Freitag, 12. April 2013

"Wir brauchen ein Wirtschaftssystem, das für die Menschen da ist" Erwin Wagenhofer im Gespräch ..


"Wir brauchen ein Wirtschaftssystem, das für die Menschen da ist"

Regisseur Wagenhofer untersucht die globalen Geldströme

Erwin Wagenhofer im Gespräch mit Liane von Billerbeck

(Deutschlandradio)
 

Der Regisseur Erwin Wagenhofer legt in seinem Dokumentarfilm "Let's make money" dar, wie die internationale Finanzwelt funktioniert und auf wessen Kosten.
Im Gespräch weist er darauf hin, dass Investitionen in Entwicklungsländern nicht den Menschen vor Ort dienen, sondern der Profitmaximierung, was einige zur Flucht treibt: "Sie kommen, weil wir ihnen die Lebensgrundlagen vor Ort entziehen".
Andreas Müller: Der österreichische Regisseur Erwin Wagenhofer machte vor zwei Jahren mit seinem Dokumentarfilm "We Feed The World - Essen global" Furore. Damals ging es um die irrsinnigen Auswüchse auf dem weltweiten Lebensmittelmarkt. Auf drastische Weise wurde damals gezeigt, wie aus Profitgründen die Grundlagen der Natur, die Grundlagen unserer Ernährung vernichtet werden.

Jetzt kommt ein neuer Film von Erwin Wagenhofer in die Kinos, "Let's Make Money" lautet der Titel und Wagenhofer macht den Versuch zu zeigen, wo das viele Geld auf der Welt herkommt und wohin es fließt, wer davon profitiert und auf wessen Kosten. "Let's Make Money" ist der Film zur Finanzkrise die seit Wochen die ganze Welt erschüttert. Mit Erwin Wagenhofer sprach meine Kollegin Liane von Billerbeck und zunächst wollte sie von ihm wissen, was für ihn der Anlass war, sich mit den Finanzströmen dieser Welt zu befassen.

Erwin Wagenhofer: Der ursprüngliche Ausgangspunkt war eine Werbenachricht, die ich auf einer Bank gelesen habe mit dem launischen Schriftzug "Lassen Sie Ihr Geld arbeiten" vor vielen Jahren. Bis heute operieren viele Banken mit diesem Slogan. Ich habe mir diesen Slogan eben durch den Kopf gehen lassen und bin dann drauf gekommen, dass das ja ein völliger Humbug ist, weil bekanntlich Geld nicht arbeiten kann. Arbeiten können Menschen, Maschinen, Tiere eventuell auch noch. Dann dachte ich mir, na, das schauen wir uns an.

Liane von Billerbeck: Ein Dokumentarfilmer, auch ein politisch Interessierter wie Sie ist normalerweise kein Geldexperte und vielen Menschen so ähnlich, dass ihnen der Kopf schwirrt, wenn sie Begriffe hören wie Derivate, Private Equity Fonds oder Cross-Border-Leasing. Wie haben Sie sich nun dem Thema genähert, damit nicht nur Sie, sondern auch der Zuschauer diese scheinbar schwierige Materie versteht?

Wagenhofer: Ja, eben genau aus der Sicht der Zuseher, aus einer sehr kindlichen Sicht, naiv, könnte man fast sagen. Ich stelle ganz einfache Fragen. Ich frag mich schon seit vielen Jahren, warum wir ständig mit diesem Wirtschaftswachstum so gequält werden. Warum brauchen wir das? Weil wir alle wissen, dass wir in einer extrem reichen Gesellschaft oder Gesellschaften hier im Westen, im Norden leben, alles haben, reich geworden sind.

von Billerbeck: Warum muss da noch was dazukommen?

Wagenhofer: … Und parallel dazu die Gesellschaften schrumpfen. Das heißt, wir werden weniger, wir werden noch nicht weniger in der Anzahl, weil es Zuwanderungen gibt einerseits und weil durch diese Errungenschaften auch die Menschen älter werden. Aber im Prinzip stagnieren oder schrumpfen wir. Warum brauchen wir dann Wachstum? Und das sind so Fragen, die stelle ich mir am Anfang, und am Ende des Films kann ich mir sie beantworten.

von Billerbeck: Es gab noch nie so viel Geld wie jetzt. Da fragt man sich, um eine solche kindliche Frage zu stellen, wo kommt das viele Geld her?

Wagenhofer: Erstens, wo kommt es her und zweitens, wo geht es hin. Genau. Wo es herkommt, ist relativ einfach erklärt. Es ist so, dass es eben dieses Wirtschaftswachstum praktisch ohne Unterbrechung gegeben hat all die Jahre, aber eben die sogenannte Globalisierung von den Unternehmungen dazu benutzt wurde, den Menschen Angst zu machen und die Arbeitsplatzunsicherheit einzureden. Das hat zur Folge gehabt, dass die Lohnzuwächse der Leute stagniert sind in den letzten zehn, 15, 20 Jahren, aber das Wachstum trotzdem da war.

