Freitag, 19. Februar 2010

Katastrophe im Feuchtgebiet; Die Welt; 28.02.2009

 

Katastrophe im Feuchtgebiet
Von Martin Lüdke 28. Februar 2009, 02:52 Uhr

Bodo Kirchhoff erinnert sich schlüpfrig an seine verlorene Männlichkeit

Das Ungemach sitzt tief. Ein Korkenzieher hat den "Porsche" beschädigt. Daniel Deserno heißt der nachhaltig lädierte Held; Ende dreißig, ein potentes Kerlchen, bis ihm, nach einem Streit unter dem Weihnachtsbaum, seine Freundin in (ohn)mächtiger Wut seinen bereits auf Touren gebrachten, also fahrbereiten "Porsche" (womöglich irreparabel) ruiniert hat. Jetzt hockt der arme Mann mitsamt einer in Mull gepackten Misere im Rollstuhl. Mit dem Verlust seiner Männlichkeit, so als ginge das automatisch, schwand Daniel Deserno zugleich die Kraft in den Beinen.

In Kirchhoffs neuem Buch findet sich, anders als in den meisten seiner früheren Romane, nur wenig Autobiografisches, im Gegenteil, diese "Erinnerungen" sind mal wieder ein echter Schundroman geworden, sein zweiter schon. Damit ist klar, dass neben dem Triebwerk, das unserer Fortpflanzung dient, auch deren finanzielle Seite ins Spiel kommt.

Deserno war Investmentbanker und hat in diesem Gewerbe viel Geld gemacht. Bekanntlich kommen Geld und Sex gleichsam aus derselben Garage, weshalb diese Banker oft geradezu zärtlich von ihrem "Porsche" sprechen.

Der verkaufstüchtige Held hat lange Zeit nicht nur glänzende Geschäfte abgeschlossen, sondern auch jede offene Garage für seinen "Porsche" angefahren. Kirchhoff lässt den armen Mann, der jetzt nicht mehr kann, in ebenso saftigen Erinnerungen wie deftigen Fantasien schwelgen. Während der "Dannyboy" im Schwarzwald mit dem Rollstuhl durch die Reha geschoben wird, spitzt sich in Frankfurt, der Heimat des Helden, die internationale Finanzkrise zu. Der ideale Stoff für einen Schundroman. Und auch ein Erfolgsrezept?

Der "Schundroman" erlaubt es dem Autor, knallharte Kolportage, die abstrusesten erotischen Vorstellungen, deftigen Sex und eine hanebüchene Handlungsfolge mit stilistischem Anspruch zu einem - ernsthaft - literarischen Kunstwerk ganz eigener Art zu vermixen. Da werden zwar alle Klischees bedient, da wird gelebt und gestorben, geliebt und gevögelt, bis sich die Balken biegen. Doch die Konstruktion, präzise ausgetüftelt, hält. Jedes Detail ist streng und kompromisslos einem Formprinzip unterworfen, das sich allein an den Gesetzen dieses Genres orientiert. Solides Handwerk und eine überschäumende Fantasie werden äußerst stilvoll präsentiert.

Kirchhoff produziert perfekten Schund. Nicht nur zarte Anspielungen führen mitten hinein in die "Feuchtgebiete" des Schmuddelmädchens Charlotte Roche. Eines Tages erscheint im Waldhaus, der mondänsten Reha-Klinik unserer Republik, eine gewisse Helene, eine sehr junge Frau, die sich tatsächlich als Verfasserin der erfolgreichsten Hämorrhoiden-Hymne aller Zeiten erweisen wird. Sie macht ihrem Ruf alle Ehre: Schon beim ersten Abendessen, das sie noch allein an einem kleinen Tisch einnahm, streichelte sie sich - "ich konnte es genau erkennen - unter dem Tisch zwischen den Beinen".

Offenbar versteht sich Bodo Kirchhoffs Schundroman auch als ein ironischer Kommentar zu den Schandtaten von Frau Roche. Auch Kirchhoffs Held schlägt sich schließlich mit den Hemmnissen herum, die in der Folge von gewaltsamen Eingriffen auftreten. Die Flurschäden in solchen dicht bewaldeten Gegenden sind, wie jetzt eine ganze Nation weiß, nicht zu unterschätzen. Die kleinen Schnitte, die Charlotte Roche ihrem Afterkranz zugefügt hat, bleiben allerdings eine Bagatelle gegen den Super-Crash, dem der "Porsche" zum Opfer fiel.

Hier wird nun ein weiterer Vorzug eines echten Schundromans sichtbar. Der Autor kann, ohne falsche Rücksichten, richtig in die Vollen greifen. Kirchhoff lässt es deshalb auch an nichts fehlen. Das mächtig mondäne Waldhaus bietet jeden Luxus. Allein die aufgeführten Menu-Folgen des etwas steif-formellen Abendessens lassen auch dem Leser das Wasser im Mund zusammenlaufen. Und wenn Daniel dann anfängt, in den Erinnerungen an seinen früher gern hochtourig gefahrenen "Porsche" zu schwelgen, spürt auch ein puritanischer Polo-Fahrer mit welcher wahren Lust an der Erotik hier der Motor angeworfen wird.

Der Mann, da herrscht kein Zweifel, ist ein Macho. Dafür büßt er ja jetzt auch. Der Mann war aber vor der Untat ein Banker - und es ist nicht ohne Witz zu sehen, wie die stinkreichen Mitpatienten, aber auch das Personal, versuchen, aus dem Insider-Wissen, das sie bei Daniel vermuten, für sich Kapital zu schlagen.

Das gilt nun auch für die Leser des Schundromans. Denn das Geld für das Buch ist gut angelegt. Neben aller Lust, die der Autor produziert, enthält das Buch hilfreiche Hinweise für künftige Geldanlagen und eine Anleitung zum Schreiben eines Romans. Zehn Regeln, die der erfolgreiche Schriftsteller zu beachten hat. Hier scheint der autobiografischen Kern des Vorhabens durch. Sicher wollte der Autor mal wieder, ohne Scheu, die Wutz rauslassen. Aber er wollte auch mehr. Wer Kirchhoff ein bisschen kennt, weiß, wie bedingungslos er sich einem einmal gewählten Stoff ausliefert. Hat er Feuer gefangen, dann brennt er regelrecht. Wenn Erotik ins Spiel kommt, fängt er leicht Feuer. Deshalb bedurfte es offenbar des Auslösers - der Charlotte Roche. Mit wahrer Lust und seinem heftig aufflammenden Feuer hat Kirchhoff die sprachlich ausgedörrten "Feuchtgebiete" endgültig trocken gelegt und stattdessen dem Eros ein wahrhaft weites Feld eröffnet. Bodo Kirchhoff, der große Narziss unserer Literatur, zählt zu den größten Erotomanen der Gegenwart. Dadurch, dass sein Schundroman sich an den Grenzen des Genres hält, übersteigt er sie. Das Buch verkündet eindrucksvoll die aktuelle Botschaft, dass unserer Fantasie, gleich im welchem Bereich, der Erotik oder der Ökonomie, keine Grenzen gesetzt sind

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