Donnerstag, 14. Juni 2012

--->>> #Griechenland #ist #überall [LZ-Interview mit Ralf Dreis zur Lage in Griechenland]


Griechenland ist überall
 

von Ralf Dreis - LZ

 
 
[via Linke Zeitung]
 
http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=13627&Itemid=1
 

LZ-Interview mit Ralf Dreis zur Lage in Griechenland

LZ: Ralf, du bist oft in Griechenland. Wie hat sich die Schuldenkrise auf den Alltag der Griechen ausgewirkt?

RD: Hallo, zuallererst möchte ich betonen, dass ich mit dem Begriff Schuldenkrise nicht einverstanden bin. Meiner Meinung nach handelt es sich bei dem was wir momentan erleben um eine Krise des Kapitalismus. Und kapitalistischer Markt ist immer Politik. Das uns allen bekannte anonymisierende Geschwätz von "den Finanzmärkten", die gottgleich über das Schicksal der Menschen bestimmen, ist Teil eines Mythos mit dessen Hilfe Verantwortlichkeiten unkenntlich gemacht und Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden sollen. Nichts an Finanzmärkten ist naturgesetzlich und durch politisches Handeln nicht veränderbar. Was gegenwärtig in Griechenland - und auch in Portugal und Spanien - geschieht hat nur ein Ziel. Mit dem ermüdenden Dauerbeschuss so genannter ExpertInnen und PolitikerInnen, die ununterbrochen die Mär verbreiten diese Länder müssten "sparen" um wirtschaftlich zu gesunden, soll vor allem ein politisches Ziel durchgesetzt werden, nämlich die Sicherung der Profite einer kleiner werdenden herrschende Elite.

Was den Alltag der GriechInnen betrifft, so hat sich in den letzten Jahren einiges verändert - wobei es aber auch große Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt. Am auffälligsten ist die katastrophale Lage in Athen, gefolgt von Thessaloníki. Massenarbeitslosigkeit, zunehmende Obdachlosigkeit, Suppenküchen für Bedürftige, in letzter Zeit verstärkt Selbstmorde aus Verzweiflung über die wirtschaftliche Lage und aus Perspektivlosigkeit. 

Im ländlichen Bereich ist die Situation noch nicht so dramatisch, hat sich auch am ruhigeren Lebensrhythmus nicht viel geändert, da viele Menschen die Möglichkeit haben eigenes Gemüse anzubauen oder Vieh zu halten und somit trotz brutal gekürzter Renten, Arbeitslosigkeit und erhobener Sonderabgaben noch einigermaßen über die Runden kommen.

LZ: Stimmt es, dass in vielen Regionen die Schulen nicht mehr funktionieren und dass auch Krankenhäuser und Polizei von dem radikalen Sparkurs betroffen sind?

RD: Ob bestehende Schulen nicht mehr funktionieren, davon weiß ich nichts. Tatsache ist, dass massenhaft Schulen geschlossen wurden um Geld zu sparen und die Eltern der betroffenen Regionen nun sehen müssen, wie sie ihre Kinder in die nächstliegende Schule bekommen, da oftmals auch die Busverbindungen im ländlichen Bereich eingestellt wurden. In vielen Schulen fehlt es außerdem an Büchern und sonstigem Lehrmaterial.

Die Situation in den Krankenhäusern ist schon länger katastrophal, durch die Sparprogramme aber inzwischen absolut untragbar. Zu wenig Personal, fehlende Medikamente und Verbandsmaterial, eigentlich nötige Operationen werden aufgeschoben oder gar nicht mehr durchgeführt. Die so genannten Gesundheitszentren, die in ländlichen Gegenden die medizinische Grundversorgung sicherstellten, wurden oftmals ganz dicht gemacht. Auch Apotheken geben Medikamente nur noch gegen Barzahlung heraus, was für chronisch Kranke ohne Geld, also z.B. RentnerInnen oder Arbeitslose, oft gleichbedeutend mit einer Verurteilung zum Tod auf Raten ist.  

