Montag, 2. Juli 2012

"Antikapitalistische Linke" abgestraft -> Eine Betrachtung der Ergebnisse erfüllt mit großem Unbehagen.


LINKE. NRW: Rechtsausrichtung in Münster

 

Von Edith Bartelmus-Scholich

[via scharf-links.de]

 
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Knapp sechs Wochen nach der verheerenden Wahlniederlage bei den Landtagswahlen in NRW hat sich die Linkspartei zu ihrem Landesparteitag getroffen um strategisch und personell einen Neuanfang zu machen. Eine Betrachtung der Ergebnisse erfüllt mit großem Unbehagen.

"Antikapitalistische Linke" abgestraft

Auffälligstes Ergebnis der Personalentscheidungen ist, dass die Strömung "Antikapitalistische Linke" (AKL) ihre bislang dominierende Stellung in der Landespartei verloren hat. Der AKL wurden offenbar die Wahlniederlage und die Mängel im Parteiaufbau angelastet. In der Generaldebatte bilanzierte Günter Blocks von der Strömung "Sozialistische Linke" (SL), dass in den vergangenen zwei Jahren nicht nur 241.000 WählerInnen, sondern auch mehr als 20% ihrer Kommunalmandate und mehr als 1.100 Mitglieder verloren habe. Erschwerend kam für die AKL zu dieser ernüchternden aber nicht nur von ihr zu verantwortenden Bilanz hinzu, dass sie auch ein Unvermögen innerparteiliche Pluralität, Transparenz und Kommunikation herzustellen, gezeigt hatte.

Bei den etwa 40% strömungsungebundenen Delegierten auf dem Parteitag hatte sich zudem ein Groll auf beide großen Strömungen aufgestaut. Einem dilletantisch formulierter Antrag eines Kreisverbands, den Strömungen die satzungsgemäßen Rechte zu nehmen, stimmten 65 Delegierte zu, 20 enthielten sich, 102 Delegierte stimmten dagegen. In der Aussprache wurde überdeutlich, dass die nicht in Strömungen organisierten Delegierten sich von den Strömungen fremdgestimmt fühlen.

Mit dieser Gemengelage kam die Strömung SL als bisherige Minderheitsströmung besser zurecht als die AKL. Sie war zudem im Vorfeld des Parteitags aktiv auf die strömungslosen Delegierten zugegangen und hatte in mehreren Treffen von sogenannten Konstruktiven Kräften für ihre politischen Inhalte geworben und sich so eine Parteitagsmehrheit sowohl für ihre Strategie als auch für ihr Personal organisiert.

Obwohl die strömungsfreien Delegierten ihren Anteil an der Leitung der Landespartei einforderten, zeigte der Parteitag doch, dass die Vorschläge der Strömungen auch in personellen Fragen immer noch maßgeblich sind. Dem 20köpfigen Landesvorstand gehört nur eine Person (Rüdiger Sagel) an, der nicht von mindestens einer der beiden großen Strömungen vorgeschlagen wurde. Alle anderen 19 Vorstandsmitglieder wurden entweder von AKL oder von SL oder auch von beiden Strömungen (Jürgen Aust) getragen.

Die Zusammensetzung des neuen Landesvorstands markiert einen deutlichen Rechtsruck in der Partei DIE LINKE. NRW. Zur Parteilinken gehört nur noch eine Minderheit der Vorstandsmitglieder. Führende Positionen werden von denjenigen Mitgliedern der ehemaligen Landtagsfraktion (Gunhild Böth, Rüdiger Sagel, Carolin Butterwegge) besetzt, die als Minderheit in der 11köpfigen Fraktion stets für einen "realpolitischen Kurs" votiert hatten. Es zeigt sich, dass die AKL hier Opfer der von ihr beförderten Intransparenz geworden ist. Mitglieder, die z.B. nicht wissen, wer in der ehemaligen Fraktion für die Annahme der Erhöhung der Abgeordenetendiäten gewesen ist, und wer nicht, treffen schließlich auch Personalentscheidungen unter irrigen Annahmen. Hierbei ist allerdings bemerkenswert, dass Carolin Butterwegge auch auf diesem Parteitag wieder bekräftigte, dem Landeshaushalt in der zweiten Lesung nicht zuzustimmen sei ein Fehler gewesen. Trotzdem wurde sie vom Parteitag im ersten Wahlgang mit Stimmenmehrheit in den Vorstand gewählt.

Als bemerkenswerte Tendenz bei den Wahlentscheidungen war zudem eine "Scheinprofessionalisierung" zu beobachten. Nicht nur, dass akademische Bildung und bürgerlicher Habitus den Delegierten als notwendige Eigenschaften für Führungsämter in ihrer "sozialistischen Partei" wohl unverzichtbar erscheint. Zu allem Überfluss agierte auch noch ein Netzwerk junger Karrieristen, gebildet aus den Mitarbeitern von Abgeordneten, erfolgreich.

