Informationsdienst Wissenschaft (idw) - Pressemitteilung
Hochschule Magdeburg-Stendal (FH), 19.12.2001Die Aussperrung der ArmenEine Untersuchung der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH) zum Umgang mit
Armen und Randgruppen in Deutschlands Städten
"Alles, was wir erreichen können, ist nichts anderes, als das Elend auf
Trab zu halten und im Kreise herumzuführen." (ein für die öffentliche
Ordnung einer Großstadt verantwortlicher Polizist)Trotz rückläufiger Fallzahlen im Bereich der Straßenkriminalität wird
seit längerem das Thema "Sicherheit im öffentlichen Raum" diskutiert.
Eine von der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH) im Auftrag der
Katholischen Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (KAGW) durchgeführte
Untersuchung zeigt laut Prof. Dr. Titus Simon, dem Verfasser der Studie,
"dass die aus dem Gefahrenabwehr- bzw. Straßenrecht resultierenden
Instrumente vor allem gegen deklassierte und verarmte
Bevölkerungsgruppen in Anwendung gebracht werden". Repressives ÜbermaßTitus Simon, Professor am Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen,
bezeichnet einige der in der Befragung geschilderten Vorgänge sogar als
"repressives Übermaß". Bei den Bemühungen um eine "saubere Stadt" komme
es keineswegs nur zu problematischen rechtlichen Konstrukten. In einer
Vielzahl von Einzelfällen gebe es willkürliche Maßnahmen, die nur schwer
mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in Einklang zu bringen sind.
Einige Beispiele aus der Studie:
* In Ulm und in anderen Städten wurden Wohnungslose von der Polizei
aufgegriffen und mit Polizeifahrzeugen über den Stadtrand gebracht und
"nach den Ortsschildern" ausgesetzt.
* In Düsseldorf verglich eine Stadtmarketing-Firma, die unter dem Namen
"Pro Düsseldorf" ein Konzept für die Aufwertung der Innenstadt
entwickeln
sollte, im Rahmen der ersten Präsentation ihres Vorhabens Taubenkot und
Graffiti mit "Berbern und Pennern".
* Stuttgarter Polizisten verstießen 1999 gegen den § 221 StGB, indem sieeinen volltrunkenen Wohnungslosen in der Stuttgarter Innenstadt
aufgriffen
und in der Nähe der Autobahnraststätte "Sindelfinger Wald" an der viel
befahrenen Autobahn Stuttgart-Singen aussetzten. Der Mann wurde später
in hilflosem Zustand auf dem Standstreifen der gefährlichen Strecke
aufgegriffen.
* Speziell in touristisch attraktiven Städten und Gemeinden werden in
die Standardpolizeiverordnungen zusätzliche Sonderbestimmungen
aufgenommen,
die - um zahlungskräftigen Gästen einen möglichst ungestörten Genuss zu
ermöglichen - Personengruppen in diskriminierender Weise ausgrenzen. Sobeinhalten die Verordnungen mehrerer Bodenseegemeinden folgende
Bestimmung: "Der Aufenthalt am Seebereich nicht gestattet
(ist)...Personen
mit abstoßenden Krankheiten." Einfluss der SozialarbeitRund ein Fünftel der Projekte gab an, dass auf eine für ihr Klientel
günstigere Ausgestaltung entsprechender Satzungen und Verordnungen
Einfluss genommen werden konnte. Simon bezeichnet angesichts gängiger
inhaltlicher Ausführungen den Zustand nur als "Vermeidung von
Verschlimmerung". Dies sei für Sozialarbeit nicht unüblich. Zu
problematisieren sei allerdings die hohe Zahl derer, die sich zu keiner
Antwort entschließen konnten. Der Magdeburger Professor schlussfolgert an Hand der empirischen
Befunde: "Der Sicherheitsdiskurs hat ungeachtet der Tatsache, dass keine
kriminologischen Befunde die These von der erhöhten Gefahr für die
öffentliche Sicherheit und für die Sicherheit des einzelnen Bürger
belegen, zu einer Einschränkung von Grundrechten (insbesondere der
Artikel 2 Abs. 1 und des Artikels 11 GG) geführt. Die Zugänglichkeit
attraktiver kommunaler Zonen wird für missliebige Personenkreise
eingeschränkt. Von den alten Armenordnungen bis zu "Zero Tolerance"
besteht eine nahezu bruchlose Kontinuität des repressiven Umgangs mit
Gruppen, die die vormals feudalistische und heute bürgerliche Ordnung
des öffentlichen Raums zu stören drohen. Die Geschichte hat gezeigt,
dass die erzielten Effekte eher mäßig sind." Für die Untersuchung waren insgesamt 616 Einrichtungen der
Wohnungslosenhilfe mit Hilfe eines knappen Fragebogens befragt worden.
Die Angaben von insgesamt 288 Einrichtungen waren auswertbar.
Eine Kurzfassung der Studie kann über die Pressestelle der Hochschule
Magdeburg-Stendal (FH) bezogen werden. Die Langfassung erschien im
Herbst 2001 unter dem Titel "Wem gehört der öffentliche Raum? Zum Umgang
mit Armen und Randgruppen in Deutschlands Städten" im Verlag Leske +
Budrich, ISBN 3-8100-3279-4.Rückfragen bitte an:
Prof. Dr. Titus Simon
Tel.: (0391) 886 42 76
Hochschule Magdeburg-Stendal (FH)
Pressestelle
Norbert Doktor
Tel: (0391) 886 4144
Fax: (0391) 886 4145----
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