Ob die Polizei vom Sparkurs betroffen ist kann ich nicht sagen. Es reicht zumindest immer noch um Tonnenweise Tränengas bei Protesten zu verschießen, die brutalen Dias- und Delta-Motorradeinheiten durch Neueinstellungen zu verstärken, dazu DemonstrantInnen zusammenzuschlagen, gegen Streikende vorzugehen und gemeinsam mit Faschisten im Zentrum von Athen MigrantInnen zu jagen.

LZ: Wohin gehen denn die Gelder, die aus Deutschland "für die Griechen" geschickt werden? Wer hat etwas davon?

RD: Ein Großteil der Gelder wird zur Schuldentilgung aufgewandt, es profitieren also die Großbanken und Konzerne - nicht zuletzt aus Deutschland! Ein geringerer Teil geht für staatliche Löhne, Renten, Arbeitslosengeld und die staatliche Infrastruktur drauf.

LZ: Gibt es Privatisierungen und was sind die Folgen? Welche weiteren Privatisierungen sind denn geplant?

RD: Geplant, bzw. von der Troika aus EZB, IWF und EU-Kommission aufoktroyiert, ist der komplette Ausverkauf des Landes: Häfen, Flughäfen, Busse, Bahnen, Wasser- und Stromgesellschaften, Post, Telefon- und Lottogesellschaft, bis hin zur Privatisierung von Stränden ... und ich weiß nicht was noch. In all diesen Bereichen gibt es mehr oder minder heftige Gegenwehr, da natürlich alle wissen, dass Privatisierung mit verschärfter Ausbeutung einhergeht. Also gekürzte Löhne, längere Arbeitszeiten, Flexibilisierung und Rationalisierung. Besonders interessant ist für mich der Widerstand gegen die Privatisierung der Wasserwerke Thessaloníkis, da dort nicht einfach der Erhalt des Status Quo angestrebt wird, sondern die tatsächliche Vergesellschaftung des Wassers angestrebt ist. Die "Bewegung 136" eine Initiative aus GewerkschafterInnen der Wasserwerke, AnarchistInnen, AktivistInnen der Platzbesetzungen des Sommers 2011 und BewohnerInnen des Dorfes auf dessen Grund sich die Quellen der Stadt befinden, gründen momentan Genossenschaften in allen 17 Departements der Stadt, um die Wasserwerke in Eigenregie zu übernehmen.   

LZ: Wer hat Interesse an diesen Objekten? Was wird voraussichtlich passieren, wenn diese Sektoren privatisiert werden?

RD: Die Wasserwerke Thessaloníkis will sich z.B. der multinationale Konzern Veolia unter den Nagel reißen um damit - wie überall auf der Welt - viel Geld zu verdienen. Veolia ist auch den BerlinerInnen nur zu gut bekannt, da sie horrende Wasserpreise zu bezahlen haben, gleichzeitig das Netz verrottet und die Wasserqualität sinkt. In einem Volksentscheid wurde deshalb der Berliner Senat im vorletzten Jahr aufgefordert die Wasserwerke zurückzukaufen. Am Flughafen Athen ist die Frankfurter Fraport interessiert, RWE will den staatlichen Strommonopolisten DEI, Telekom und Siemens stehen in den Startlöchern, an den Häfen ist der Chinesische Staatskonzern COSCO interessiert ...

Außer der zuvor schon beschriebenen verschärften Ausbeutung für die Beschäftigten, bedeutet dies, ein ganzes Land seiner kompletten Infrastruktur zu berauben. Der staatliche Auftrag besteht dann gewissermaßen nur noch darin, eventuelle Widerstände der eigenen Bevölkerung durch einen aufgerüsteten Repressionsapparat niederschlagen zu lassen um die reibungslose Profitmaximierung der Konzerne zu gewährleisten.

LZ: Viele Menschen in Deutschland sind der Ansicht, die Griechen seien faul und sie müssten deren Schlendrian finanzieren. Wie siehst du das?

RD: Als jemand der viele Jahre in Griechenland gelebt und gearbeitet hat und in den letzten Jahren ständig zwischen beiden Ländern pendelt, packt mich die kalte Wut wenn ich solche Aussagen höre oder lese. Die Unfähigkeit der eigenen Ausbeutung wirkungsvoll Widerstand entgegen zu setzen, wird durch solch rassistische Ressentiments und den nationalen Schulterschluss mit den eigenen Unterdrückern in einen Angriff gegen "die faulen Griechen" oder umgewandelt. Erbärmlich!   