Opfer der Stimmung gegen die AKL und den linken Flügel der ehemaligen Landtagsfraktion wurde Michael Aggelidis, der dem Parteitag noch einmal eindrücklich den Wert politischer Glaubwürdigkeit erläuterte, jedoch bei der Wahl des Landessprechers gegen Rüdiger Sagel unterlag. Vorausgegangen war eine inhaltliche Niederlage des scheidenden Landesvorstands, die den Rechtsruck in der Partei DIE LINKE. NRW unterfüttert. Auch Thies Gleiss, der die Illusionen in die SPD ausdrücklich kritisierte, wurde nicht mehr in den Vorstand gewählt. Ebenso unterlagen die linken Aktivistinnen Karina Ossendorf und Ruth Tietz in ihren jeweiligen Wahlgängen trotz ausgewiesener Bewegungsorientierung.

Fehlerhafte Analyse, irreführende Strategie

Für die Wahlniederlage vom 13. Mai 2012 gibt es ein Bündel von Gründen, die vom Parteitag zum Teil gar nicht gesehen und zum Teil ungenügend gewichtet wurden. Beginnen wir mit dem, was nicht begriffen wurde: Die Wahlniederlage war unvermeidbar, allerdings nicht in dieser Höhe.

Wie alle Wahlparteien muss sich DIE LINKE darüber im Klaren sein, dass sie von WählerInnen mit unterschiedlichen Erwartungen gewählt wird, die sich zum Teil ausschließen, so dass sie diese nicht sämtlich erfüllen kann. 2010 wählten – wie bei früheren vergleichbaren Wahlen in anderen Bundesländern auch schon – ca. 25% der WählerInnen DIE LINKE in der Erwartung einer rot-rot-grünen Koalitionsregierung. Erwartungsgemäß verliert die Partei bei einer rasch folgenden Neuwahl diesen WählerInnenanteil, wenn eine solche Koalition nicht zu Stande kommt. Bei einem Wahlergebnis von 5,6% im Mai 2010 bedeutet dies, dass jedes Ergebnis oberhalb von 4,2% im Mai 2012 nur mit einer großen Kraftanstrengung zur Erschließung neuer Wählerschichten möglich gewesen wäre. Der Verlust dieser 1,4%, ziemlich genau der ca. 90.000 WählerInnenstimmen, die DIE LINKE an die SPD verloren hat, resultiert somit nicht aus der "neuen Attraktivität" der SPD wie irrtümlich im Leitantrag festgestellt, sondern war unvermeidlich mit dem Scheitern der Mitregierungsoption verbunden.

Die Idee, dass der Verlust jener 25% WählerInnenstimmen abwendbar gewesen wäre, wenn DIE LINKE sich auf eine parlamentarische Zusammenarbeit zu den Bedingungen von SPD und GRÜNEN eingelassen hätte, ist jedoch nicht mehr als eine Milchmädchenrechnung. Mit der Aufgabe eigener Grundsätze und einer Politik gegen die Interessen der eigenen WählerInnen hätte DIE LINKE nämlich nicht 25%, sondern 50% ihrer WählerInnen verloren. Ungefähr so hoch ist der regelmäßige Verlust der Wählerstimmen in den Bundesländern in denen DIE LINKE mitregiert.

Der Parteitag hat der Strömung "Sozialistische Linke" folgend die Abkehr von einem der bewährtesten Grundsätze der Linkspartei überhaupt beschlossen. Fortan soll nicht mehr gelten: "DIE LINKE steht in Opposition zu allen neoliberalen Parteien". Statt dessen steht im Leitantrag: "Für Die LINKE ist es wichtig, eigenständige, anti-neoliberale Positionen zu entwickeln und diese den Menschen nahezubringen. Um aber diese Forderungen – etwa nach einem gesetzlichen Mindestlohn, nach einer Mindestrente oder nach der Regulierung der Finanzmärkte – auch tatsächlich durchsetzen zu können, werden wir Bündnispartner brauchen. Die Menschen wissen das und haben uns daher auch im Wahlkampf immer wieder gefragt, wie wir es mit den anderen, von vielen auch als links wahrgenommenen Parteien, also mit SPD und Grünen halten. Darauf nur mit schroffer Ablehnung und der Pose "Wir gegen Alle" zu antworten, reicht nicht.

Es gibt vielfältige Wünsche und Erwartungen, auch innerhalb der sozialdemokratischen, der grünen Wählerschaft, aber auch bei denjenigen, die nicht mehr zur Wahl gehen, an denen wir ansetzen und in breiter angelegte politische Aktionen überführen müssen.

