Montag, 10. September 2012

Da ist einerseits sein Gerechtigkeitsempfinden, das ihm sagt, er müsse die Kleinen gegen die Großen verteidigen [via Märkische Allgemeine]

 

Der Hartz-IV-Anwalt

Thomas Lange setzt sich für Bedürftige ein und kritisiert die Jobcenter / Sein juristischer Feldzug stößt auch auf Kritik

[via Märkische Allgemeine]
 
http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/12388101/62249/Thomas-Lange-setzt-sich-fuer-Beduerftige-ein-und.html
 

LÜBBENAU - Thomas Lange hat eine Mission. Warum, ist nicht ganz klar. Da ist einerseits sein Gerechtigkeitsempfinden, das ihm sagt, er müsse die Kleinen gegen die Großen verteidigen. Da ist andererseits aber auch ein Kampf, von dem er weiß, dass er ihn nie gewinnen wird. Aber Thomas Lange wird weitermachen.

Seit mehr als zwei Jahren kämpft der Anwalt für die Rechte von Hartz-IV-Empfängern und legt damit das Cottbusser Sozialgericht lahm. Dort wurden im ersten Halbjahr 3600 Klagen gegen Hartz-IV-Bescheide eingereicht. Mehr als zwei Drittel davon stammen von Lange. Die meisten Bescheide, gegen die Lange klagt, kommen vom Jobcenter Oberspreewald-Lausitz.

Dass gegen Hartz-IV-Bescheide geklagt wird, ist nichts Neues. Viele sind fehlerhaft. 2011 wurden in Brandenburg mehr als 15 000 angefochten. Die Vehemenz, mit der Lange seine Klienten vertritt und damit Gerichten und Jobcentern auf die Nerven fällt, ist aber auffällig.

"Und ob das ein Feldzug ist", sagt Lange. Er sagt es mit ruhiger Stimme, braust nicht auf. Jemanden, der auf einem Feldzug ist, stellt man sich anders vor. Lange ist 41 Jahre alt, hat ein jungenhaftes Gesicht. Besonders, wenn er lacht. Er wirkt nicht wie einer, den Kollegen als jemand beschreiben, der keinen Konflikt scheut. Aber Lange kann einen kindlichen Trotz gegen Ungerechtigkeiten entwickeln. Dann wird aus dem jungenhaften Anwalt ein energischer Advokat. Unter Kollegen und vor allem beim Jobcenter Oberspreewald-Lausitz ist der Anwalt umstritten. Das Jobcenter hat sogar Beschwerde bei der Anwaltskammer gegen ihn eingereicht. Lange habe Werbung geschaltet, in denen er das Jobcenter angreife. "Das ist nicht standesgemäß", sagt Vize-Geschäftsführer Hans-Jörg Milinski. Bei der Anwaltskammer will man sich nicht dazu äußern, ob ein Verfahren läuft. Nur so viel sagt Geschäftsführer Rüdiger Suppé: "Herr Lange ist ein bekannter Kollege, der als sehr zupackend bekannt ist."

"Ich kann das nicht verkraften, wie mit den Menschen im Jobcenter umgegangen wird", sagt Thomas Lange. "Viele Klienten kommen völlig fertig zu mir." Lange wählt starke Worte, wenn er vom Jobcenter redet. Der Umgang sei unmenschlich. Er habe ein starkes Gerechtigkeitsempfinden, "das war schon immer so". Deswegen setze er sich für die Schwachen ein. Er hilft ihnen, sich gegen fehlerhafte Bescheide zur Wehr zu setzen. Oft geht es um Nebenkosten, die das Amt nicht tragen will. Etwas weniger als die Hälfte seiner Klagen gewinnt Lange.

Auf den ersten Blick geht es dabei nicht um viel Geld. Für die Kläger und Lange nicht. Bekommt der Kläger vor Gericht Recht, erhält er ein paar Euros zurückerstattet. Lange bekommt pro Fall gut 100 Euro. Aber die Summe macht's am Ende. Einige Mandanten vertritt Lange in mehreren Fällen. Geld bekommt er pro Fall, nicht pro Mandat. So kann er an einem Klienten mehrere hundert Euro verdienen. Aber es kann lange Zeit dauern, bis der Anwalt sein Honorar einstreicht. Erst wenn der Fall vor Gericht abgeschlossen ist, fließt tatsächlich Geld. Gerade werden die Einsprüche von vor zwei Jahren behandelt. Gewinnt der Kläger, bezahlt das Jobcenter die Anwaltskosten. Im anderen Fall kann der Kläger Prozesskostenhilfe beantragen. In jedem Fall trägt der Steuerzahler die Kosten.