LZ: Wie sieht es mit deutschen Exporten nach Griechenland aus? Welche Branchen sind da besonders aktiv und was ist in nächster Zeit geplant?

RD: Eigentlich alles, was hier produziert wird und zu kaufen ist, gibt es auch in Griechenland käuflich zu erwerben. Aber ich nehme an, die Frage zielt auf die deutsche Rüstungsindustrie ab? Und da gilt dann die alte Demoparole: "Deutsche Waffen, deutsches Geld...". Laut Rüstungsexportbericht 2010 sind Griechenland und Portugal - auch ein Staat kurz vor der Pleite - die größten Abnehmer deutscher Kriegswaffen. Dem Bericht ist zu entnehmen, dass Griechenland 223 Panzerhaubitzen vom Typ M109 aus Bundeswehrbeständen sowie ein U-Boot der Klasse 214 aus Deutschland importierte. Der griechische Rüstungsetat betrug fast 7 Milliarden Euro, was knapp 3 Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht und in der Nato nur von den USA übertroffen wurde. Trotz der schlimmen Situation ist in den nächsten Jahren der Kauf von bis zu 60 Kampfflugzeugen vom Typ Eurofighter (ca. 3,9 Milliarden), französische Fregatten (ca. 4 Milliarden), Patrouillenboote (ca. 400 Millionen) und die Modernisierung der existierenden Flotte (ca.400 Millionen) geplant. Es fehlt außerdem noch an Munition für die 170 Leopard-2-Panzer, die nach Informationen der Zeit das Münchner Unternehmen Krauss-Maffei-Wegmann für 1,7 Milliarden lieferte. Interesse besteht auch an weiteren deutschen U-Booten für zwei Milliarden Euro. Schon jetzt mehren U-Boote von Thyssen-Krupp, Hubschrauber von Eurocopter und Lenkflugkörper von Diehl BGT Defence den Ruhm griechischer Militärs. Was erheblich dazu beitrug, dass die Staatsschulden explodierten.

Laut Friedensforschungsinstitut Sipri verzeichneten zwischen 2005 und 2009 nur China, Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Südkorea mehr Waffenimporte als Griechenland. Im Etat 2012 ist vorgesehen, die Beiträge zur Nato um 50 % auf 60 Millionen Euro zu steigern, die Ausgaben des Verteidigungshaushalts gar um 200 Millionen auf 1,3 Milliarden. Der Sozialhaushalt hingegen soll um weitere 9 Prozent (2 Milliarden) gekürzt werden.

LZ: Kann man also sagen, dass "Deutschland", das heißt das deutsche Kapital, direkt von der griechischen Krise profitiert?                                                                                                 

RD: Ohne Abstriche ein klares "ja"!                                                                                                

LZ: Die Griechen protestieren gegen die Sparmassnahmen, aber es scheint nicht viel zu nutzen. Denkst du, internationale Unterstützung könnte helfen? In welcher Art?                 

