Dienstag, 18. September 2012

STANDARD: Plumpe Polemik gegen das Grundeinkommen [via Tante Jolesch]



STANDARD: Plumpe Polemik gegen das Grundeinkommen

[via Tante Jolesch]

http://www.tantejolesch.at/tjtrue.php?bild=bgestandard.jpg&href1file=bgestandard

STANDARD-Autor Mario Sedlak mag Mathematiker sein. Das tilgt aber nicht seine Leseschwächen.

Schon der erste Satz in seinem Beitrag über die Woche und Konzepte zum Grundeinkommen strotzt von Irrtümern: "1000 bis 1500 Euro pro Monat werden versprochen - einfach so für jeden, ohne Bedarfsprüfungen, denn die sind ja demütigend."

Erstens werden im BGE-Modell von attac keine 1000 bis 1500 Euro für jeden versprochen, sondern rund 1000 Euro für jeden Erwachsenen und ein Betrag von bis zu 800 Euro für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren. Zweitens sind Behördengänge, Ausforschung und Bespitzelung und was sonst noch so alles unter "Bedarfsprüfung" fällt, in der Tat demütigend. Drittens , der mit dem Bedingunglosen Grundeinkommen wegfiele.

STANDARD-Autor Mario Sedlak weiter:
"Mit solchen "Details" wie der Frage, wo denn dieses viele Geld herkomme, halten sie [die Befürworter des Grundeinkommens] sich hingegen nur äußerst ungern auf."
Auch das stimmt nicht. Die Befürworter des Bedingungslosen Grundeinkommens - ob attac oder Piraten - rechnen sehr genau. Genauer jedenfalls als STANDARD-Autor Sedlak in seiner grobrastrigen Art.

Sedlak moniert:
"12.000 Euro pro Kopf und Jahr seien doch eh nur ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts, und wenn man will, werde man das doch umverteilen können. Dabei vergessen sie allerdings, dass ein Drittel heute bereits umverteilt wird! Also entweder entfallen mit dem bedingungslosen Grundeinkommen alle anderen Transferleistungen - kostenlose Ausbildung, Familienförderung, Pensionszuschüsse usw."

attac und auch die Piraten rechnen minutiös vor, wie das bedingungslose Grundeinkommen sich finanzieren lässt. Rund 40 bis 50% - je nach Modell - lässt sich durch Umschichtung der jetzigen Sozialausgaben (derzeit in Österreich ca. 85 Milliarden Euro) bereitstellen. Jener Teil der Pensionskosten, der unterhalb der BGE-Grenze (zB 850 oder 1000 Euro) liegt, kann auf die Finanzierung des BGE umgeschichtet werden. Dasselbe gilt für die Ausgaben bei Hinterbliebenen- und Invaliditätsrenten, zum grossen Teil auch bei den Ausgaben für Kinder und Familie oder das AMS. Die Ausgaben für Gesundheit und Bildung bleiben in den Kozepten zum Grundeinkommen unangetastet.

All das hat STANDARD-Kommentator Mario Sedlak offensichtlich "überlesen".
Doch die Tante glaubt nicht nur an Zufälle und Leseschwächen. Sie hat noch einen anderen Verdacht. In Wirklichkeit geht es Mario Sedlak vielleicht nur um die eigenen Pfründe. Das zeigt zumindest die folgende Passage.

Er schreibt:
"Nur die Millionäre und Spitzenverdiener zur Kasse zu bitten, wird nicht reichen. Laut Finanzierungskonzept von Attac wären alle, die mehr als 2500 Euro brutto pro Monat verdienen, die Verlierer des Systems. Bis zu 90 Prozent Steuern sollen sie von ihrem Einkommen zahlen."

