Mittwoch, 11. Januar 2012

Rechte erhalten auf Demonstration gg. »Kinderschänder« Plattform für ihre Parolen. CDU-Bürgermeister sieht kein Problem


Einladung an Neonazis

Sachsen-Anhalt:

Rechte erhalten auf Demonstration gegen »Kinderschänder«

Plattform für ihre Parolen.

CDU-Bürgermeister sieht kein Problem

Von Susan Bonath

[via Junge Welt]


Im kleinen Altmarkdorf Insel bei Stendal droht ein Konflikt erneut zu eskalieren: Anwohner haben die Demonstrationen wieder aufgenommen, mit denen sie zwei aus der Sicherungsverwahrung entlassene frühere Sexualstraftäter vertreiben wollen (siehe dazu auch jW vom 12.10.11). Am Samstag gingen sie erneut auf die Straße – und wieder bekamen sie zwar ungebetene, aber offenbar nicht unerwünschte Unterstützung von der organisierten Rechten.

Der Magdeburger Verein »Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit« rechnet etwa 40 der nach Polizeischätzungen rund 100 Teilnehmer der Kundgebung am 8. Januar der Neonaziszene zu. Die Polizei war nach Medienberichten mit einem »großen Aufgebot« angerückt, um »Demonstranten entsprechend der Auflage des Landkreises vom Wohnhaus der Männer fernzuhalten«. In einigen Fällen sei das nicht gelungen, passiert sei aber bislang nichts. Für die kommenden sieben Samstage sind bereits weitere Demonstrationen angemeldet.

Die Protestierenden, unter ihnen auch Ortsbürgermeister Alexander von Bismarck (CDU), skandierten im Chor »Raus aus Insel« und trugen Transparente mit Aufschriften wie »Wir sind keine Insel für Straftäter« oder »Problemlösung statt Problemverlagerung«. Die Neonazis, die von den Demonstranten integriert wurden, forderten zudem die Todesstrafe »für Kinderschänder«. Versammlungsleiterin Ilona Berg sagte gegenüber Polizei und Pressevertretern: »Solange sie da friedlich stehen, können sie stehen, wie sie wollen. Ich kann doch nicht in jeden reingucken, welche Gesinnung er hat.« Die NPD Sachsen-Anhalt jubelte am Montag auf ihrer Internetseite, die Demonstranten seien sichtlich erfreut über die Unterstützung durch die »nationale Opposition« gewesen.

Die Grünen-Landtagsabgeordneten Sebastian Striegel und Sören Herbst empfinden die Vorgänge als »bedrückend«. »Daß einige Anwohner erneut den Schulterschluß mit Neonazis suchen, ist ein Tiefpunkt für die demokratische Kultur«, konstatierten sie am Sonntag in einer gemeinsamen Erklärung. Den CDU-Landesverband forderten sie auf, gegen den Ortsbürgermeister disziplinarisch vorzugehen, da er weiterhin die Proteste anstachele und die Zusammenarbeit mit den Rechten fördere. Das sei keine Bagatelle. Hier bedürfe es einer Debatte über Grundrechte.

»Es ist offenkundig, daß die Neonazis freie Hand hatten«, sagte David Begrich vom Verein »Miteinander« gegenüber jW. Die Duldung ihrer Teilnahme und des durch sie initiierten Verstoßes gegen polizeiliche Auflagen sei völlig inakzeptabel. Die Linksfraktion im Landtag kündigte eine erneute Thematisierung in der nächsten Sitzung des Rechtsausschusses an. »Was hier geschieht, grenzt an Menschenjagd«, kommentierte die Abgeordnete Eva von Angern. Die Rechten hätten die Demo ungehindert genutzt, »um ihre faschistische, rassistische und menschenverachtende Ideologie transportieren zu können«. Auch frühere Straftäter hätten ein Recht auf Schutz durch den Staat.

Das Justizministerium hatte den beiden ehemaligen Häftlingen im Oktober – nach den ersten Protestkundgebungen – Hilfe bei der Suche neuen Wohnraums zugesagt. Ministeriumssprecherin Ute Albersmann teilte am Dienstag auf jW-Nachfrage mit, man prüfe momentan verschiedene Angebote. Sie wies aber ausdrücklich auf das Recht der freien Wohnortwahl der Betroffenen hin, das nicht beschnitten werden dürfe. Zudem würden die Proteste die Suche erschweren: »Potentielle Vermieter fürchten, daß mit den Mietern die Demonstrationen zu ihnen umziehen.« Unbestritten sei das Recht der Bürger zu demonstrieren. Die Nichtabgrenzung von den Rechten sei aber »unerträglich« und führe dazu, »daß die NPD das als Erfolg feiert«, so Albersmann. Die zuständige Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord werde die Entwicklungen »genau beobachten«. »Solange sie sich an die Auflagen halten, kann man die Neonazis jedoch nicht ausschließen; es sei denn, sie planen oder begehen Straftaten«, betonte Albersmann.

Der Konflikt in Insel schwelt seit Mitte August 2011. Damals war den Dorfbewohnern die Herkunft der Zugezogenen bekannt geworden – vermutlich durch behördliche Indiskretion. Nach MDR-Angaben waren die beiden 54 und 64 Jahre alten Männer im Oktober 2010 nach dem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zur Sicherungsverwahrung entlassen worden. Ihre Strafen hatten sie in Baden-Württemberg abgesessen. Zu Beginn hatte Bürgermeister von Bismarck die Demonstrationen selbst organisiert und die am Ende bis zu 80 Personen starke Gruppe von Neonazis toleriert. Nach einer dreimonatigen Pause, in der die Inseler »vergeblich auf Hilfe aus der Politik warteten«, wurden die Demos wieder aufgenommen. »Wir machen weiter, bis die weg sind«, sagten Demonstranten am Samstag. Eine Einladung für die Rechten.



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