RD: Direkte Erfolge, wie die Rücknahme bestimmter Sparbeschlüsse gab es tatsächlich bisher nicht zu feiern. Andererseits sind in den letzten Jahren in Griechenland eine ganze Menge kollektiver Strukturen entstanden, die durchaus als Basis für den Aufbau einer solidarischen Gesellschaft stehen können. Erinnert sei nur an die monatelangen Platzbesetzungen des letzten Sommers, die Stadtteilplena, kollektive Landbesetzungen in Athen und Thessaloníki, die Gründung von Kollektivbetrieben, die Aktionen der Bewegung "den pliróno - ich bezahle nicht", die besetzten Häuser und Zentren und vieles mehr. Auch ist es den kämpfenden Menschen in Griechenland gelungen, dass kapitalistische Verarmungsprogramm an vielen Punkten zu verlangsamen, ins Leere laufen zu lassen oder aufzuhalten. Und nicht zuletzt haben sich hunderttausende Menschen ihre kollektive Würde und Selbstachtung bewahrt, indem sie gemeinsam für ihr Recht auf ein gutes Leben gekämpft haben und noch immer kämpfen. Es dürfte aber auch klar sein, dass es den Protestbewegungen in Griechenland, aber auch insgesamt den sozialen Kämpfen in Südeuropa niemals isoliert gelingen wird, sich von der Knute des Kapitalismus zu befreien. Dafür braucht es eine starke internationale Bewegung, deren verschiedene Kämpfe sich auf einander beziehen und gegenseitig unterstützen. Als wichtigen Schritt in diese Richtung sehe ich die Mobilisierung der föderalistischen Gewerkschaften CNT-AIT, CGT, CSC, SO, CO.BAS und breiter sozialer Bewegungen in Spanien im Vorfeld des Generalstreiks am 29. März und die Aktionen in über 40 europäischen Städten im Rahmen des antikapitalistischen Aktionstages M31 am 31. März. In Spanien wurde versucht auf der gemeinsamen Grundlage von "Klasse und Aktion" Generalstreiks gegen die Kürzungen, gegen die von der Regierung und der EU verordneten Verluste sozialer Rechte vorzubereiten und der Politik der Sozialpartnerschaft, des Standortmanagements und der Demobilisierung durch die etablierten Gewerkschaften eine Absage erteilen. Bei M31 gelang es europaweit und fern von Standortnationalismus und einem Herumdoktern am System gemeinsam ein Zeichen gegen kapitalistische Ausbeutung zu setzen. Klasse gegen Klasse. In dieser Richtung, denke ich, müssen unsere zukünftigen Mobilisierungen voranschreiten. Die zarte Pflanze solidarischer internationaler Zusammenarbeit und gegenseitiger Unterstützung, die im M31-Netzwerk begonnen wurde, gilt es in der kommenden Zeit zu hegen und zu pflegen.

LZ: Sind die Menschen in Griechenland darüber informiert?

RD: Einige Basisgewerkschaften, die anarchosyndikalistische ESE, oder die AK (Antiautoritäre Bewegung) sind Teil des M31-Bündnisses. Ansonsten wird wirklich jede Solidaritätsaktion in Deutschland von den Menschen in Griechenland genau registriert und gibt den Menschen dort Mut und Kraft. Solidarität ist kein leerer Begriff, sondern gerade in Krisensituationen, wenn Mensch mit dem Rücken zur Wand steht, verleiht praktische Solidarität sprichwörtlich Flügel.

LZ: Was könnte die Zusammenarbeit zwischen dem griechischen Widerstand und uns in Deutschland fördern?

RD: Das Leute aktiv werden, sich einmischen, nach Griechenland fahren und außer Urlaub zu machen auch noch direkten Kontakt zu den Menschen dort aufnehmen. Am 17. Juni z.B. sind Neuwahlen in Griechenland. Sollte es dazu kommen, dass Syriza (Allianz der radikalen Linken) tatsächlich die Wahlen gewinnt und danach zu den gemachten Aussagen im Wahlkampf steht (Schuldenmoratorium, Rücknahme der Lohn- und Rentenkürzungen, Neuverhandlung des Memorandums mit der Troika), dann werden die EU-Eliten alles daransetzen die ungehorsamen GriechInnen mit den geringstmöglichen Kosten aus der Eurozone zu verbannen. Die scheinen das inzwischen für beherrschbar zu halten, ohne den folgenden Zusammenbruch der gesamten Eurozone. Solidaritätsdemonstrationen in deutschen Städten, z.B. unter dem Motto "Nicht in unserem Namen" wären das Mindeste was dann zu tun wäre. Mit einigen Leuten innerhalb der FAU (Freie ArbeiterInnen Union) probieren wir momentan einen Direktimport von Olivenöl mit GenossInnen in Griechenland aufzubauen. Sollte Veolia in Thessaloniki seinem Ziel näher kommen, die Wasserwerke zu übernehmen, könnten wir zu Aktionen gegen Veolia in 130 deutschen Städten aufrufen. In Frankfurt ist Veolia z.B. in der Altglasentsorgung aktiv und beutet Leiharbeiter und 1-Euro-Jobber aus. Der Phantasie zu Solidaritätsaktionen mit den Kämpfen in Griechenland sollten wirklich keine Grenzen gesetzt sein. 

LZ: Ralf, wir danken dir für das Gespräch.



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