Diese Darstelung des attac-Modells ist nicht nur völlig falsch, sie ist im Grunde bösartig.
Hier drei Beispielrechnungen, wie das BGE sich für Arbeitnehmer auswirken würde:

Kellner (25)
Bruttojahresverdienst 16.000 Euro ergibt jährlich netto ca. 14.000 und NETTO monatlich rund 1.200 Euro.
Mit einem BGE von 1000 Euro mtl. ergäbe sich ein Jahresgehalt von 28.000 Euro brutto, netto ungefähr 21.000 Euro und NETTO monatlich 1.750 Euro.
Zugewinn von rund 550 Euro monatlich.


Das zweite BGE-Rechenbeispiel nimmt der Horrorvision von STANDARD-Autor Sedlak den Wind völlig aus den Segeln.

Angestellte (HTL, 37)
Bruttojahresverdienst 38.000 Euro, das ergibt jährlich netto ca. 26.000 Euro, also monatlich rund 2.150 Euro NETTO.
Mit einem BGE von 1000 Euro mtl. ergäbe sich ein Jahresgehalt von 50.000 Euro brutto, netto ungefähr 32.000 Euro und NETTO monatlich 2.650 Euro.
Zugewinn von rund 500 Euro monatlich.


Das dritte Beispiel trifft die Gehaltsklasse, die Mario Sedlak so am Herzen liegt.

Geschäftsführer (Uni, 50)
Bruttojahresverdienst 120.000 Euro, das ergibt jährlich netto ca. 70.000 Euro, also monatlich rund 6.000 Euro NETTO .
Mit einem BGE von 1000 Euro mtl. ergäbe sich ein Jahresgehalt von 132.000 Euro brutto, netto ungefähr 63.000 Euro und monatlich 5.250 Euro NETTO.
Verlust von 750 Euro monatlich.

In der Tat - in dieser Gehaltsklasse kommt es zu Verlusten, nicht aber bei einem Bruttoeinkommen von 2.500 Euro, wie Sedlak unterstellt. Es ist laut Modellrechnungen völlig anders. Wer 2.500 Euro brutto im Monat verdient, kann mit rund 500 Euro mehr im Monat planen.

Erst ab rund 4.200 Euro brutto monatlich hätten Arbeitnehmer bei Einführung des BGE mit Gesamteinkommensverlusten zu rechnen, beginnend mit 100 Euro pro Monat bis zu 750 Euro bei zB 11.000 Euro brutto Monatsverdienst. Um eine Ahnung zu bekommen, wen das betrifft: Von den 4,5 Millionen Steuerfällen in Österreich liegen circa 95.000 Steuerfälle bei 4.200 Euro brutto und mehr pro Monat. Das sind 2%. In 42.000 Steuerfällen ist von einem Jahreseinkommen von mehr als 100.000 Euro brutto, sprich von mehr als 8.333 Euro brutto im Monat, auszugehen. Das entspricht knapp 1% der Steuerfälle.

Das sind gerundete Dimensionsangaben, die aber im Gegensatz zu Mario Sedlaks Horrorgemälde sehr exakt die Konzepte zum Bedingungslosen Grundeinkommen abbilden.

Nachdem Sedlak zu Beginn seines "Leserkommentars" die wichtigsten Passagen in den BGE-Konzepten ausgelassen oder "überlesen, das Gehaltsgefüge entstellt und sich tendenziös verrechnet hat, gibt er im zweiten Teil des Beitrags sein wahres Welt- und Menschenbild preis.

Er fürchtet "drastische Folgen durch Aufhebung des Arbeitszwangs" und lamentiert:
"Eine bedarfsorientierte Grundsicherung gibt es bereits. Warum reicht die nicht aus? Anscheinend geht es hauptsächlich um die Abschaffung der lästigen Arbeitsverpflichtung. Jeder soll endlich frei entscheiden dürfen, ob und wenn ja, was er arbeiten will. Niemand muss mehr dabei mithelfen, Kundenwünsche zu erfüllen, wenn ihm das als "sinnlose Arbeit" erscheint. Dass daraufhin einige Branchen ihre Löhne kräftig erhöhen müssen, um überhaupt noch Arbeitskräfte zu finden, ist eine erwünschte Folge des bedingungslosen Grundeinkommens."

