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Rechtsfreier Raum Polizei?
Wie Standardfloskeln ad absurdum geführt werden
Vorratsdaten, wir brauchen ... ähm, nichts ...
Als es in Norwegen zu einem Attentat kam, war die reflexartige Reaktion der Politik in Deutschland die, dass erneut nicht nur die Vorratsdatenspeicherung, sondern auch eine neue "Auffälligen"-Datei gefordert wurde. Zwar sei, so hieß es, der Attentäter ein Einzeltäter, doch die Tat sei im "Internet geboren" worden. Dieses Vorgehen ist typisch für den Umgang mit Kriminalität seitens der (zumeist konservativen) Politik. Jeder Einzelfall wird zum Anlass dafür genommen, weitere Befugnisse für die Strafverfolgung sowie eine umfassendere Datensammlung zu fordern und dies als Prävention auszugeben. "Wir müssen alles tun, um mitzubekommen, wenn jemand mit solchen kruden Gedanken auffällt" stellte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, fest. Der Einzelfall wird hier sofort zur Begründung für allumfassende Änderungen, die große Personengruppen beträfen.
Wird dagegen ein Fall von Polizeigewalt bekannt (Polizeigewalt = Gewalt durch Polizisten, nicht Gewalt gegen Polizisten), so wird eben diese Argumentation nicht angewandt, vielmehr wird vor Pauschalverurteilungen gewarnt und auf Einzelfälle verwiesen. Dabei sind derlei Vorfälle nicht nur sporadisch auftauchende, exotische Meldungen, sondern häufen sich in den letzten Jahren. Würde man die Argumentation der (Schein)sicherhetisapologeten konsequent anwenden, so müsste schon der erste Fall von Polizeigewalt zu Rufen nach mehr interner Kontrolle, konsequenter Überwachung von Polizeieinsätzen sowie der Speicherung der entsprechenden Daten auf Vorrat führen.
Nichts zu verbergen
"Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten" lautet die oft genug wiederholte Standardargumentation, wann immer es gilt, Kritiker von Überwachung und Datensammlung ins Abseits zu rücken. Diese bereits hinreichend analysierte Phrase spielt jedoch bei der Auseinandersetzung um Polizeigewalt sowie deren Aufklärung keine Rolle. Gerade auch, wenn es um die Identifikationsmöglichkeiten geht (siehe Teil 1: Eisbein, kalte Füße und faule Äpfel), wird, völlig konträr zu den sonstigen Argumentationslinien, die Privatsphäre und die Gefahr, die mit dem Verlust der informationellen Selbstbestimmung einhergeht, hochgehalten.
Gerade auch jene Gefahren, die ansonsten als paranoid abgehandelt werden, die Verfolgung von unliebsamen Mitbürgern durch diejenigen, die zu viel Einblick in Daten haben, werden nun in einer 180-Grad-Kehrtwende dafür genutzt, jegliche Identifikationsmöglichkeit abzulehnen. Eher realitätsfern wird davon gesprochen, dass durch gezielte Videoüberwachung, die Verpflichtung zur Angabe der Dienstnummer und Zeugenaussagen schon genug Instrumente zur Verfügung stehen, um Polizisten nicht nur zu identifizieren, sondern auch Fehlverhalten zu sanktionieren.
Es darf keine rechtsfreien Räume geben
Eine Floskel, die gerne beim Thema Internet (jedoch nicht nur dort) verwandt wird. Auch hier, ähnlich wie bei "Nichts zu verbergen" wird eine Sphäre, die nicht einer ständigen Kontrolle unterliegt, die beobachtet und analysiert werden kann, als Bedrohung angesehen. Wer solche Sphären verteidigt, der sieht sich sofort mit dem "etwas zu verbergen = Angst vor der Enttarnung/Entlarvung/Entdeckung kriminellen Verhaltens"-Killerargument konfrontiert. Anders bei Polizei und Strafverfolgung, wo diese überwachungsfreien Räume plötzlich nur dem Schutz der Betroffenen und der Datenschutz der verdienten Verhinderung von Verfolgung oder Einschüchterung dienen.
Read more at www.heise.deEs sind diese rhetorischen Karussellfahrten der "Nichts zu verbergen"-Fraktion, die nicht nur die Argumentationen als Staffage entlarven, sondern auch zeigen, wie wenig Interesse daran besteht, das Thema Polizeigewalt tatsächlich als Problem zu erkennen und sogar zu lösen.
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