Verlag Assoziation A erschien mit Jan Ole Arps "Frühschicht" im vergangenen Jahr eine sehr schöne Analyse der "linken" Betriebsarbeit seit den frühen 1970er-Jahren.

Die Pierburg-Frauen waren in dieser historisch-aktuellen Aufarbeitung zunächst eher Randfi guren, und meine eigene Ausgrabung über die Wilden Streiks im Wirtschaftswunder hat daran nicht sehr viel geändert, obwohl ich ein paar Seiten dieses allzu voluminösen Buches den migrantischen Kämpfen gewidmet habe. Immerhin geht die Arbeit über die historische Dimension dieser Kämpfe weiter. Zuletzt haben einige junge und nicht mehr ganz so junge AkademikerInnen Projekte darüber begonnen. So entsteht zurzeit auch eine Arbeit zur Geschichte der Pierburg-Streiks.

Zeitgleich haben verschiedene linke Verlage aktuelle Entwicklungen zum Thema gemacht, darunter auch Die Buchmacherei mit ihrer sehr empfehlenswerten Dokumentation über jene "Sechs Tage der Selbstermächtigung", die 2004 Opel in Bochum erschütterten. Und fortlaufend erscheinen "graue" und mehr oder weniger offizielle gewerkschaftliche Dokumente, Broschüren und Bücher über die zunehmende Zahl an Arbeitskämpfen von prekär Beschäftigten, Frauen und MigrantInnen. Dass wir heute trotz zunehmender Bemühungen von HistorikerInnen und AktivistInnen dennoch im Grunde wenig über die Geschichte der Arbeitskämpfe in der Bundesrepublik wissen, hat dabei sicher nicht nur damit zu tun, dass sich die heutige Situation der Arbeitenden sehr stark von der damaligen unterscheidet.

Im Gegenteil. Vielmehr müssen uns viele der Punkte, die 1973 auf der Tagesordnung standen, leider allzu bekannt vorkommen. So hat die Polarisierung der Einkommen in der Bundesrepublik schon im Jahrzehnt vor der aktuellen Weltwirtschaftskrise enorm zugenommen. Viele Reiche sind superreich geworden, und sie profitieren fortgesetzt von der fortgesetzten Ausplünderung der ArbeiterInnen, Erwerbslosen und MieterInnen.

Aber auch der Abstand zwischen denen, die sich mit ihrem Lohn (noch) ein auskömmliches Leben leisten können und denen, die längst unter das Existenzminimum gefallen sind, hat sich erheblich vergrößert. Der blinde Fleck in unserer Erinnerung lässt es als dringlich erscheinen, neben allen anderen eben auch an Elephteria zu erinnern. Hat sie nicht Ähnlichkeiten mit einer streikenden Gebäudereinigerin, die 2010 für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen gekämpft hat?

Und haben wir sie nicht neulich bei Netto getroffen, als ver.di-Gruppen in Göttingen, Essen und anderswo angefangen haben, die skandalösen Arbeitsbedingungen bei diesem Discounter zu thematisieren? Die Frauenlohngruppen sind schon lange abgeschafft, aber die Niedriglohngruppen haben sich mittlerweile in einen veritablen Niedriglohnsektor verwandelt. Der Kampf dagegen ist mehr als Geschichte. Er hat gerade erst angefangen.

VON: DIE BUCHMACHEREI



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