Hochinteresssant ist die Tatsache, dass Sedlak fürchtet, manche Branchen müssten ihre Löhne erhöhen. Andere Gegner des Grundeinkommens malen nämlich immer das Gespenst des Lohnverfalls an die Wand, um das Bedingungslose Grundeinkommen madig zu machen.

Hier nun hat Sedlak recht: Ein BGE (Bedingungsloses Grundeinkommen) würde dazu führen, dass Menschen nicht mehr nahezu grenzenlos erpressbar sind, dass Drecksarbeit besser bezahlt würde und vor allem zermürbende, seelisch belastende Arbeiten wie zB in der Pflege auch gehaltsmässig mehr geschätzt würden. Eine gute Entwicklung. Es könnten zB drei Leute sich zwei stressbehaftete Arbeitspätze teilen, und sie hätten dennoch ein Auskommen mit dem Einkommen. Die Qualität der Arbeit nähme zu, und das käme nicht nur den Arbeitenden, sondern auch den Patienten oder Sedlaks "Kundenwünschen" zugute.

Sedlak sieht diesen Aspekt allerdings nicht, will ihn vermutlich nicht sehen.

Hingegen mäkelt er an, dass "in den meisten Konzeptpapieren und Petitionen das Wort "Inflation" nicht einmal vorkommt, geschweige denn eine Lösung für die folgende Lohn-Preis-Spirale geboten wird, denn die Firmen werden die höheren Lohnkosten natürlich an die Konsumenten weitergeben und die Nichtarbeitenden werden eine Erhöhung des leistungslosen Einkommens fordern, um ihre "Teilhabe am gesellschaftlichen Leben" zu sichern."

Hier unterliegt Sedlak dem Irrglauben seiner einseitig ökonomischen Sichtweise, nämlich der Meinung, dass Menschen permanent kujoniert und angetrieben werden müssten, da sie sonst weniger arbeiten. Dass Menschen, wenn sie stressfrei sind und sich die Arbeit besser verteilt, mehr und bessere Arbeit leisten, will anscheinend nicht in Sedlaks Kopf. Auch die derzeitigen horrend ansteigenden Kosten durch den immer weiter wachsenden Stress und die allmähliche Prekarisierung einer ganzen Generation, die zunehmenden Burnout-Fälle und depressiven Erkrankungen kümmern Sedlak nicht, geschweige denn, dass er sie in seine Kostenrechnung aufnähme.


Er verkündet vielmehr als Fazit: Die Kozepte zum Grundeinkommen "halten ...nicht einmal einer oberflächlichen Prüfung stand."

Stimmt.
Wer so oberfächlich liest, prüft, rechnet wie Sedlak, wer noch nicht einmal die einfachsten Umschichtungszusammenhänge nachvollziehen kann oder "überliest", der muss wohl solche Schlussfolgerungen ziehen. Wer zudem die Behauptung in den Raum stellt, dass Gehaltsempfänger ab 2.500 Euro brutto mit dem Grundeinkommen Nachteile fürchten müssten, während genau das Gegenteil gilt, weil diese Gruppe laut wohlberechneten Konzepten über rund 500 Euro mehr verfügen würde, wer also die BGE-Konzepte dermassen entstellt, der verfolgt bewusst verfälschende Absichten.

Von der Wiener "Presse" ist man tendenziöse Verlautbarungen der Sedlakschen Art gewohnt, beim STANDARD scheinen schlecht recherchierte und tendenziöse Publikationen, die zivilgesellschaftliche Bewegungen wie attac oder die Piraten verunglimpfen, allmählich zum Standard zu werden.

Dabei bedient sich das Blatt im Ressort Wirtschaft unter der Ägide eines Eric Frey offensichtlich der Methode Dichand von der Kronen-Zeitung. Sie stellt "Leserbriefe" ins Schaufenster, um diskussionswürdige Ansätze für mehr Freiheit und Demokratie auf plumpe Art zu desavouieren.



Posted via email from Dresden und Umgebung

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