[via Die Wochenzeitung]
Es braucht Mut, einen unbefristeten Streik zu beginnen. Das Personal der Klinik La Providence hat diesen Mut gefunden: Seit dem 16. November wird in Neuenburg gestreikt. Trotz Einschüchterungen und Drohungen der Betriebsleitung wächst die Bewegung und wird politisch breit unterstützt. Die Streikenden fordern die Beibehaltung des Gesamtarbeitsvertrags und wehren sich gegen Entlassungen und Auslagerungen.
Es geht um eine grundsätzliche Auseinandersetzung. Das Hôpital de la Providence soll im Januar 2013 ins Netz der Privatklinikgruppe Genolier (Genolier Swiss Medical Network, GSMN) eingegliedert werden; die Verkaufsverhandlungen stehen kurz vor dem Abschluss. Im Sommer kündigte die Spitalleitung Entlassungen, Auslagerungen, den baldigen Verkauf und ein Ende des Gesamtarbeitsvertrags (GAV) an. Seither schwelt der Konflikt. Denn das Spital wird heute von einer gemeinnützigen Stiftung getragen, seine Leistungen sind im Rahmen des Neuenburger Spitalwesens unverzichtbar. Es gehört zur Liste von Spitälern, die Service-public-Leistungen erbringen und deshalb vom Kanton Subventionen erhalten. Eine der Bedingungen, die der Kanton für die Entrichtung von Subventionen stellt, ist die Anwendung des branchenspezifischen Gesamtarbeitsvertrags «Santé 21». Die Regierung hätte es also in der Hand, die Weiterführung des GAV zu verlangen respektive die Klinik ins öffentliche Spitalnetz zu übernehmen. Stattdessen knickt sie vor dem zukünftigen Besitzer ein und erklärt sich bereit, die Klinik weiterhin zu subventionieren, selbst wenn Genolier den GAV ausser Kraft setzt.
Eine reine Finanztransaktion
Genolier ist nach Hirslanden die zweitgrösste Schweizer Privatklinikgruppe. Im Dezember 2006 hat die kleine Genfer Mediengruppe, die die Wirtschaftszeitschrift «L' Agefi» herausgibt, die Waadtländer Genolier-Gruppe «gekauft». Es handelte sich um eine reine Finanztransaktion, die Genolier den Gang an die Börse zu Vorzugskonditionen erlaubte. Als gemeinsames Dach zwischen ungleichen Partnern wurde damals die Agen Holding gebildet. In der privaten Gesundheitsversorgung locken satte Profite kein Wunder, dass Ende 2007 der amerikanische Hedgefonds Lincoln Vale bei Agen einstieg.
Lincoln Vale schlug sich im September 2010 bei einem Streit zwischen zwei Aktionärsgruppen auf die Seite von Antoine Hubert. So konnte Hubert zusammen mit dem französischen Investor Michel Reybier dank Lincoln Vale die Kontrolle übernehmen. Vorher hatten sich die beiden Aktionärsgruppen gegenseitig mit Strafklagen verfolgt und von der Führung wegzuputschen versucht.
Seit der im Immobilienbusiness reich gewordene Hubert die Kontrolle über Genolier übernahm, hat sich die Gruppe zum gesamtschweizerischen Mitspieler gewandelt. Sie besitzt zehn Kliniken und führt in ihrem Verwaltungsrat so prestigeträchtige Namen wie den von Raymond Loretan, seines Zeichens Präsident der SRG, oder von FDP-Nationalrat und Ex-Parteipräsident Fulvio Pelli. Pelli ist offenbar die Rolle zugedacht, als Türöffner für die italienische Schweiz zu dienen. Im Tessin hat Genolier Anfang Jahr zwei Kliniken erworben. Schon in nächster Zukunft könnte es dort ebenfalls zu einem Arbeitskonflikt kommen, denn Genolier plant die Auslagerung des Reinigungspersonals, wie der zuständige Tessiner VPOD-Sekretär Fabiano Testa weiss.
Im Sommer 2012 hat Antoine Hubert eine weitere Finanztransaktion durchgeführt: die Zusammenführung von Genolier und den Swiss Healthcare Properties (SHP), einem Immobilienportefeuille an Spitalliegenschaften. Die neue Holding heisst Aevis, Hauptaktionär und Delegierter des Verwaltungsrats ist weiterhin Antoine Hubert. Der Holding geht es womöglich nicht nur um die Gesundheit ihrer PatientInnen, sondern ebenso um den Wert der erworbenen Liegenschaften, wie VPOD-Zentralsekretär Beat Ringger vermutet (vgl. «Die Privatisierer haben noch nicht gewonnen»).
Gefährdete Regionalspitäler
Hubert will, wie er im Gespräch mit der Zeitung «Le Temps» durchblicken liess, von den Privatisierungstendenzen im Schweizer Spitalwesen profitieren. Es geht um das neue System in der Spitalfinanzierung: Seit einem Jahr werden nicht mehr die effektiven Aufwendungen der Spitäler subventioniert, sondern diagnosebezogene «Fallpauschalen» entrichtet. In Deutschland, so Hubert, habe die Einführung der Fallpauschale dazu geführt, dass die Zahl der privaten Spitäler von 25 auf 75 Prozent gestiegen sei. Seine Analyse: Die Fallpauschale könnte sich für kleine Regionalspitäler als ungenügend erweisen, man dürfe also eine teilweise Privatisierung erwarten. Auch Privatkliniken, die nicht auf der Liste der subventionierten Spitäler stehen, könnten in finanzielle Schwierigkeiten geraten und ebenfalls interessante Übernahmeobjekte darstellen. «Von den rund 140 Kliniken in der Schweiz sind 30 bis 40 von interessanter Grösse und könnten in Aevis integriert werden», freut sich Hubert.
La Providence in Neuenburg dürfte innert Kürze zu Genolier/Aevis gehören, wenn die öffentliche Meinung den Kauf nicht in letzter Minute verhindert. In der Privatklinik Bethanien am Zürichberg, die schon von Genolier übernommen worden ist, weiss man, was das heisst. Dort sind 2010 in einem «Klima der Angst» gegen dreissig MitarbeiterInnen hinausgeworfen worden, wenn sie es nicht vorgezogen haben, selbst zu kündigen. Seither ist ein ganzer Stock zum VIP-Bereich umgebaut worden, mit Suiten, Seesicht, Parkettböden und Feinschmeckermenüs Antoine Hubert hat potente Kundschaft «aus Saudiarabien und Russland» im Visier. Sogar Butler und Leibwächter können zur Verfügung gestellt werden.
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