Mittwoch, 5. Dezember 2012

--->>> Arbeitslosigkeit, Bürgerarbeit und Menschenrechte im Burgenlandkreis [via scharf-links.de] lesenswert!!!


Es ist soweit!

 

von Detlef Belau - Naumburg/Saale
 
[via scharf-links.de]
 
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Arbeitslosigkeit, Bürgerarbeit und Menschenrechte im Burgenlandkreis

"So grinst uns höhnend die kapitalistische Wirtschaftsordnung an. Sinnlos. Auf der einen Seite Brachliegen von Millionen von Arbeitshänden, Leerlauf der Betriebe, auf der anderen Seite Fehlen des Allernotwendigsten für breite Volksschichten" [1], rief Alt-Sozialdemokrat Otto Grunert den Teilnehmern zum Fest der Arbeit Ende Juli 1930 in seiner Heimatstadt Naumburg (Saale) zu. Es war zur Zeit der Weltwirtschaftskrise: die Suppenküchen hatten Konjunktur, die Armen mussten mit Sonderrationen an Kohlen und Kartoffeln von der Stadt unterstützt werden, Kleinunternehmen gingen bankrott, die Händler und Gewerbetreibenden konnten nicht mehr die Miete für ihre Läden aufbringen.

Armenspeisung, Existenzunsicherheit, Secondhandkaufhäuser und Möbelbörsen sind in die Stadt zurückgekehrt. Für die Verwaltung des Elends ist seit 1. Januar 2012 eigenständig das Jobcenter Burgenlandkreis mit vier Geschäftsstellen und 410 Mitabeitern zuständig. Anfang Herbst meldeten private und öffentliche "Arbeitgeber" 257 freie Stellen [9]. Im Oktober registrierte die Behörde für "menschenunwürdiges Drangsalieren" (Werner) 11 856 Arbeitslose, davon 9 191 Langzeitarbeitslose (SGB II), sowie 14 344 unterbeschäftigte Personen [8]. 6 000 Berufstätige aus dem Landkreis müssen aufstocken [11], erhalten praktisch einen Kombi-Lohn.

Was hier, wie bei den verschiedenen finanziellen Varianten der Bürgerarbeit praktiziert wird, ist nicht etwa modern - wie ständig behauptet. Es entspricht lediglich dem Beschluss der Friedensrichter im Gasthof "Pelikan Inn" in Speenhamland bei Newbury am 6. Mai 1795: Weil der Lohn der Arbeitenden - typisch für den Frühkapitalismus - oft nicht zum Leben ausreichte, beschlossen sie einen Aufschlag in Abhängigkeit vom Brotpreis [Vgl. 6].

Gegen Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung demonstriert seit über 8 Jahren der "Offene Runde Tisch Zeitz". Sie bekunden damit, was wir alle wissen: Hartz IV ist vom Standpunkt der Arbeit gescheitert, kontraproduktiv, es bewirkt vor allem, dass Arbeitslose aus finanziellen Gründen ihre Mobilität verlieren und schließlich ihre berufliche Qualifikation entwertet wird. Aus Hartz IV, Mini- und prekären Jobs sowie Bürgerarbeit folgt im Alter Armut: wer 45 Jahre lang arbeitet, 38,5 Stunden pro Woche mit einem Stundenlohn von 10 Euro erhält nur eine Rente von 684 Euro (Stand Mai 2012).

Vom Standpunkt des Kapitals ist Hartz IV außerordentlich erfolgreich. Ebenso profitierte die Stadtverwaltung Naumburg unter anderen mit fünfunddreißig Ein-Euro-Jobs (Juni 2005). Das so genannte ALG II drückt die Löhne für einen großen Sektor der bezahlten Arbeit unter das Existenzminimum. Für Herrn Berndt Lampe, Betriebsleiter des Jobcenters Burgenlandkreis, ist dies noch nicht genug, stellt "Der Runde Tisch Zeitz" am 2. August 2012 treffend fest. Sie beziehen sich auf die Mitteldeutschen Zeitung vom 27. Juni 2012, wo er suggeriert, die ALG-Leistungen seien zu hoch.

