Erscheinung des Herrn - Zu
Jes 60,1-6
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Wirklich trostlose Zustände waren das zum Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. im zerstörten Jerusalem: niedergerissene Mauern, ein geplünderter Tempel, das Königshaus ist vernichtend geschlagen, die Oberschicht verschleppt. Alle Hoffnungen sind zunichte. Die überraschende Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft ist zwar möglich geworden, aber die Umkehr der politischen, gesellschaftlichen und religiösen Verhältnisse bleibt aus. Die Menschen fragen sich voller Angst: »Ist Jahwes Arm vielleicht zu kurz, um zu helfen? Oder ist er schwerhörig, sodass er nicht hört?« (vgl.
Jes 59,1). Enttäuschung und Resignation machen sich breit. Es gibt nichts mehr zu hoffen.
Doch da gibt es einen, der trotzdem zu hoffen wagt: ein Schüler des Jesaja. Er nennt laut den Grund seiner Hoffnung: »Die Herrlichkeit des Herrn geht leuchtend auf über dir, Jerusalem!« (
Jes 60,1). Trotz der trostlosen Zustände in Jerusalem ist er davon überzeugt: Gott will das Heil der Menschen, und darum wird es auch wieder aufwärts gehen. Seine Begeisterung geht fast mit ihm durch, und so lässt er voller Zuversicht seiner Phantasie freien Lauf. Die unerschütterliche Überzeugung, dass Gott das Heil herbeiführt, lässt in ihm die schönsten Bilder und Visionen wach werden. Das ist kein frommes Übertünchen der Probleme und Schwierigkeiten, kein Weglaufen in der Enttäuschung über das Hier und Jetzt, sondern hier zeigt sich ein tiefgläubiger Mensch, der gegen alle Hoffnungslosigkeit aufsteht und ruft: »Auf, Zion, werde Licht, denn es kommt dein Licht!« (Jes 60,1). Hier wird nicht die Gegenwart vertuscht, sondern in der Kraft der Hoffnung wird die jetzt aufgetragene Gegenwart bewältigt. Und das ist ja eine alte Weisheit, die uns auch heute erahnen lässt: Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Den damaligen Bewohnern von Jerusalem wird zugerufen: »Es kommt dein Licht!« Und daraufhin sind sie in neuer Hoffnung ihren Weg durch die Zeit gegangen. Heute glauben wir Christen, dass dieses von Gott versprochene Licht ein für allemal und in einzigartiger Weise in Jesus Christus aufgegangen ist. Darum nennen wir ihn »das Licht der Welt« (
Joh 1,9), und wir sagen, in ihm »ist allen Menschen die Gnade Gottes als Heil erschienen« (Tit 2,1). Darum feiern wir den heutigen Festtag »Erscheinung des Herrn«.
Die Propheten machen also keine Voraussagen, sie geben keine Prognosen ab, sie legen keine Entwicklungspläne vor, sondern sie machen Hoffnung. Sie glauben fest an Gottes Ja zur Welt, und sie brechen auf in Richtung auf eine hellere Zukunft. Sie hoffen - und wir mit ihnen - auf die Erscheinung des Herrn in unserer Zeit. Das haben wir Christen mit den Propheten gemeinsam: Wir rechnen mit dem erscheinenden Heil zu jeder Zeit. Das Jahr 2006 ist da keine Ausnahme.
Siegfried Modenbach
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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