Armut verfestigt sich
Im Auftrag der Bundesregierung erstellter neuer Sozialbericht:
Umfassendes Datenmaterial zur sozialen Spaltung in Deutschland
Von Rainer Balcerowiak
[via Junge Welt]
Die zunehmende soziale Spaltung steht im Mittelpunkt des »Datenreports 2011«, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Dieser Sozialbericht wird alle zwei Jahre vom Statistischen Bundesamt (Destatis) und sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitutionen im Auftrag der Bundesregierung erstellt. Ziel sei dabei, möglichst viele Bereiche, »die für die Lebensqualität bedeutend sind, in den Fokus der Statistik zu rücken«, so Destatis-Präsident Roderich Egeler auf der Pressekonferenz. Dazu gehörten vor allem die Verteilung des materiellen Wohlstands und der Erwerbsarbeit, persönliche und wirtschaftliche Sicher- bzw. Unsicherheit, Bildung und die Rückwirkung dieser Faktoren auf Gesundheit, Wohn-, Lebens- und Freizeitqualität, politische Partizipation und soziale Beziehungen.Die Autoren des Reports konstatieren, daß die Armutsgefährdung in Deutschland derzeit auf hohem Niveau stagniert. Statistisch zu den Betroffenen zählt, wer als Einzelperson über weniger als 926 Euro pro Monat verfügt. Für Mehrpersonenhaushalte sind die Werte entsprechend höher. Unter dieser Schwelle liegen demnach die Einkommen knapp 16 Prozent der Bevölkerung. Diese Menschen seien oftmals mit erheblichen Einschränkungen im Alltag konfrontiert, so Egeler. Ursächlich dafür seien unter anderem der überproportionale Anteil der Wohnkosten am Haushaltsbudget. Fast ein Fünftel der Armutsgefährdeten gab an, die eigene Wohnung aus Kostengründen nicht durchgehend angemessen warmhalten zu können. Fast jeder Dritte in dieser Gruppe ist demnach finanziell nicht in der Lage, mindestens an jedem zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit einzunehmen.Roland Habich vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hob hervor, daß das Risiko des Verbleibs in Armut in den vergangenen 30 Jahren gestiegen ist. Betrachte man die unteren 20 Prozent der Einkommenspyramide, dann habe sich die Wahrscheinlichkeit, längerfristig in diesem Fünftel zu verbleiben, von 57 auf 65 Prozent erhöht. Außerdem habe sich bei der Erhebung gezeigt, daß 87 Prozent der Personen, die 2009 als arm oder armutsgefährdet galten, bereits in den davor liegenden fünf Jahren zumindest zeitweilig mit diesem materiellen Status leben mußten, 30 Prozent sogar dauerhaft. Es sei, so Habich, vielleicht etwas übertrieben, den Slogan »einmal arm immer arm« zu formulieren. Aber »einmal arm-meistens arm« treffe die Situation ziemlich genau.Signifikant ist für den Sozialwissenschaftler auch der Zusammenhang zwischen Bildung, Gesundheit und Armut. Männer im Alter von über 45 Jahren mit Abitur oder Fachhochschulreife hätten nicht nur ein deutlich geringeres Armutsrisiko als diejenigen mit Haupt- oder gar keinem Schulabschluß, sondern auch eine um 5,3 Jahre längere Lebenserwartung.Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, sieht den Report auch als Auftrag an die Politik, die Bildungsressourcen der hier lebenden Menschen endlich umfassend und konsequent zu nutzen. Der Sozialbericht bestätige, was bereits die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) des öfteren kritisiert habe: In keinem anderen entwickelten Land seien die Bildungschancen der Kinder so abhängig vom Ausbildungsstand ihrer Eltern wie in Deutschland. Krüger begrüßte ausdrücklich die Vorhaben einiger Bundesländer, die Hauptschule abzuschaffen und durch integrative Schulformen abzulösen. Doch das reiche längst nicht aus, um erschreckenden Entwicklungen bei vielen Familien mit Migrationshintergrund zu begegnen, so Krüger.In dieser Gruppe hätten 2009 insgesamt 19 Prozent über keinerlei Schulabschluß und sogar 53 Prozent über keine anerkannte Berufsausbildung verfügt. Die auch noch indiskutablen Werte für die deutschstämmige Bevölkerung liegen bei zwei bzw. 25 Prozent.
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