Mit der Bürgerarbeit tauchte ein neues arbeitsmarktpolitisches Instrument auf, das zunächst in den neuen Bundesländern positiv aufgenommen wurde, um perspektivisch mit den feinen Methoden knallharter Arbeitsmarktpolitik durchzusetzen [vgl. 3]. Nach Auffassung des Zentrums für Sozialforschung (Halle) soll sie keine Verbesserungen für die Geförderten bringen. Folglich bietet es keine finanziellen Leistungsanreize, wie der DGB analysiert [vgl. 2].

Ihre Einführung ist mit einem höheren Druck auf Arbeitslose verbunden und geht mit erheblichen Lohnsenkungen in vielen Segmenten einher. [Vgl. 2] "Bürgerarbeit" ist alter Wein in neuen Schläuchen, sie "verstärkt die bereits bestehende unterwürfige Haltung bei Erwerbslosen" [4], sie belässt den Menschen im unwürdigen Hartz IV. "Bürgerarbeit" beschränkt sich auf deutsche Staatsbürger, schließt Flüchtlinge und von Abschiebung Bedrohte aus und ist damit keine Integrationshilfe. Darin offenbart sich ihr politisch aggressiver und menschenverletzender Charakter [Vgl. 13].

"Trotz Bürgerarbeit reicht das Geld auch bei den Bürgerarbeitern im Allgemeinen nicht und sie müssen zusätzliche Leistungen durch Aufstockungsbeträge beantragen." [13] "Bei einer monatlichen Arbeitszeit von 130 Stunden wird "Bürgerarbeit" aktuell in Sachsen-Anhalt-Thüringen im Durchschnitt mit 710 € vergütet, dies entspricht einem Stundenlohn von 5,46 € brutto. Nach allgemeinem Verständnis ist dies auch für die neuen Bundesländer ein Niedriglohn." [2]

Die gegenwärtige Gesellschaftsmoral in Deutschland ist dadurch charakterisiert, dass sie die Erwerbslosigkeit als soziales Problem nicht lösen will! Man braucht nur die betreffenden Protokolle vom Kreistag des Burgenlandes lesen, um die Gleichgültigkeit und Abschätzigkeit gegenüber den Arbeitslosen zu spüren. Das war nicht immer so.

"Die Hauptsache muß als Hauptsache behandelt werden", stellt der Lehrmeister des Ordoliberalismus Walter Eucken 1952 im Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit fest: "Keine Wirtschaftspolitik ist in irgendeinem Staate auf die Dauer haltbar, die nicht länger andauernde Arbeitslosigkeit verhindert." [12]

Otto Grunert und die anderen Linken kämpften vor 1933 in der Stadt Naumburg gegen die Arbeitslosigkeit, sahen in ihr eine schreckliche Last und ein Menetekel. Heute sind die Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt, und die mit ihnen regieren oder dies noch vorhaben, fleißig am Werk, die Massenarbeitslosigkeit als soziales Problem nicht real, aber ideologisch zu marginalisieren und zu verleugnen. Die heutige herrschende politische Klasse und ihre Verwalter sind bereit, die Grundwerte für einen Teil der Bürger - Langzeitarbeitlose - außer Kraft zu setzen.

Eine gigantische Bürokratie steht zum menschenunwürdigen Drangsalieren zur Verfügung [Vgl. 5, 63]. In vom Markt geschützten Gehegen zögern sie nicht, Hartz IV, Ein-Euro-Jobs und Bürgerarbeit zu verordnen, sei es unter Missachtung des Menschenrechts auf Selbstbestimmung, den "Arbeitsplatz" "frei zu wählen" (Grundgesetz, Artikel 12, Absatz1) und des Verbots von Zwangsarbeit (Grundgesetz Artikel 12, Absatz 2 und 3). Kellertief und in grotesker Weise beschädigt Hartz IV das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Doch Menschenrechtsverletzungen gibt es nur China, nicht in den Golf-Diktaturen, nicht gegenüber den Schwachen und Arbeitslosen im Burgenlandkreis, glaubt man den Zeitungen der Mediengruppe M. DuMont Schauberg.

