Freitag, 28. September 2012

.... von der #Ausgrenzung der #Überflüssigen...

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Von: Andreas Rudolf <andreas.rudolf@gmx.de>
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Vor nicht allzu langer Zeit, der Erste Weltkrieg war gerade mit einer Niederlage für das Deutsche Reich zu Ende gegangen und die erste deutsche Demokratie begann sich mehr schlecht als recht zu etablieren, agitierte ein gewisser Gustav Hartz, Mitglied der monarchistischen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) gegen das Sozialsystem der Weimarer Republik.

Hartz war 1924 kurzeitig Reichstagsabgeordneter und 1928 erschien sein wichtigstes Buch »Irrwege der deutschen Sozialpolitik und der Weg zur sozialen Freiheit«, das in der Öffentlichkeit viel beachtet und heftig kritisiert wurde. Sein Buch läge heute voll im neoliberal-nationalistischen Trend, sah doch schon er überall »Faulenzer, Drückeberger und asoziale Elemente« den Sozialstaat plündern.

Zwar war Gustav Hartz nicht mit dem zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen Untreue und Begünstigung verurteilten Peter Hartz verwandt, dennoch mutet es wie ein Treppenwitz der Geschichte an, dass führende »Sozialstaatsreformer« damals wie heute denselben Familiennamen haben, bemerkt der Politikwissenschaftler Christoph Butterwege. Er verweist in einem rechtzeitig zum fünften Jahrestag des »Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« erschienenen Bandes auf wichtige historische Parallelen bei der Vernichtung des Sozialstaates in der Weimarer Krisenrepublik und der heutigen Zeit. Verblüffend ähnlich ist nicht nur die Wortwahl damaliger und heutiger Protagonisten – auch für den ehemaligen »Superminister« Clement sind Arbeitslose nur »Parasiten« –, ebenso austauschbar sind die Argumente gegen sozialstaatliche Schutzregeln mit Verweis auf Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung sowie die konkrete Ausgestaltung des Arbeitslosenrechts mit erzwungenen Arbeits-einsätzen als Gegenleistung für die bloße Existenzsicherung.

Die Herausgeber dieses empfehlenswerten Bandes, die Sozialwissenschaftlerin Sandra Kotlenga und der evangelische Pfarrer und Sozialethiker Jürgen Klute, wollten eine Bilanz der Folgen der Eliminierung des sozialen Sicherungsnetzes in diesem Land ziehen. Es werden dabei auch Aspekte und Wirkungsbereiche einer kritischen Analyse unterzogen, die bisher in der Argumentation gegen die Hartz-Gesetze kaum oder nur wenig Erwähnung fanden. Einen Schwerpunkt bildet die Auseinandersetzung mit dem Konzept des (bedingungslosen) Grundeinkommens. Befürworter und Kritiker kommen zu Wort, wobei sich die Contrabeiträge im Wesentlichen auf die neoliberalen Ansätze des Grundeinkommens beziehen.

Der Sozialwissenschaftler und Lehrbeauftragte der Humboldt-Universität Andrej Holm befasst sich mit den wohnungspolitischen Auswirkungen von Hartz IV. Auf Grund der bundesweit vorliegenden Forschungsergebnisse müsse von einer »räumlichen Restrukturierung der Stadt und der Ausgrenzung der Überflüssigen« gesprochen werden. Den Hartz IV-Betroffenen bleibe weitestgehend nur der Wegzug in die innerstädtischen Substandardwohnungen und die Großsiedlungen am Stadtrand.

Der am Progress Institut Wirtschaftsforschung (PTW) beschäftigte Karsten Schmidt stellt die Entwicklung der aktiven Arbeitsmarktpolitik nach 2002 dar. Er weist nach, dass der finanzielle Umfang der aktiven Arbeitsmarktpolitik seit Beginn der »Reformen« kontinuierlich zurückgefahren wird. Ebenso verhängnisvoll für die Betroffenen ist die Tatsache, dass die sogenannten »Ein-Euro-Jobs«, die nachweislich die geringsten Eingliederungserfolge überhaupt haben, das bei Weitem dominierende arbeitsmarktpolitische Förderinstrument darstellen, obwohl es dem Sinn des Gesetztes nach die arbeitsmarktpolitische Ultima Ratio darstellen soll. Ein wichtiges Ergebnis seines Aufsatz lautet: »Ein wesentliches Reformparadigma – das »Fördern« – erweist sich als rein rhetorische Formel.«

In ihrer zusammenfassenden Analyse legen die Herausgeber dar, dass von den »Hartz-Reformen« nicht nur die Erwerbslosen betroffen sind, sondern nahezu alle abhängig Beschäftigten. Die Liquidierung des Sozialstaates ermöglicht Unternehmen, immer schlechtere Arbeitsbedingungen durchzusetzten. Wenn das »überflüssige Menschenmaterial« – kein geringerer als Karl Marx spricht in diesem Zusammenhang von der »industriellen Reservearmee« – endlich so wenig Geld bekommt, dass es für jeden Lohn alles macht, gibt es automatisch den erhofften Lohndruck auf jene, die (noch) für einen Mehrwert tätig sind.

Gustav Hartz befände sich, würde er in der heutigen Zeit leben, in bester Gesellschaft zu den Hartz IV-Parteien in Deutschland. Die Frage der ökonomischen Verwertbarkeit der »Überflüssigen« hatte seine Deutschnationale Volkspartei identisch beantwortet wie heute SPD, FDP, CDU, CSU und die Grünen.

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