Freitag, 1. Februar 2013

Es ist erschreckend, wie einseitig das Problem der so genannten Aufmerksamkeitsstörung bei Kindern behandelt wird [via NDS]


Hyperaktive Kinder und technokratische Medizin – Diagnosenexpansion

[via Nachdenkseiten]
 
 
http://www.nachdenkseiten.de/?p=3330
 


Die Verschreibung von Ritalin an Jungen, bei denen das Syndrom der "Allgemeinen Aufmerksamkeitsstörung" und der Hyperaktivität ermittelt wurde, hat dramatisch zugenommen. Waren es 1993 in der Bundesrepublik noch insgesamt 34 Kilogramm, die man verabreichte, so stieg die Zahl im Jahr 2006 auf 1221 Kilogramm (Rolf Haubl und Katharina Liebsch: "Mit Ritalin leben. Zu Bedeutung der ADHS-Medikation für die betroffenen Kinder", in: Psyche Heft 7, Jg. 62, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2008).

Laut FAZ nennen die Autoren nennen Haubl und Katharina Liebsch ein von Ärzten wie von Patienten und Angehörigen geteiltes "objektivistisches Vorurteil" als Gründe für den Anstieg. Verdrängt werde die Frage nach Nebenwirkungen, wie sie etwa in Studien zur Häufung von Chromosomenschäden nach Ritalin-Einnahme aufgeworfen werde – ein Befund, dem andere Studien allerdings inzwischen widersprochen haben.
Quelle: FAZ (leider nur gegen Gebühr)

Anmerkung Georg Lind: Es ist erschreckend, wie einseitig das Problem der so genannten Aufmerksamkeitsstörung bei Kindern behandelt wird:

  • Ursache und Störquelle ist IMMER nur das Kind; Schule, Lehrer, Mitschüler, Eltern kommen nie in Verdacht, etwas damit zu tun zu haben
  • Im Kind sind es IMMER genetische Ursachen; Umwelteinflüsse, Entwicklungsprobleme (Myelinisierung, Lernprobleme, individuelle Interessen und Lebensentwürfe etc.) kommen nie in Verdacht
  • Eine Behandlung ist IMMER nur durch alleinigen oder kombinierte Einsatz von Medikamenten (bekanntestes: Ritalin) möglich, obwohl die Begründung "genetisch bedingt, also Medikament" keiner Überprüfung standhält.

Was mich immer wieder wundert: Bei meinen häufigen, jahrelangen Beobachtungen von Schülern in gut gemachtem Unterricht habe ich noch nie auch nur Anzeichnen von Aufmerksamkeitsstörung entdecken können. Auch in meinen Seminaren kommt das so gut wie nie vor (in meinen Vorlesungen schon eher). Klar: Schüler und Studenten hängen auch mal ihren eigenen Gedanken nach, wenn etwas für sie Wichtiges anliegt. Auch kommt es in gutem Unterricht vor, dass Kinder angestrengt über das nachdenken, was sie in der Schule gerade erlebt oder gelernt haben, und alles andere um sich herum vergessen und nicht mehr ansprechbar sind.

Ist es das, was manchen Lehrer stört, das DENKEN? Wollen diese Lehrer immer nur, dass die Kinder zuhörer, aber nie, dass sie das Gehörte auch verarbeiten, also verstehen und anwenden lernen? Geht man also mit Ritalin letzen Endes gegen das Denken vor?

Ich will nicht ausschließen, dass Umweltgifte und Lebenshetze der Modernen in Kindern Störungen verursacht, die in meiner Erfahrungswelt (noch) nicht so häufig vorkommen, dass ich sie bemerken konnte. Aber ich bestehe darauf, dass das Problem "Aufmerksamkeitsstörungen" ohne Scheuklappen und Tunnelblick angegangen wird. Es wird dann vermutlich erkennbar, dass wir an der Verbesserung des Unterrichts und indirekt an der Verbesserung der Lehrerbildung ansetzen müssen. Wenn Lehrer wüssten, wie Lernen wirklich funktioniert, würde, so meine Überzeugung, bald kein Geld mehr mit Ritalin zu verdienen sein.


Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

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