Kriminelle Billigheimer
Razzia bei Netto und Kaufland.
Über 60 Durchsuchungsbefehle.
Zoll vermutet Lohn- und Sozialversicherungsbetrug.
Klima der Angst in Betrieben
Von Mirko Knoche
[via Junge Welt]
Die Lohndrücker haben Ärger mit dem Fiskus. Rund 450 Zollbeamte durchsuchten am Montag sechs Logistikzentren der Einzelhandelsketten Netto-Marken-Discount und Kaufland sowie Dutzende Wohn- und Geschäftsräume von Leiharbeitsunternehmern. Die sollen Tariflöhne unterlaufen und Sozialversicherungsbeiträge unterschlagen haben. Gewerkschaftssekretär Reinhold Schiller aus Regensburg erklärte am gestrigen Dienstag im Gespräch mit jW, daß Netto an seinem Stammsitz im oberpfälzischen Maxhütte-Haidhof schon seit Jahren gegen das Tarifrecht verstoßen habe. Eine Sprecherin des Hauptzollamts Schweinfurt sagte auf jW-Nachfrage, das ganze Ausmaß der mutmaßlichen Veruntreuung könne erst jetzt ermittelt werden.Die Zöllner seien am Montag mit Mannschaftswagen vor der Netto-Zentrale angerückt und hätten die Geschäftsräume durchstöbert, berichtete ver.di-Mann Schiller unter Berufung auf Beschäftigte. Die Beamten befragten Staplerfahrer und Kommissionierer danach, welche Anweisungen sie während der Arbeitszeit gewöhnlich erhielten.
Laut Gewerkschaft bekommen sie per Funk ständig neue Aufträge erteilt. Weil sie weisungsgebunden arbeiten, sind ihre Werkverträge gesetzwidrig. Statt formell selbständig zu agieren, müssen sie laut Hauptzollamt als Angestellte bezahlt werden. Das ergebe sich aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Belegschaftsvertreter des Netto-Stammsitzes wollten sich aus Furcht vor Repressalien gegenüber jW nicht äußern. Das Unternehmen ist eine Tochter von Edeka.Netto, Kaufland und die beteiligten Leiharbeitsfirmen sollen die Beschäftigten um rund 30 Prozent der regulären Einnahmen geprellt und keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt haben. Den Razzien sind nach Agenturberichten monatelange Ermittlungen vorausgegangen. Aus formalrechtlichen Gründen bestätigte das Schweinfurter Hauptzollamt die Identität der Unternehmen nicht. Die Firmennamen von Netto und Kaufland waren allerdings dem Handelsblatt und dem SWR bekanntgeworden. Die Einzelhändler bestätigten die Kontrollen.Insgesamt hatten die Staatsanwaltschaften Bamberg, Regensburg und Stuttgart mehr als 60 Durchsuchungsbefehle ausgestellt, die in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen vollstreckt wurden.
Der Zoll führt nun das Verfahren fort. Juristisch muß er nachweisen, daß die Scheinselbständigen nicht nach eigenem Ermessen handeln konnten. Für ihre Entlohnung wäre entweder die entsendende Zeitarbeitsfirma zuständig oder das Unternehmen, in dem sie tätig sind. Die Entgelthöhe bemißt sich dann am Mindestlohn der Leiharbeitsbranche oder am Tariflohn des Entleihers nach dem Grundsatz gleichwertiger Bezahlung (»equal pay«).Arbeitsentgelte vorzuenhalten ist ein Betrugsdelikt nach dem Strafgesetzbuch, ebenso das Veruntreuen von Sozialversicherungsbeiträgen. Die »Finanzkontrolle Schwarzarbeit« beim Zoll wird die Akten nach Abschluß der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Die Höchststrafe liegt bei fünf, in schweren Fällen bei zehn Jahren.
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