Das heißt, das ganze Geld ist in eine Richtung gegangen, es ist in Richtung Kapital gegangen. Dort werden Unsummen tagtäglich angehäuft und dieses Geld, das sucht jetzt nach einer profitablen Vermehrungsmöglichkeit, wo kann es angelegt werden. Und diesen Möglichkeiten sind wir eben mit der Kamera nachgegangen.

von Billerbeck: Wenn man hört, das Geld angelegt wird, irgendwie verschwindet irgendwohin, dann denkt ein normaler Mensch eigentlich sofort an Kriminalität, an so was wie Mafia. Aber das, was Sie in dem Film schildern, ist wie schon in Ihrem vorigen Film über Lebensmittel alles legal. Wir sehen in Ihrem Film keine jugendlichen Zocker, die ein großes Spiel spielen, sondern es begegnen uns gestandene Männer mittleren Alters, die ganz offen über das reden, was sie tun. Ein Fondsmanager beispielsweise, Dr. Mark Mobius, der sagt:

"Es gibt einen berühmten Ausspruch, dass die beste Zeit zu kaufen ist, wenn das Blut auf den Straßen klebt. Ich füge hinzu, auch wenn es dein eigenes ist. Denn wenn es Krieg, Revolution, politische Probleme und Wirtschaftsprobleme gibt, dann fallen die Preise von Aktien und jene Leute, die an diesem Tiefpunkt kauften, haben jede Menge Geld gemacht".

Wie, Herr Wagenhofer, haben Sie es eigentlich geschafft, dass solche Manager, die sich ja ansonsten gerne hinter ihrem Fachchinesisch verbergen, so offen vor der Kamera über ihr Tun sprechen?

Wagenhofer: Na ja, ich weiß nicht, die Frage kommt sehr oft. Ich weiß oft gar nicht genau, wie ich sie beantworten soll. Das ist vielleicht auch der Grund, warum man drei Jahre für so einen Film braucht. Tatsache ist, dass diese Leute, auch der Herr Mobius, ein hoch intelligenter Mensch ist, eine wirkliche Koryphäe in seinem Fach, aber eben nur diesen einen Blick hat und der davon überzeugt ist, dass diese eine Richtung, die er hier eingeschlagen hat und die hinter diesem Wirtschaftssystem steckt, das jetzt da so gebeutelt wird, das ist auch seine Haltung. Er glaubt daran. Er glaubt wirklich, dass damit der Welt Gutes getan wird.

Und warum er es in so einfachen Worten sagt, ist, weil ich so einfache Fragen stelle. Ich sag, Sie müssen es bitte so erklären, dass nicht Ihre Kollegen in der Wallstreet oder sonst wo auf dem Finanzplatz verstehen, sondern wir wollen es verstehen. Wir, ich, ich bin schon ein ganz normaler Mensch, ich bin ein Filmemacher, aber ich bin kein Bankexperte, kein Wirtschaftswissenschaftler, gar nichts. Bitte sagen Sie uns, erklären Sie uns das. Und dann kommt es eben so zustande.

von Billerbeck: Gab es eigentlich jemanden, den Sie interviewen wollten und der Ihnen eine Absage erteilt hat?

Wagenhofer: Ja, gab es, einen berühmten Herrn hier in Deutschland, Josef Ackermann.

von Billerbeck: Der Chef der Deutschen Bank.

Wagenhofer: Der Chef der Deutschen Bank, einer Privatbank, und einer der Vorreiter in den letzten Jahren dieses ungezügelten neoliberalen ausufernden Kapitalismus, dem hätte ich gerne ein, zwei Fragen gestellt und war ganz schwierig, auch die Kommunikation mit der Deutschen Bank, extrem schwierig. Aber dann hatten wir einen Termin im Mai und der wurde dann über Nacht gecancelt.

von Billerbeck: "Let's Make Money" heißt der Dokumentarfilm, den Erwin Wagenhofer gedreht hat. Der Regisseur ist hier im Deutschlandradio Kultur zu Gast. So ein Film, Herr Wagenhofer, in mehreren Ländern gedreht, in indischen Slums und Schweizer Nobelhotels, auf Baumwollfeldern und Steinbrüchen in Burkina Faso wie auf Finanzplätzen in London, Washington und auf der Kanalinsel Jersey. Wir haben schon darüber gesprochen, dass die Manager, die Sie interviewt haben, sehr offen vor Ihrer Kamera reden, wie diese Äußerung, dass die beste Zeit zu kaufen ist, wenn Blut auf den Straßen klebt. Sie haben auch gesagt, die sind überzeugt davon, dass das richtig ist und dass es der Welt guttut, wenn sie so handeln, wie sie das tun. War da nicht die Spur eines Unrechtsbewusstseins oder eines Gefühls dafür, welche Konsequenzen ihr Tun hat?

