Dienstag, 26. Oktober 2010

Warum belohnen sich Menschen mit Hunger?


 
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Holger Ostermeyer,
26.10.2010 10:44

Warum belohnen sich Menschen mit Hunger?

Mit Prof. Stefan Ehrlich gewinnt das Universitätsklinikum Carl Gustav
Carus Dresden einen ausgewiesenen Hirnforscher: Der Arzt und
Wissenschaftler wechselt von der US-amerikanischen Eliteuniversität
Harvard Medical School an die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psychotherapie. In Dresden setzt er die Magnetresonanztomographie zur
Erforschung neuronaler Prozesse bei Patientinnen mit Magersucht ein.

Neben der von ihm vertretenen Grundlagenforschung zur Hirnentwicklung von
Kindern und Jugendlichen verantwortet Prof. Ehrlich seit Anfang Oktober
die Behandlung von Patienten mit Essstörungen. Das sind vor allem Kinder
und Jugendliche, die unter der Anorexia nervosa, der so genannten
Magersucht, leiden. Ein wichtiger Aspekt der Forschungsarbeit sind die im
Gehirn der Betroffenen ablaufenden Prozesse: Offenbar verarbeiten
Magersüchtige ihre Emotionen anders als Menschen ohne Essstörungen. Dafür
verantwortlich sind hochkomplexe neuronale Netze im Gehirn, die das
Wissenschaftler-Team um den neu berufenen Professor vor allem mit einem 3
-Tesla-MRT-Gerät erforschen will. Hierzu werden sie in den kommenden drei
Jahren rund hundert junge Leute untersuchen – neben akut erkrankten auch
erfolgreich therapierte sowie gesunde Personen. Mit der Berufung von Prof.
Ehrlich kann die Klinik ihr wissenschaftliches Profil weiter schärfen: Der
2009 berufene Klinikdirektor Prof. Veit Rößner setzt verstärkt auf
naturwissenschaftliche Forschungsmethoden, um Ursachen psychischer
Erkrankungen zu klären und darauf aufbauend Therapieformen zu verbessern
oder neu zu entwickeln.

"Patienten mit Magersucht verarbeiten ihre Emotionen anders als gesunde
Menschen", erklärt Prof. Ehrlich den Ausgangspunkt seiner Forschungen. Als
Beispiel nennt der 32-Jährige das typische Verhalten, sich durch Essen
selbst zu belohnen oder zu motivieren – etwa mit einem Stück Schokolade:
"Bei Patientinnen mit Magersucht dagegen funktioniert es genau umgekehrt.
Das positive Gefühl entsteht durch den Verzicht auf Nahrung." Das normale
wie auch das veränderte Belohnungssystem des Menschen lässt sich auch
anhand der dazu im Gehirn ablaufenden Aktivitäten ablesen. Bereits in der
Erwartung von etwas Positivem werden Hirnareale aktiv. Vor allem das
komplexe Zusammenspiel ganz unterschiedlicher Areale könnte ein Schlüssel
dafür sein, die bei Patientinnen mit Magersucht veränderte Verarbeitung
von Emotionen zu beschreiben und zu interpretieren. Um die Hirnaktivitäten
genau verorten zu können und deren Intensität zu messen, setzen die
Forscher auf einen drei Tesla starken Magnetresonanztomographen (MRT).
Über eine gewisse Zeitspanne aufgenommene Bilder des Gehirns werden von
Hochleistungsrechnern ausgewertet, um Ort, Dauer und Intensität der
aktivierten Hirnareale bestimmen zu können. Prof. Ehrlich bringt hierfür
umfassendes Know-how mit nach Dresden: In den vergangenen drei Jahren
forschte er zu ähnlichen Themenkomplexen an der Harvard Medical School in
Boston.