Die Rechte des Arbeitslosen auf Arbeit, freie Wahl des Wohnorts oder soziale Sicherheit, sind durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 gedeckt. Wen stört ihre Beleidigung, wenn die Betroffenen vor dem Schulschwänzerfernsehen verblöden, andere mit ihrem Garten verwachsen und - die es können - zur Selbsthilfe mit Schwarzarbeit greifen? So etwa kalkulieren die herrschende Klasse und ihre Verwalter. Aber nicht damit, dass Betroffene und couragierte Bürger ihnen die Achtung verweigern. Es ist soweit!

[1] Grunert, Otto: Willkommen zum Fest der Arbeit. Fest der Arbeit in Naumburg a. S..
Sonnabend, den 26. Juli bis Sonntag, den 3. August 1930. Dokument, Stadtarchiv Naumburg
[2] arbeitsmarktaktuell DGB, Bereich Arbeitsmarktpolitik, Nummer 3, März 2010
[3] Jobcenter. 46 Millionen Euro an Leistungen. 17.09.12, mz.web.de
www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1347702695897
[4] Brigitte Baki, arbeitsmarktpolitische Sprecherin des DGB Bezirks Hessen-Thüringen. In: "Bürgerarbeit" im Landkreis Marburg - Biedenkopf – eine erste Bilanz oder wird die "Bürgerarbeit" ein Rohrkrepierer? 22. Januar 2011.
www.scharf-links.de/41.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=14783&cHash=4a04aae9ae

[5] Werner, Götz W.: Einkommen für alle. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2007, Seite 63
[6] Polanyi, Karl: The Great Transformation. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1997, Seite 114
[7] Mit Bürgerarbeit für Zeitzer Region auf gutem Weg. Von Albrecht Günter, 11. April 2012, mz-web.de
www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1269291676992
[8] Bundagentur für Arbeit. Information für: Burgenland. http://statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Statistik/Statistik-nach-Regionen/Politische-Gebietsstruktur/Sachsen-Anhalt/Burgenlandkreis-Nav.html?year_month=201210
[9] Arbeitsmarkeport September 2012 [für den Burgenlandkreis] www.arbeitsagentur.de/nn_172838/Dienststellen/RD-SAT/Weissenfels/AA/A01-Allgemein-Info/Presse/2012-Weissenfels/011-Arbeitsmarkt-im-Septenber-2012.html
[10] Ortzkunde. Herausgegeben von "Offener Runder Tisch Zeitz", Jahrgang 4, Nummer, 8, Zeitz, am 2. August 2012
[11] Auszug - Information über die Tätigkeit der GESA mbH bei der Umsetzung beschäftigungsfördernder Maßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter Burgenlandkreis Gast: Herr Tappert, Geschäftsführer - 9.10.2012.
www.ratsinfo-online.de/blk-bi/to020.asp?TOLFDNR=7245&options=4

[12] Eucken, Walter: Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Francke AG. J. C. B. Mohr, Bern, Tübingen 1952, Seite 308
[13] Bericht und Analyse der Bürgerarbeit. Entwurf von Thesen gegen Kombilohn und die so genannte Bürgerarbeit von der Redaktion von NoJob FM einer Sendung des Radios Corax, einem Freien Radio unter Verwendung der Darlegungen von Dr. Kurt Bartaune und anderen Mitgliedern des Bezirkserwerbslosenausschusses der Region Sachsen-Anhalt Süd von ver.di

 


VON: DETLEF BELAU (NAUMBURG, SAALE)



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