Lange hat zwei Büros – eines in Lübbenau, eines in Großräschen – und vier Mitarbeiter. Er kann gut von seinem Einkommen leben, sagt er. "Aber für Anwälte gibt es wirtschaftlich interessantere Dinge." Reich werde er nicht. Trotzdem gibt es Kollegen, die sagen, dass Lange mit seiner Masche eine "Gelddruckmaschine" betreibe. Er sieht das anders: Er könne sich die Hartz-IV-Klagen nur leisten, weil er auch andere Fälle, etwa Scheidungen, bearbeitet. Das sichere Einkommen subventioniere quasi den Feldzug gegen das Jobcenter.

Anerkennung für seinen Idealismus und Gerechtigkeitssinn bekommt Lange im Kollegenkreis kaum. Im Gegenteil. "Er ist unser Unglück", sagt einer. Er tue zwar nichts Verbotenes, klage aber exzessiv. Er überflute die Sozialgerichte mit Klagen. Teilweise vertrete er Mandanten in bis zu acht Fällen. Dabei gehe es nicht nur um Hartz-IV-Widersprüche. Lange lasse alte Bescheide überprüfen. Reagiert das Amt nicht, reicht er eine Untätigkeitsklage ein. Das sei zwar alles nicht verboten. Aber, so ein Kollege, "mich erinnert das Vorgehen an einen Amokläufer, der unkontrolliert schießt".

Lange ist zufällig zum Hartz-IV-Anwalt geworden. Als er 2010 seine Kanzlei in Großräschen eröffnete, war einer seiner ersten Kunden ein Hartz-IV-Empfänger. Lange half ihm und schrieb später für eine Wochenzeitung einen Text über falsche Nebenkostenabrechnungen bei Hartz IV. "Da standen die Telefone nicht mehr still." Mittlerweile füllen die Akten seiner Klienten ein großes Zimmer in der Lübbenauer Kanzlei. An manchen Tagen hat er mehr als 20 neue Mandanten. "Das sind ruhige Tage." Kürzlich hatte Lange einen Gerichtstag. 15 Verhandlungen am Sozialgericht Cottbus standen auf dem Programm.

"Klar habe ich Angst, dass es irgendwann zu viel wird", sagt Lange. Er reibe sich auf, dass wisse er. Er gilt inzwischen als der Hartz-IV-Anwalt Brandenburgs. Auch für die Politik ist er interessant geworden. Er sei schon von der Linkspartei angesprochen worden. "Aber ich sehe keinen Grund, mich politisch zu engagieren." Er wolle helfen, mehr nicht. Er wolle zeigen, wie schlampig in den Behörden teilweise gearbeitet wird.

Lange steckt in einem Dilemma. Er weiß, dass er sich aufreibt. Er weiß, dass er seinen Ruf als Hartz-IV-Anwalt zementiert. Er weiß, dass es so immer schwerer wird, andere Rechtsfelder zu erschließen. Aber Lange kann und will nicht anders: "Aufhören wäre Aufgeben." Einen finalen Sieg wird er zwar nie erringen, auch das weiß er. Es wird immer fehlerhafte Bescheide geben, immer wieder werden sich Kunden über das Jobcenter beschweren.

Es sind kleine Siege, die der Anwalt feiern will. Bestätigt das Gericht, dass das Amt falsche Bescheide ausgestellt hat, ist das für ihn ein kleiner Sieg der Gerechtigkeit. (Von Christian Meyer)


Klagen gegen Hartz-IV-Bescheide

  • Seit Einführung der Hartz-IV-Gesetze 2005 hat sich die Zahl der Klagen vor den vier Sozialgerichten Brandenburgs etwa verdoppelt.
  • In Neuruppin , Cottbus, Frankfurt (Oder), Potsdam sind 2011 insgesamt 24 188 Verfahren eingereicht worden. In 61 Prozent der Fälle geht es um Hartz-IV-Bescheide. Dazu kommen rund 32 000 alte Bescheide, die noch bearbeitet werden. Bis es zu einem Urteil kommt, vergehen im Schnitt 16 Monate. Manchmal dauert es aber auch bis zu vier Jahre.
  • Die Sozialgerichte wollen den Verfahrensstau mit neuen Richtern abbauen. Vier werden neu eingestellt, zwei von anderen Gerichten ausgeliehen. An den vier Sozialgerichten arbeiten insgesamt 83 Richter.
  • In rund 50 Prozent der Fälle bekommt der Kläger Recht. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe des Sozial- und des Justizministeriums will die Arbeit in den Jobcentern unter die Lupe nehmen. cmm

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