Wagenhofer: Es ist schon so, dass die natürlich auch das Elend der Welt erkennen und immer mit Statistiken kommen. Und die Statistiken schauen eben so aus, na ja, es bildet sich eben jetzt in Indien eine Mittelschicht raus und das geht ja nur, weil und so weiter und so fort. Und das sind aber Nebeneffekte.

Es ist richtig, dass es in Indien eine Mittelschicht gibt, die im Wachsen ist, die dieses westliche, nördliche Modell übernimmt. Das finde ich schon sehr eigenartig, warum wir denen unser Modell aufzwingen. Die sollten die Möglichkeit haben, ihr eigenes Modell zu entwickeln.

Und wir machen das aber nur, und das ist das Entscheidende, aus der Haltung heraus, weil wir daran profitieren. Es geht kein Mensch, ob das Siemens ist, ob das Mobius ist, ob das Kovats ist wie im Film, nach Indien, weil er dort einer Inderin oder einem Inder etwas Gutes tun will, damit dort eine Mittelschicht entsteht. Nein, überhaupt nicht, sondern die Haltung ist genau umgekehrt: Wir gehen dorthin, damit sich unser Profit vermehrt, hoffentlich, und dazu werden ganz spezielle Konstrukte gebildet wie Special Economic Zones, das ist eine Zone der Industriezonen. Die sind in Indien wieder eine eigene Zone, wo man einen Reisepass braucht, dass man reingehen kann.

Da drinnen gilt das indische Gesetz nicht. Dadurch zahlen die keine Steuern. Dadurch, dass die keine Steuern zahlen, kann sich die Bevölkerung dort nie da rappeln, es kann nie die Möglichkeit geben, dass es zu einer normalen Entwicklung kommt. Und würde es dazu kommen in 10, 20, 30 Jahren, sind die Investoren längst wieder abgezogen und haben ein Land gefunden, wo es wieder paradiesische Zustände gibt für Investitionen, aber nicht für die Menschen.

Ich bin der Meinung, wir bräuchten einen Wirtschaftssystem, das für die Menschen da ist und nicht die Menschen für das Wirtschaftssystem.

von Billerbeck: Sie bringen auch Beispiele, die quasi direkt vor unserer Haustür liegen, nämlich in Spanien. Da zeigen Sie in Ihrem Film riesige Areale, in denen die andalusische Küste vollgeklotzt wurde mit riesigen Hotels und Wohnbauten, kilometerlange hässliche, billig gebaute Wohn- und Hotelkomplexe. Die sehen so ein bisschen aus wie der Stein gewordene Ausdruck der Finanzkrise. Wenn man Ihren Film sieht, die vielen Beispiele aus aller Welt: Ist es noch eine Finanzkrise oder ist das längst eine Gesellschaftskrise?

Wagenhofer: Das ist längst eine Gesellschaftskrise seit vielen, vielen Jahren. Das ist ja bei "We feed" auch im Vordergrund gestanden und steht auch hier im Vordergrund: Zweckentfremdung, Sinnentfremdung, Scheinwirtschaft, Unzufriedenheit. Wir leben in der besten aller Welten, wir haben unfassbaren Reichtum, aber wir können mit dem Glück leider nicht umgehen. Es gibt da diesen schönen Satz bei Goethe schon: "Nichts ist schwerer zu ertragen wie eine Reihe an schönen Tagen". Und das gilt offensichtlich auch für den Umgang mit Geld.

von Billerbeck: Ihr Film über die Grundlagen unserer Ernährung, der konnte bei einem Teil der Verbraucher Umdenken bewirken. Beim Geld ist das jedoch viel schwieriger. Sehen Sie eine Chance, diese Krise irgendwie zu beeinflussen, geschweige denn sie zu beenden?

Wagenhofer: Diese Gesellschaftskrise, die muss sich ja selbst irgendwie reinigen. Und eine Chance sehe ich immer, auch die Krise ist eine Chance, das weiß auch jeder von uns, der schon ein bisschen länger da ist. Wir haben alle Krisen, das ist Teil des Lebens. Die Frage ist nur, was es kostet, das ist das Entscheidende.

von Billerbeck: Und wer es bezahlt wahrscheinlich.

Wagenhofer: Und wer es bezahlt, genau. Und erst wenn das wirklich ankommt, dass es der sogenannte kleine Mann und die kleine Frau bezahlen muss, erst dann werden dort offensichtlich die Alarmglocken so schrillen, dass man dann sagt, okay, jetzt müssen wir aber auch was tun, in einem Land, wo höchster Wohlstand ist. Bei uns funktioniert alles perfekt, aber man kann natürlich wunderbar Hetze treiben mit Ausländerproblematik, vergisst aber ganz, was eben auch Teil des Films war, die Idee war, warum die Afrikaner zum Beispiel zu uns kommen. Die kommen doch nicht ins graue Wien im November, wo Nebel ist und Schneegatsch, weil es da so schön ist, sondern die lieben die afrikanische Sonne. Sie kommen, weil wir ihnen die Lebensgrundlagen vor Ort entziehen.


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