Donnerstag, 6. Oktober 2011

#Piraten #ohne #Peilung - Die selbsternannte »sozialliberale Grundrechtspartei« setzt auf »neuen Politikstil«. [via JW]


Piraten ohne Peilung

Die selbsternannte »sozialliberale Grundrechtspartei« setzt auf »neuen Politikstil«.

Keine Aussagen zur Wirtschafts- und Außenpolitik

Von Rainer Balcerowiak
[via Junge Welt]

 

Über mangelndes Medieninteresse braucht sich die Piratenpartei derzeit nicht zu beklagen. Seit ihrem unerwarteten Wahlerfolg vom 18. September, als sie mit 8,9 Prozent der Zweitstimmen ins Berliner Abgeordnetenhaus einzog, können ihre Spitzenvertreter kaum noch einen Schritt ohne massive Pressebegleitung gehen.

Auch die Bundespressekonferenz in Berlin war am Mittwoch überdurchschnittlich gut gefüllt, als der Bundesvorsitzende der Partei, Sebastian Nerz, Bundesgeschäftsführerin Marina Weisband und der Berliner Fraktionsvorsitzender, Andreas Baum den teilweise noch immer ratlosen Journalisten Rede und Antwort zu den Zielen der 2006 gegründeten Partei stehen sollten. Laut aktuellen Umfragen liegt die Partei in der Wählergunst bundesweit derzeit bei sieben Prozent.

Dreh- und Angelpunkt der Piraten ist Netzpolitik, »globalisierte Kommunikation«, wie es Nerz nannte. Unzensierter Zugang zum Internet sei ein fundamentales Grundrecht, daß es zu verteidigen gelte. Die Partei stehe für mehr direkte Demokratie, Transparenz und kämpfe gegen Lobbyismus und Korruption. Im »traditionellen Links-Rechts-Schema« wolle man sich nicht einordnen. Dieses, so Nerz, sei »überholt«.

Vielmehr verstehe man sich als »sozialliberale Grundrechtspartei«. Weisband benannte in diesem Zusammenhang die Bildungspolitik als Schwerpunkt. Denn nur umfassend gebildete Menschen seien »frei«, könnten die Möglichkeiten der globalen Kommunikation und der politischen Partizipation nutzen.

Doch abgesehen von Netz- und Grundrechtsfragen läuft man bei den Piraten gegen eine Gummiwand. Weisband sieht den Verzicht auf eine weitreichende Programmatik sogar als positives Merkmal der Organisation. Man habe keinen allumfassenden Vertretungsanspruch, sondern verstehe sich eher als »Betriebssystem« für umfassende Kommunikation.

Alle, auch Nichtmitglieder, seien eingeladen, Anträge in das Kommunikationssystem der Piraten einzuspeisen. Deren Herzstück ist eine »liquid feedback« genannte Internetplattform, die Zugriff auf alle Diskussionsprozesse der Partei ermöglicht. Diese Form der Demokratie bringe zwar »Effizienzverluste« mit sich, aber die nehme man gerne in Kauf, so Weisband.

Mehr über die Ziele der Piraten war an diesem Tag aber kaum herauszubekommen. Selbst in Kernbereichen wie Daten- und Urheberschutz hat man kein Programm, sondern will zunächst »runde Tische« einrichten. Natürlich wolle man Menschen vor dem Mißbrauch ihrer Daten im Internet schützen, betonte Nerz. Hauptproblem sei aber, daß viele Nutzer beispielsweise von sogenannten sozialen Netzwerken Geschäftsbedingungen freiwillig akzeptiert hätten. Aufschlußreich waren einige Randbemerkungen der Piratencrew. Transparenz müsse da enden, wo die Privatsphäre der Bürger beginne, forderte Weisband.

Deswegen sei man auch für die Aufrechterhaltung des Steuergeheimnisses, denn »Steuern zahlen ist schließlich Privatsache«. Auch Betriebsgeheimnisse müßten weiter geschützt bleiben, wenn es sich »um rein innerwirtschaftliche Vorgänge« handele und der Staat nicht involviert sei.

Fragen an die Piraten zu zentralen Themen wie Euro-Schuldenkrise oder deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan kann man sich dagegen getrost sparen. Zum einen befinde man sich da noch in einem Diskussionsprozeß, und zum anderen gebe es »überhaupt keinen Grund für eine Partei, zu allen Themen etwas zu sagen«, so Nerz. Möglicherweise werde es aber zu den nächsten Bundestagswahlen ein umfangreicheres Programm geben.

Den Verzicht auf griffige Forderungen und Positionen sieht auch der Berliner Fraktionsvorsitzende Baum als Grundlage des Erfolgs seiner Partei. Man habe dem öden Wahlkampf der etablierten Parteien einfach einen völlig neuen Politikstil entgegengesetzt und werde sich jetzt natürlich auch intensiv in die einzelnen Sachgebiete der Stadtpolitik einarbeiten. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis deutlich wird, wofür diese selbsternannte »sozialliberale Grundrechtspartei« letztendlich steht.



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