Zu unseren potenziellen Bündnispartnern gehören auch viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, mit denen wir in den Gewerkschaften, in den Stadtteilen oder bei vielfältigen Protestaktionen für kurzfristige und teils auch weitreichende Veränderungen streiten. Nur mit ihnen gemeinsam lassen sich Lohnerhöhungen erreichen, lässt sich der Sozialstaat erneuern und werden wir erfolgreich die Herrschaft der Finanzmärkte beenden. Auf diesem Wege des gemeinsamen Kampfes muss auch die SPD nach links gedrückt und verändert werden. Es reicht also nicht aus, nur zu beschreiben, wo die SPD heute steht – und damit zu dem Ergebnis zu kommen, dass nichts geht. Die scharfe Grundsatzkritik an SPD und Grüne muss verknüpft werden mit konkreten Angeboten und Vorschlägen wie in den Kommunen, im Land und im Bund ein Politikwechsel im Interesse der abhängig Beschäftigten, der Erwerbslosen, der Rentnerinnen und Rentner, der Jugend erreicht werden kann."

Für diese strategische Neuausrichtung der Partei kann DIE LINKE.NRW sich den Beifall des "Forum demokratischer Sozialismus" abholen. Die Betroffenen von Sozialabbau, Niedriglohnpolitik und Sparorgien können jedoch ihre bisherigen Hoffnungen auf die Partei getrost begraben. Auch in NRW ist den meisten Betroffenen von Agenda 2010 und Hartz–Gesetzen noch geläufig, dass SPD und GRÜNE für diese Politik verantwortlich sind, auch, wenn viele dieser Menschen das Wählen aufgegeben haben. Die "potentiellen Bündnispartner SPD und GRÜNE", die DIE LINKE zudem erst einmal "nach links drücken" will, sind keine. Es gibt kein linkes Lager aus SPD, GRÜNEN und LINKEN, und allein die Erwähnung dieser Parteien löst in den Schichten, die DIE LINKE gern vertreten möchte, Reaktionen zwischen Brechreiz und Wut aus.

Der Misserfolg dieser Strategie in jeder Beziehung, ob bei der Erschließung weiterer gesellschaftlicher Bündnispartner, der Gewinnung neuer Sympathisanten und Mitglieder und auch bei Wahlen ist vorgegeben. Die Niederlage der Partei wird dadurch noch vertieft.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus

Der Bruch mit dem Gründungskonsens der WASG ist zu begreifen als Verlust ihres Markenkerns und als innerer Zusammenbruch der Partei DIE LINKE. Diese Entwicklung folgt auf eine Reihe ständiger Fehler, die eigentlich bekannt sind, aber einfach nicht wirklich bearbeitet werden. Diese Defizite sind zum Einen für den misslungenen Parteiaufbau, die ungenügende gesellschaftliche Verankerung und zum Anderen für den vermeidbaren Verlust an Wählerstimmen an PIRATEN und NichtwählerInnen, verantwortlich. Einher geht der vermeidbare Verlust von Wählerstimmen übrigens mit dem Imagewechsel der Partei DIE LINKE. Innerhalb weniger Jahre wird sie auch in den alten Bundesländern nicht mehr als Protestpartei, sondern als stockbrave Parlamentspartei wahrgenommen.

Im Leitantrag wird zu der ungenügenden gesellschaftlichen Verankerung und dem misslungenen Parteiaufbau dem neu gewählten Landesvorstand aufgegeben, ein passendes Konzept zu entwickeln. Dem scheidenden Landesvorstand und auch der Strömung "Sozialistische Linke" macht das Thema nicht ohne Grund Probleme. Neben den bekannten "innerparteilichen Baustellen" Demokratisierung und Streitkultur, muss DIE LINKE nämlich eine vollkommene und tiefgreifende Neuorientierung vornehmen.

Es hat sich gezeigt, dass der Run auf die Parlamente und Rathäuser, die ständigen Wahlkämpfe und die innerparteilichen Auseinandersetzungen um Mandate und daran hängende Ressourcen  dem Aufbau der linken Partei und ihrer Verankerung in Betrieben, Nachbarschaften und Bewegungen mehr schadet als nutzt. Viele Menschen sind in den vergangenen Jahren hauptsächlich angetrieben von dem Wunsch ein Mandat oder eine existenzsichernde Beschäftigung im Politikbetrieb zu erreichen der LINKEN. NRW beigetreten. Die solidarische Streitkultur in der Partei blieb dabei auf der Strecke. Viel zu viel Kraft verpufft zudem in Machtkämpfen und in Parlamentsroutinen  – und zwar ohne, dass die Partei aufgebaut wird und ohne dass Erfolge für die Menschen erzielt werden, welche DIE LINKE erreichen, aktivieren und vertreten will.

Es wird daher für die Mitglieder der LINKEN Zeit ihr Projekt vom Kopf auf die Füße zu stellen. Wie das geschehen kann, zeigt das erfolgreiche Beispiel der niederländischen SP. Die meiste Kraft und Zeit reservieren deren Mitglieder dauerhaft für aktive Arbeit zum Aufbau von Betriebsgruppen, Nachbarschaftsprojekten und Sozialprotest. Erst wenn hier eine gründliche Verankerung erreicht wurde, werden parlamentarische Ziele anvisiert.

Edith Bartelmus-Scholich, 1.7.2012


VON: EDITH BARTELMUS-SCHOLICH

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