Arbeit an der Schnittstelle zwischen Krankenversorgung und Forschung
Mit seiner Berufung Anfang Oktober übernahm der neu berufene Professor
zudem die Leitung der ambulanten und stationären Behandlungseinrichtungen
für Patienten mit Essstörungen. Für Prof. Ehrlich ist diese Doppelrolle
als Arzt und Wissenschaftler die Basis für erfolgreiche
Forschungsprojekte: "Die Schnittstelle zwischen Krankenversorgung und
Forschung ermöglicht es uns, Hypothesen aus der klinischen Praxis heraus
zu entwickeln und dann wissenschaftlich zu überprüfen." Bei den
Erkenntnissen zu Auslösern und Ursachen psychischer Erkrankungen gibt es
gerade bei Kindern und Jugendlichen noch viele weiße Flecken. Essstörungen
sind dafür ein gutes Beispiel: "Die in den 1980er und 1990er Jahren
diskutierte Annahme, dass es sich dabei vorrangig um eine
Zivilisationskrankheit handelt, gilt heute als widerlegt. Vielmehr zeigt
sich, dass diese Erkrankungen zu einem hohen Maß genetisch bedingt sind.
Die Erblichkeit von Essstörungen ist etwa genauso hoch wie bei Multipler
Sklerose", erklärt Prof. Ehrlich. Allerdings spielen Umweltfaktoren – dazu
gehören vermutlich auch die Bedingungen in modernen
Industriegesellschaften – eine gewisse Rolle: Sie können dazu beitragen,
dass sich aus einer Disposition eine Erkrankung entwickelt.

Um mehr über die Entstehung von Essstörungen und anderer psychischer
Erkrankungen zu erfahren, nutzen die Ärzte und Wissenschaftler um
Klinikdirektor Prof. Rößner verstärkt naturwissenschaftliche Verfahren.
Unter anderem laufen weitere Forschungsvorhaben zu Tic-Störungen,
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktvitätsstörung (ADHS), Zwangsstörungen und
Bipolaren Störungen. Neben dem 3-Tesla-MRT-Gerät nutzen die
Wissenschaftler auch endokrinologische Analyseverfahren: Informationen zu
Stoffwechsel und Hormonspiegel geben ebenfalls Aufschluss über Art und
Verlauf seelischer Erkrankungen. Die Magnetresonanztomographie jedoch
stellt die Forscher vor die größte Herausforderung: Beispielsweise von
Belohnungen ausgehende Stimulationen des Gehirns seien so gering, dass sie
vom 'Grundrauschen' der allgemeinen Hirnaktivität nur schwer
unterscheidbar seien, sagt Prof. Ehrlich. Um die Messmethoden weiter zu
verfeinern, setzt er auf die naturwissenschaftliche und technische
Expertise der TU Dresden: "Ich möchte den vorhandenen großen
Erfahrungsschatz für unsere Projekte aktivieren und Synergien zwischen
Ingenieuren, Informatikern, Physikern, Psychologen und Ärzten nutzen."
Wichtig für die Auswertung der vom MRT gewonnenen Daten ist auch die
Beteiligung des Zentrums für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen
der TU Dresden, deren Computerkapazitäten beim Ausbau der
Forschungsvorhaben der Klinik eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus
gab das in Dresden herrschende wissenschaftliche Klima einen
entscheidenden Ausschlag für Stefan Ehrlichs Entscheidung, der US-
amerikanischen Elite-Uni den Rücken zu kehren und nach Dresden zu kommen:
"An der TU Dresden und dem Uniklinikum kann ich mit Persönlichkeiten aus
unterschiedlichen Disziplinen zusammenarbeiten, die nicht nur gute
Forscher, sondern auch gute und kreative Manager sind, die einen jederzeit
unterstützen und auch für neue Wege zu begeistern sind", begründet er
seine Entscheidung. Dies schaffe eine Atmosphäre, unter denen junge
Wissenschaftler wie er selbst Pioniergeist entwickeln und sich an dem
weiteren Ausbau der Projekte beteiligen können.

Kontakt
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Prof. Stefan Ehrlich
Tel. +49 (0)351 458-2244
Fax +49 (0)351 458-5754
E-Mail: stefan.ehrlich@uniklinikum-dresden.de

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsprojekte
Personalia

Sachgebiete:
Ernährung / Gesundheit / Pflege
Medizin

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.uniklinikum-dresden.de
http://www.kjp-dresden.de

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/pages/de/image127667
Prof. Dr. med. Stefan Ehrlich, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden.

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/pages/de/news393589

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution1564


Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen