Donnerstag, 17. Juni 2010

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Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.,

Barbara Abrell, 17.06.2010 10:35

Umweltskandal in Chile

Göttinger Wissenschaftlerin entdeckt bisher unbekannte Auswirkungen
chilenischer Lachsfarmen auf das Ökosystem der Küstenregion


Lachsfarmen in der Region Aysén in Südchile bedrohen die dortige
Tierwelt und das gesamte Naturschutzgebiet in einem bisher völlig
unbekannten Ausmaß. Diese unerwartete Entdeckung haben Forscher vom
Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und der
Universität Göttingen gemacht, die in der Region eigentlich die
akustische Kommunikation der einheimischen Wale untersuchen. Die
Forscher fanden nicht nur, dass sich die Lachsindustrie rasant in den
bisher weitestgehend unberührten Süden der Region ausbreitet. Sie
dokumentierten unter anderem auch die bisher unbekannte Bedrohung für
die einheimischen Seelöwen. Selbst internationale
Umweltschutzorganisationen zeigten sich von diesem Zufallsfund
überrascht. Von ihren Beobachtungen berichten die Göttinger Forscher
in der heutigen Ausgabe der Zeitschrift Nature in der Rubrik
"Korrespondenz".

Mit einem Exportvolumen von mehr als zwei Milliarden US-Dollar ist
Chile weltweit einer der wichtigsten Produzenten von Zuchtlachs. Die
massenhafte Aquakultur konzentriert sich vor allem auf die verzweigten
Fjorde der Provinz Aysén in Patagonien. Während Teile der Provinz
selbst den Status eines Nationalparks haben, gilt dieser Schutz nicht
für das angrenzende Meer. Die somit aus Sicht der Regierung völlig
legalen Lachsfarmen haben zum Teil verheerende Auswirkungen auf das
gesamte Ökosystem - auch weil der atlantische Lachs in Chile ein
Fremdling ist, Krankheiten einschleppt und so die bedrohten
einheimischen Arten zusätzlich unter Druck setzt. Zudem belasten der
Einsatz von Medikamenten und der anfallende Müll das Ökosystem.

In den vergangenen zwei Jahren hatte der Virus ISA (infectious salmon
anemia), der bei Lachsen zu Blutarmut und Tod führt, viele Betreiber
der Aquakultur im Norden Chiles zum Aufgeben gezwungen. "Doch nun
breiten sich die Farmen immer weiter nach Süden aus", berichtet Heike
Vester von der norwegischen Forschungseinrichtung Ocean Sounds, die
derzeit am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation und
an der Universität Göttingen promoviert. Da die verzweigten Fjorde der
Region von Land aus nur schwer zugänglich sind, zeigte sich ihr das
gesamte Ausmaß erst bei Studien vom Wasser aus. Vesters Fotos
dokumentieren unter anderem die Gefahr für den Südamerikanischen
Seelöwen. Als Junge verfangen sich die Tiere in den Schutznetzen,
welche die Lachsfarmen eingrenzen. Selbst wenn die Seelöwen sich
losreißen können, bleibt oft ein Teil des Netzes zurück, an dem sie im
Verlauf ihres Wachstums ersticken (Abbildung 1).

Zudem belasten die Lachsfarmen das Ökosystem auch auf andere Weisen:
Überschüssiges Futter für die Zuchtfische und Kot treiben mengenweise
im Wasser; die gedrängte Haltung der Lachse erzwingt den Einsatz von
Medikamenten und Pestiziden. Messungen von weiteren Teilnehmern der
Expedition der Göttinger Forscherin belegen, dass in der unmittelbaren
Umgebung der Farmen keinerlei Leben mehr existiert. "Überall liegt ein
Geruch wie von Bleichmittel in der Luft", so Vester.

Akustische Messungen, welche die Biologin vor Ort unter Wasser
durchführte, weisen zudem auf eine unsichtbare Bedrohung hin: Der
Bootsverkehr mit Versorgungsschiffen und die Generatoren der
Futtermaschinen sorgen für einen ständigen Lärmpegel. "Dieser Lärm
kann die bedrohten Meeressäuger wie etwa Blau-, Buckel- und Seiwale
sowie Peale-Delfine und Chilenische Delfine vertreiben und ihre
Kommunikation in den verzweigten Fjorden und Kanälen stören", erklärt
Marc Timme vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation,
der die Doktorarbeit der Biologin mitbetreut.

Auch der Norden der Provinz Aysén, wo viele Lachsfarmen auf Grund des
Viruses stillgelegt und verlassen wurden, bietet ein trostloses Bild.
"Die kranken Fische wurden offenbar nicht entsorgt, sondern zum Teil
einfach in Plastikbeuteln im Wasser versenkt", schildert Vester ihre
Beobachtungen. Ihre Fotos zeigen zurückgelassene, tote und
angefressene Lachse (Abbildung 2). "Der Virus konnte so offenbar in
das Ökosystem eindringen", so die Schlussfolgerung der Biologin. Die
Auswirkungen auf die einheimische Flora und Fauna seien nicht
abschätzbar.

In ihrer Stellungnahme an die Zeitschrift "Nature" schlagen die
Göttinger Forscher nun vor, dass Lachsindustrie, lokale Fischer und
Umweltschützer gemeinsam eine Lösung des Problems suchen. In Ländern
wie Italien, Australien und den USA wird ein solches gemeinsames
Vorgehen bereits erprobt. Ziel muss es sein, dass neben den
Lachsfarmen auch die einheimischen Fischer und die Umwelt zu ihrem
Recht kommen. Nur so lasse sich auch ein schonender Tourismus als
aussichtsreicher, neuer Industriezweig etablieren.

Das Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in
Göttingen erforscht komplexe Systeme aus den unterschiedlichsten
Bereichen der Physik, der Informatik und der Biologie. In dem
Forschungsprojekt von Heike Vester geht es darum, die komplexe
Kommunikation sozialer Wale wie etwa Grind- und Schwertwal zu
studieren. Dabei erfasst und vergleicht die Biologin Lautaufnahmen und
Verhaltenstudien aus Nordnorwegen und Südchile, um nach Variationen in
den Lautmustern der beiden geographisch weit getrennten Populationen
zu suchen. Ziel der Studie ist es, Aufbau und Struktur der Laute sowie
deren Verwendung besser zu verstehen. Dies kann dazu beitragen,
wichtige Schritte in der Evolution und Entwicklung der Lautbildung
dieser Tiere zu identifizieren. Heike Vester ist zudem seit 2008 jedes
Jahr auf Einladung des chilenischen Center for Scientific Tourism in
Chile um zu untersuchen, wie sich vor Ort ein schonender Tourismus
aufbauen lässt.

Originalveröffentlichung:

Heike Vester, Marc Timme
Call for cooperation to contain damage by Chile's salmon farms
Correspondence, Nature 465, 869 (17 June 2010), Online-
Veröffentlichung am 16. Juni 2010, doi:10.1038/465869d

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Birgit Krummheuer, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen
Tel.: +49 551 5176-668
E-Mail: birgit.krummheuer@ds.mpg.de

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsergebnisse
Wissenschaftliche Publikationen

Sachgebiete:
Biologie
Meer / Klima
Politik
Umwelt / Ökologie

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/pages/de/image118334
Ein Seelöwe, dessen Hals ein eingewachsenes Netz aus einer Lachsfarm einschnürt

http://idw-online.de/pages/de/image118335
Eine verlassene Lachsfarm in einem Fjord im Norden der Region Aysén. Die toten Lachse deuten darauf hin, dass die kranken Tiere auch in das empfindliche Ökosystem eindringen konnten.


Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/pages/de/news374849

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution207

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