Dienstag, 18. September 2012

"gibt es die Arbeiterschicht eigentlich gar nicht mehr. Es gibt nur noch die nette Mittelschicht, die Häuslebauer, für die die Daily Mail schwärmt.


"Den Prolls die Fresse polieren"

[via Nachdenkseiten]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=14465#h10
 


Ein Buch des Historikers, Gewerkschafters und Journalisten Owen Jones über die Stigmatisierung der Arbeiterklasse in der britischen Gesellschaft schlägt riesige Wellen. In den Primetime-Talkshows werden seine von den etablierten Medien als "Polemik" und "Provokation" reflektierten Thesen zum Niedergang und der Zerschlagung der Organisationsstrukturen der Arbeiterklasse diskutiert – vor allem die Folgen, ihre permanente Verunglimpfung und Demütigung. Ihre Mitglieder werden vom "Salz der Erde" zum "Abschaum der Welt" degradiert. Die überall im öffentlichen Raum gebräuchliche pejorative Bezeichnung "Chav" ("Proll") ist das sinnfälligste Phänomen dieser Verächtlichmachung.

Klassenhass gehöre mittlerweile "zum festen Grundbestand der britischen Kultur", sagt Owen Jones. Der Verantwortung der Vierten Gewalt und der Kulturindustrie für diese Entwicklung sollte nicht unterschätzt werden. In dieser Sphäre "gibt es die Arbeiterschicht eigentlich gar nicht mehr. Es gibt nur noch die nette Mittelschicht, die Häuslebauer, für die die Daily Mail schwärmt.

Eine von Jones' Kernthesen lautet: Der neue Klassenhass zielt nach wie vor allem auf die organisierten Arbeiter und die Gewerkschaften. Und er verweist auf interessante Analysen des Meinungsforschungsinstituts Britain Thinks, das vor allem drei Konsequenzen der wirtschaftlichen Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte ausmachte. Erstens: Die Grundfeiler der Arbeiterklasse, beispielsweise die alteingesessenen Industriezweige und Wohnungsgenossenschaften wurden von der Thatcher-Regierung weitgehend zerstört. Als Thatcher 1979 die Regierungsgeschäfte übernahm, gab es noch über sieben Millionen Arbeitsplätze in der Industrie. Heute sind es nur noch 2,83 Millionen. Die meisten Unternehmen sind in Niedriglohn- und Entwicklungsländer abgewandert. Zweitens: Thatcher ist es gelungen, in der Gesellschaft weitgehend die Auffassung zu verbreiten, dass alle versuchen sollten, Mittelschicht zu sein und niemand mehr stolz darauf sein soll, Arbeiter zu sein. Drittens: Angehörige der Arbeiterklasse sind aus Politik und Medien – im britischen Parlament gehören ihr nur noch fünf Prozent der Abgeordneten an; über die Hälfte der 100 führenden Journalisten des Landes besuchten eine Privatschule – fast völlig verdrängt, und das hat zur ungehinderten Verbreitung von "Proll-Zerrbildern" geführt.

Die Dämonisierung der Arbeiter ein hausgemachtes innerbritisches Problem?

Im Vereinigten Königreich sind die Klassengegensätze traditionell krasser, die Kluften zwischen Arm und Reich noch tiefer als in Deutschland. Entsprechend aggressiver sind die Auswüchse des Hasses auf das "riff-raff" ("Gesocks"). Aber auch hierzulande ist eine signifikante Zunahme von Sozialchauvinismus und Ressentiments gegen "die da unten" wahrnehmbar. Bild verbreitet, beispielsweise mit der Kreation und Überzeichnung von Figuren wie "Karibik-Knut" und "Florida Rolf", seit Jahrzehnten den Mythos vom massenhaften "Sozialbetrug". Einige Privatsender haben regelrechte Hetzjagden auf Sozialhilfe-, später auf Hartz IV-Bezieher gestartet.

Quelle: Hintergrund

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